Chemo bei prämenopausalen Patientinnen: „Sicherstellen, dass sie auch wirkt“

Mascha Pömmerl

Es sei klar, dass nicht alle jungen Frauen mit wenigen positiven Lymphknoten tatsächlich eine Chemotherapie benötigen. Es sei klar, dass nicht alle jungen Frauen mit wenigen positiven Lymphknoten tatsächlich eine Chemotherapie benötigen. © iStock/ klebercordeiro

Ja, man kann mithilfe von prognostischen Multi­genpanels und anderen Markern ausgewählten Frauen mit einem frühen HR+, HER2- Mammakarzinom eine adjuvante Chemotherapie ersparen – so lautete zuerst die Meinung von Prof. Dr. Sung-Bae Kim. Ganz anders sieht dies Prof. Dr. Nadia­ Harbeck und überzeugte in der Pro/Contra-Session einige Kolleg:innen und sogar ihre Vorrednerin.

Prof. Dr. Sung-Bae Kim, Asan Medical Center, University of Ulsan, Seoul, präsentierte den Fall einer 41-jährigen prämenopausalen Patientin mit HR+, HER2-, invasivem duktalem Karzinom mit 1,5 cm Durchmesser und G2 sowie einem Recurrence Score (RS, Oncotype Dx) von 13 und einem befallenen Lymphknoten. Die Frage an das Publikum, ob man hier auf eine adjuvante Chemotherapie verzichtet könnte, beantworteten in der ersten Live-Abstimmung rund 46 % der Teilnehmenden der Session mit ja, 38 % meinten nein, 15 % waren unentschieden.

„Seit 2007 ist eine unserer Prioritäten, die Chemotherapie zu reduzieren“, bekräftigte die Expertin. Um ihre Position zu stützen, zitierte sie den St. Gallen-Konsensus 2017. Relative Indikationen für eine adjuvante Chemotherapie sind demzufolge u.a. sehr junges Alter von unter 35 Jahren und eine nur schwache Hormonrezeptorexpression.

Ovarialfunktion unterdrücken bei prämenopausalen Frauen

Außerdem verwies sie auf die aktuellen Leitlinien des National Comprehensive Cancer Network der USA, NCCN.2 Diese besagen, dass bei prämenopausalen Frauen mit einem T1–3, N1 Tumor und einem RS < 26 eine zusätzlich zur adjuvanten endokrinen Therapie gegebene Chemotherapie zwar mit einer niedrigeren Fernrezidivrate assoziiert sei. „Jedoch ist unklar, worauf dies zurückzuführen ist.“

Ein Grund dafür könne auch die ovarielle Suppression durch die Chemotherapie darstellen. Deshalb ist laut NCCN-Guidelines für diese Gruppe entweder eine adjuvante Chemotherapie gefolgt von einer endokrinen Therapie möglich oder die Kombination von ovarieller Suppression und Aromatase-Inhibitor bzw. Tamoxifen.

Die RxPONDER-Studie ergab, dass prämenopausale Frauen mit 1–3 befallenen Lymphknoten und mit RS ≤ 25 von zusätzlicher Chemotherapie im Vergleich zu alleiniger endokriner Therapie profitieren – postmenopausalen Frauen mit den gleichen Charakteristika jedoch nicht.3 „Das will ich nicht in Abrede stellen. Ich möchten nur darauf hinweisen, dass einigen Patientinnen dieser Gruppe die Chemo trotzdem erspart werden oder aber reduziert werden könnte“, kommentierte Prof. Kim.

Wer eine Chemotherapie erhalten sollte, würde sie mithilfe eines prognostischen Multigenpanels, kombiniert mit Biomarkern und abhängig des Risikos stratifizieren. Für die genetische Analyse stehen Tests von verschiedenen Anbietern zur Verfügung. Auch der Wunsch der Patientin dürfe nicht vernachlässigt werden, so die Kollegin weiter. Zudem verwies sie auf neue Therapieansätze zur Rezidivreduktion und nannte beispielhaft den adjuvanten Einsatz von CDK4/6-Inhibitoren zusätzlich zur endokrinen Therapie, PARP-Hemmer sowie die Messung von zirkulierender Tumor-DNA. Diese Optionen könnten die Chemotherapie weiter verdrängen.

