Das Risiko für Nierenversagen besser abschätzen

Prof. Dr. med. Jean-François Chenot, Martha Negnal, Dr. med. Caroline Tornow, Dr. rer. medic. Simone Kiel, Prof. Dr. med. Sylvia Stracke

Mit Risikokalkulatoren lassen sich Risiken meist besser abschätzen. Mit Risikokalkulatoren lassen sich Risiken meist besser abschätzen. © artistic - stock.adobe.com (Generiert mit KI)

Mit Risikokalkulatoren lassen sich Risiken meist besser abschätzen. Ein Blick auf die KFRE (Kidney Failure Risk Equation) zur Berechnung des Risikos eines nierenersatztherapiepflichtigen Nierenversagens.

Die KFRE (Kidney Failure Risk Equation) wurde von dem kanadischen Nephrologen Navdeep Tangri und seinem Team entwickelt und 2011 veröffentlicht [1]. Sie wurde in vielen unabhängigen Populationen validiert [2, 3, 4], auch in Deutschland [5]. Die Verwendung eines Risikokalkulators zur Risikoabschätzung wie z. B. der KFRE, wird von der 2024 aktualisierten internationalen KDIGO-Leitlinie, der deutschen Leitlinie „Chronische Nierenkrankheit in der Hausarztpraxis“ und anderen Leitlinien empfohlen

Basierend auf Alter, Geschlecht, eGFR und UACR wird das absolute Risiko für ein nierenersatztherapiepflichtiges Nierenversagen in den nächsten 2 und 5 Jahren vorhergesagt (4-Faktoren Modell). Eine Vorhersage des Risikos ist nur bei einer eGFR ≤ 60 ml/min/1,73 m² und Erwachsenen möglich. Auf der amerikanischen Webseite wird eine Angabe der Region gefordert, auf die hier verzichtet wurde. Es besteht dort ebenfalls die Möglichkeit mit weiteren Laborwerten wie Albumin, Phosphat, venöses Bikarbonat, korrigiertes Kalzium u.a. die Vorhersage etwas zu verbessern. Auf diese Option wird hier verzichtet, da diese Laborwerte in Deutschland nicht regelmäßig erhoben werden, insbesondere die Bestimmung des venösen Bikarbonats ist unüblich. Die Verbesserung der Vorhersagegüte ist nur minimal.

Vorteil der Risikoabschätzung mit der KFRE gegenüber der KDIGO-Klassifizierung ist, dass Alter und Geschlecht berücksichtigt werden, dass ein zeitlicher Bezugsrahmen gegeben wird und dass das Risiko eines Nierenversagens als absolutes Risiko nachvollziehbar ist. Insbesondere für ältere Menschen, bei denen die Abgrenzung zwischen einer physiologisch abnehmenden eGFR und einer krankheitsbedingten eGFR nicht sicher möglich ist, kann die KFRE zu einer besseren Einschätzung des Risikos führen.

Interpretation der Ergebnisse

Welche Risikoschwelle als bedrohlich empfunden wird oder eine Entscheidung, z. B. für eine Überweisung in die Nephrologie oder die Verordnung bestimmter Medikamente auslösen sollte, unterliegt stark subjektiven und individuellen Faktoren. Es gibt keinen objektiven und allgemein akzeptierten Maßstab ein bestimmtes Risiko als niedrig, mittel oder hoch einzuordnen. Ein absolutes Risiko von 5 % ist bei einem/einer hochbetagten Patient:in im Pflegeheim anderes zu bewerten als bei jüngeren Patient:innen mit einer längeren Lebenserwartung. Daher macht die Leitlinie „Chronische Nierenkrankheit in der Hausarztpraxis“ keine Angabe zu einer konkreten Risikoschwelle, ab der eine bestimmte Maßnahme erfolgen sollte. Vielmehr soll die Risikoabschätzung Ärzte und Ärztinnen und Patienten und Patientinnen unterstützen gemeinsam unter Berücksichtigung der individuellen Faktoren eine informierte Entscheidung zu treffen. 

Eine orientierende Empfehlung ist, bei einer Risikoschätzung von mehr als 3 bis 5 % in den nächsten 5 Jahren eine Überweisung in die Nephrologie zu erwägen. Dazu gibt es in der Leitlinie „Chronische Nierenkrankheit in der Hausarztpraxis“ eine Abbildung als Entscheidungshilfe. Viele Grunderkrankungen der CKD können in der Hausarztpraxis behandelt und überwacht werden.

