Dem Glukosevermächtnis auf der Spur

Dr. Moyo Grebbin

Langzeitrisiken beim Typ-2-Diabetes können nur mit früher Diagnose und intensiver Glukosekontrolle bestmöglich reduziert werden. Langzeitrisiken beim Typ-2-Diabetes können nur mit früher Diagnose und intensiver Glukosekontrolle bestmöglich reduziert werden. © iStock/wongmbatuloyo

Die britische Langzeitstudie UKPDS – besonders ihr Follow-up – beeinflusst seit Jahren die Richtlinen zur ­Therapie des Typ-2-Diabetes. Eine neue Auswertung mit Fokus auf die individuellen HbA1c-Verläufe belegt einmal mehr, wie sehr sich eine zeitige gute Einstellung lohnt.

In der Zehn-Jahres-Nachbeobachtung der UK Prospective Dia­betes Study (­UKPDS) trat ein Phänomen zutage, das seitdem als der „Legacy“-Effekt bekannt wurde: Eine strikte Blutzuckerkontrolle zu Beginn des Typ-2-Diabetes korrelierte noch – bzw. erst – bis zu 30 Jahre später mit einer besseren Prognose.

Mit einer neuen Auswertung der Studie gingen Wissenschaftler um den Dia­betologen Professor Dr. Marcus­ Lind­ von der Universität Göteborg diesem Befund nach. Anhand der individuellen HbA1c-Historie der Patienten untersuchten sie den Zusammenhang einer frühen versus späten Glukosesenkung mit der Gesamtmortalität (all-cause mortality, ACM) und der Herzinfarktrate (myocardial infarction, MI) bis zu 20 Jahre nach Dia­gnose. Für die ACM-Analyse standen den Forschenden Daten von 3.802 ­UKPDS-Teilnehmenden zur Verfügung, für die MI-Auswertung waren es 3.219. Für diese Patienten berechneten Prof. Lind und Kollegen ACM- und MI-Hazardfunktionen beginnend ab dem Zeitpunkt der Dia­gnose.

Der „Legacy“-Effekt

Erst nach einer Nachbeobachtungszeit von zehn Jahren im Anschluss an die bereits 20 Jahre umfassende UKPDS erreichten die relativen Risikoreduktionen für Tod oder Herzinfarkt zwischen den Studienarmen mit bzw. ohne intensive Glukosesenkung Signifikanz. Das Verblüffende daran: Während des Follow-ups unter Routinebehandlung waren die Blutzuckerwerte in den beiden Gruppen praktisch identisch. Anstatt dass sich das Risiko anglich, profitierten die früh intensiv behandelten Patienten erst jetzt, bis zu 30 Jahre später, von der Intervention.

Erklärt die individuelle Glukosehistorie den Effekt?

Um herauszufinden, inwiefern der HbA1c-Verlauf zu verschiedenen Zeiten die Risiken zu sterben oder einen Herzinfarkt zu erleiden beeinflusst, nahmen sie eine mathematische Gewichtung der Werte auf Basis der späteren ACM- und MI-Risiken vor. So wollten sie testen, ob die individuelle Glukosehistorie den „Legacy“-Effekt erklären kann. Die Autoren kamen zu dem Ergebnis, dass ein um einen Prozentpunkt höheres HbA1c während der ersten 5, 10, 15 und 20 Jahre mit einem signifikant zunehmend gesteigerten Sterberisiko einherging:
  • 8 % höheres Risiko (5 Jahre)
  • 18 % (10 Jahre)
  • 28 % (15 Jahre)
  • 36 % (20 Jahre)
Für ein um 0,5 Prozentpunkte bzw. zwei Prozentpunkte höheres HbA1c über 5–20 Jahre ermittelte das Forscherteam ein signifikant gesteigertes ACM-Risiko von 4–16 % bzw. 17–86 %. Ähnliche zeitabhängige Effekte ergaben sich für das Herzinfarktrisiko. Mit einem um einen Prozentpunkt höheren HbA1c über die ersten fünf Jahre z.B. war es deutlich um 13 % gesteigert, über einen Zeitraum von 20 Jahren um 31 %. Wurde der Blutzucker von Beginn an um einen zusätzlichen Prozentpunkt gesenkt, reduzierte dies das Mortalitätsrisiko 10–15 Jahre später um 18,8 %. Erfolgte die intensivere Glukosekontrolle erst nach zehn Jahren, fiel die Risikoreduktion mit 2,7 % siebenfach geringer aus. Die entsprechenden MI-Risikoreduktionen betrugen 19,7 % bei sofortiger Glukosesenkung vs. 6,5 % mit zehn Jahren Verzögerung. 10–20 Jahre nach der Diagnose lag das Sterberisiko um den Faktor drei niedriger, wenn die intensive Glukosesenkung sofort stattgefunden hatte.

Welchem Studienarm der UKPDS  die Patienten angehörten, mache keinen signifikanten Unterschied, wenn das HbA1c im Rechenmodell eingeschlossen ist, erklärten die Forschenden. Es sei davon auszugehen, dass die verringerten Langzeitrisiken in der intensiven Therapiegruppe durch die frühe Senkung des Glukosespiegels hervorgerufen wurden. Der beim Typ-2-Diabetes beobachtete glykämische „Legacy“-Effekt lasse sich zu einem großen Teil dadurch erklären, dass historische HbA1c-Werte die klinische Prognose stärker beeinflussen als aktuelle Werte. Eine frühe Diabeteserkennung und intensive Glukosekontrolle von der Diagnose an seien essenziell, um die Langzeitrisiken bestmöglich zu reduzieren.

UKPDS-Design und Ergebnisse

In der UKPDS erhielten mehr als 5.000 Personen mit neu manifestiertem Typ-2-Diabetes verschiedene Therapien und wurden 20 Jahre lang beobachtet. Normalgewichtige Teilnehmende wurden zufällig folgenden Strategien zugeteilt: Im „konventionellen“ Behandlungsarm war lediglich eine Diätanpassung vorgesehen. Eine medikamentöse Glukosesenkung war nur erlaubt, wenn der Nüchternblutzucker 270 mg/dl überstieg oder bei nicht akzeptablen Anzeichen einer Hyperglykämie. Im „intensiven“ Studienarm bestand die Therapie aus Insulin oder Sulfonylharnstoffen. Das Ziel für alle Teilnehmenden war ein Nüchternglukosewert > 108 mg/dl. Das HbA1c wurde einmal im Jahr ermittelt. Unter intensiver Behandlung erreichten die Patienten einen im Mittel um 0,9 Prozentpunkte niedrigeren HbA1c-Wert. Sie profitierten im Hinblick auf mikrovaskuläre Komplikationen. Die Risiken für die Gesamtsterblichkeit und Herzinfarkte waren zum Studienende nicht signifikant reduziert, bei jedoch numerischer Herzinfarktrisikoreduktion von 16 % (p = 0,052).

Quelle: UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group. Diabetologia 1991; 34: 877-890

Quelle: Lind M et al. Diabetes Care 2021; dc202439; DOI: 10.2337/dc20-2439

Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).


Langzeitrisiken beim Typ-2-Diabetes können nur mit früher Diagnose und intensiver Glukosekontrolle bestmöglich reduziert werden. Langzeitrisiken beim Typ-2-Diabetes können nur mit früher Diagnose und intensiver Glukosekontrolle bestmöglich reduziert werden. © iStock/wongmbatuloyo