Prof. Dr. Nadia Harbeck, Brustzentrum der Frauenklinik der Universität München, gratulierte Prof. Kim für ihren guten Vortrag. Wechselte dann aber direkt in ihre Gegenposition: „Ich muss leider sagen, Prof. Kim hat Unrecht“. Sie wies zunächst darauf hin, dass die AGO Mamma die verfügbaren Multigenpanels zwar alle mit einem Plus bei klinisch-pathologischen Faktoren empfiehlt. In den St. Gallen International Consensus Guidelines für die Therapie des frühen Mammakarzinoms sprachen sich jedoch nur etwas über 20 % der Teilnehmer:innen für den routinemäßigen Einsatz dieser Tests bei prämenopausalen Frauen aus und nur knapp 15 % im Fall von 1–3 positiven Lymphknoten.4

Der Blick auf die Webseiten von Prosigna zeige, dass der Test für postmenopausale Frauen intendiert sei. Auch Endopredict wurde hauptsächlich bei postmenopausalen Frauen untersucht, wie Prof. Harbeck­ betonte. „Die Evidenz ist also nicht stark genug für prämenopausale Patientinnen“. Bei Oncotype, der laut Hersteller für prämenopausale Brustkrebspatientinnen mit 1–3 befallenen Lymphknoten und RS von 0-25 geeignet ist, fragte sie kritisch in die Runde: „Warum überhaupt testen, wenn wir wissen, dass wir hier eine Chemotherapie einsetzen müssen?“ Diese Erkenntnis lieferte die RxPONDER-Studie, auf die bereits ihre Vorrednerin eingegangen war. „Dies ist eine prospektive klinische Studie und der Unterschied liegt bei 5 %. Ein 5%iger Unterschied ist klinisch relevant und sollte umgesetzt werden“, betonte Prof. Harbeck.

Auch eine antihormonelle Therapie hat Nebenwirkungen

Fraglich sei, welche antihormonelle Behandlung für den Ki-67-Test eingesetzt werden sollte. Eine bessere endokrine Therapie führe natürlich auch zu einem besseren Ansprechen auf diese endokrine Kurzzeittherapie, so die Expertinnen. In der ADAPT-Studie wurde fast ausnahmslos Tamoxifen eingesetzt, was zwar schnell wirkt, aber für viele prämenopausale Frauen keine ausreichende antihormonelle Behandlung darstellen könnte.

Der Diskutant, Prof. Dr. David Cameron vom Institute of Genetics and Cancer der University of Edinburgh, betonte: Auch eine eventuell bei diesem Kollektiv notwendige maximale endokrine Therapie habe erhebliche Nebenwirkungen, mit denen viele Frauen über Jahre zu kämpfen hätten – während die einer Chemotherapie meist nur Monate andauerten. Man müsse sich klar machen: „Beide Behandlungen sind effektiv bei diesen Frauen, aber beide haben Toxizitäten.“ Den Frauen die Wahl zu überlassen sei schwierig, schließlich kennen diese beide Therapien nicht aus eigener Erfahrung. Man habe nur wenige Wochen für eine das ganze Leben beeinflussende Entscheidung. In der Diskussion zeigte sich auch Prof. Kim überzeugt, dass die Vorgehensweise nach ADAPT der Weg sei, den man gehen könne: „ADAPT könnte ein Standard werden, um die Frauen herauszufiltern, die eine Chemotherapie benötigen.“