Bisher gibt es keine Studien, die die Entscheidung für bestimmte Medikamente, z. B. von SGLT2-Hemmern, von der Risikoeinschätzung eines Nierenversagen abhängig machen. In den Studien zur nephroptotektiven Wirkung von SGLT2-Hemmern lag das Risiko für ein Nierenversagen in 2 Jahren zwischen 6 – 10 %.

Allgemeines zur Entwicklung eines Risikokalkulators

Risikokalkulatoren, auch Instrumente oder Risikoscores genannt, zur Abschätzung des Risikos, in diesem Fall eines Nierenversagens, werden aus Beobachtungsstudien (Derivationskohorten) entwickelt. Aus den in den Beobachtungsstudien erhobenen Daten (z. B. Alter, Geschlecht, Nierenfunktion, etc.) können eine oder mehrere Formeln zur Abschätzung des Risikos abgeleitet werden. Es ist wichtig zu verstehen, dass es sich um eine Schätzung handelt. Andere, nicht in der Formel berücksichtige, Faktoren können im Einzelfall für das individuelle Risiko eine größere Rolle spielen. Ein Risikokalkulator sollte nur bei Menschen genutzt werden, die in den wichtigsten Merkmalen mit den Teilnehmern der Beobachtungsstudie übereinstimmen. Für Menschen, z. B. mit bestimmten genetischen Erkrankungen, ist dieser Risikokalkulator evtl. nicht geeignet. Eine der Vorhersagegüte der KFRE bei verschiedenen Nierenkrankheiten, wie z.B. Polyzystischer Nierenkrankheit und Glomerulonephritis zeigte aber auch hier eine gute Diskrimination [8].

Risikokalkulatoren sollten immer in unabhängigen Beobachtungsstudien validiert sein (Kreuzvalidierung, externe Validierung) [2, 3, 4, 5]. 

Es gibt mehrere Möglichkeiten zu bewerten wie gut ein Risikokalkulator das vorherzusagende Ereignis, hier Nierenversagen in 2 und 5 Jahren, erkennt.

Die Diskriminationsfähigkeit wird mit einer ROC-Kurve (receiver operating characteristic) dargestellt. Die Fläche unter der ROC-Kurve (AUC) wird auch als C-Index bezeichnet und kann Werte zwischen 0 und 1 annehmen. Ein Wert nahe 1 weist auf eine gute Diskriminationsfähigkeit hin. Die AUC für die KFRE liegt zwischen 0,88 und 0,91 [3, 4, 5]. Das gilt als sehr guter Wert.

Die Vorhersagegenauigkeit der Wahrscheinlichkeitsvorhersage wird mit dem sog. Brier-Score gemessen. Ein niedriger Wert deutet auf eine bessere Vorhersagegenauigkeit hin. In den Validierungsstudien lag der Brier Index bei 0,1 bis 0,2 [2]. Das gilt als sehr guter Wert.

Als Kalibrierung wird eine Übereinstimmung zwischen vorhergesagten und beobachteten Werten bezeichnet. Ein Maß dafür ist der Hosmer-Lemeshow-Test. Ein nicht signifikanter Test spricht für eine ausreichende Kalibrierung [2].

Dieser Betrag ist ursprünglich erschienen in : Nierenarzt:Nierenärztin 1/2025

Alternativen zur KFRE

Es wurden bereits viele Risikokalkulatoren zur Abschätzung der Risikoversagens entwickelt. Diese sind aber nur eingeschränkt zur praktischen Nutzung verfügbar [6]. Für Menschen mit chronischer Nierenkrankheit (CKD) und Diabetes steht ein spezieller Risikokalkulator zur Verfügung, Beat DKD (Diabetic Kidney Disease), der in einer deutschen Population validiert wurde [7]. Das Instrument ist nur in Englisch verfügbar und erfordert noch weitere Informationen wie z. B. HbA

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Mit Risikokalkulatoren lassen sich Risiken meist besser abschätzen. Mit Risikokalkulatoren lassen sich Risiken meist besser abschätzen. © artistic - stock.adobe.com (Generiert mit KI)