Klinisches Risiko sowie Menopausenstatus betrachten

Ein ähnliches Bild ergab die prospektive MINDACT-Studie. Auch diese war prinzipiell eine positive Deeskalationsstudie. Der Benefit durch eine zusätzlich zur adjuvanten endokrinen Therapie gegebene Chemotherapie war bei postmenopausalen Frauen verschwindend gering, auch bei nodal-positiver Erkrankung. Bei prämenopausalen Frauen mit hohem klinischem Risiko und niedrigem genomischem Risiko laut Mammaprint zeigte sich aber ein 5%iger Benefit durch die Chemotherapie.5,6 Prof. Harbeck wiederholte: „Warum auch hier überhaupt diese Patientinnen testen?“

Gemäß des Guideline Updates der ASCO zu möglichen Bio­markern für die endokrine und Chemotherapie bei Patientinnen mit frühem Mammakarzinom sind ebenfalls alle vier Tests nicht geeignet, um für junge Frauen mit 1–3 befallenen Lymphknoten eine Therapieentscheidung bezüglich einer adjuvanten Chemotherapie zu treffen.7

Zur Frage wie prämenopausale Frauen mit 1-3 positiven Lymphknoten und einem RS ≤ 25 optimalerweise behandelt werden sollten, stünden nicht ausreichend gute prospektive Daten zur Verfügung, so Harbeck. Patientinnen sollten aber nicht nach dem Bauchgefühl behandelt werden, sondern „sie verdienen eine evidenzbasierte Medizin!“

Endokrines Ansprechen vorab schätzen

Aber es sei klar, dass nicht alle jungen Frauen mit wenigen positiven Lymphknoten tatsächlich eine Chemotherapie benötigen, so Prof. ­Harbeck. Einen Ausweg aus diesem Dilemma biete das Vorgehen gemäß der ADAPT-Studie, also die Dynamik des Proliferationsmarkers Ki-67 nach einer dreiwöchigen endokrinen Induktionstherapie zu untersuchen.8 „Diese Vorgehen ist einfach und kostet nicht viel“, hob die Expertin die Vorteile hervor. Es gebe mehr Sicherheit bei der Entscheidungsfindung. Schließlich handele es sich um eine Therapiewahl, von der letztlich das Überleben der Betroffenen abhänge. Fällt der Ki-67 innerhalb der drei Wochen Therapie auf Werte unter 10 %, genügt als adjuvante Therapie eine antihormonelle Behandlung. Prof. Harbeck gab die Werte der Frau aus der Kasuistik in den Rechner www.enrep.info ein, um die endokrine Sensitivität des frühen Brustkrebs zu ermitteln. Und siehe da: Der Tumor spricht nur mit einer 31%igen Wahrscheinlichkeit auf eine endokrine Therapie an.

Viele Teilnehmer:innen des Symposiums schienen die Argumente von Prof. ­Harbeck überzeugt zu haben, denn in der zweiten Abstimmung waren nur noch 35 % der Meinung, dass man die adjuvante Chemotherapie auf Basis genomischer Tests reduzieren könnte, 58 % waren jetzt gegen eine auf dieser Basis durchgeführte Chemotherapiereduktion. Nur noch 7 % enthielten sich.

Kongressbericht: ESMO Breast Cancer Congress 2022

Quellen:

1.    Untch M et al. Geburtsh Frauenheilk 2017; 77: 633-44;  DOI: 10.1055/s-0043-111601
2.   bit.ly/NCCN_Guideline
3.    Kalinsky K et al. N Engl J Med 2021; 385: 2336-2347;  DOI: 10.1016/j.eururo.2021.09.034
4.    Burstein HJ et al. Ann Oncol 2021; 32:1216-1235;  DOI: 10.1016/j.annonc.2021.06.023
5.    Cardoso F et al. N Engl J Med 2016; 375: 717–27;  DOI: 10.1056/NEJMoa1602253
6.    Piccart M et al. Lancet Oncol 2021; 22:476-88;  DOI: 10.1016/S1470-2045(21)00007-3
7.    Andre F et al. J Clin Oncol 2022; JCO2200069;  DOI: 10.1200/JCO.22.00069
8.    Harbeck N. SABCS 2020; Abstract GS4-04

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