
Stetes Sägen am Metformin-Stuhl

Für Professor Dr. John Petrie, Universität Glasgow, bleibt Metformin ein wichtiger Grundstein der Diabetestherapie, auf dem die Therapiestruktur aufbaut. „Antidiabetika dienen dazu, den ganzen Diabetes zu behandeln, nicht nur die kardiovaskulären Folgen, so schwerwiegend sie auch sein mögen“, argumentierte er. Die Diabetologie hat inzwischen einen ganzen Strauß effektiver Arzneimittel zur Hand, die alle ihren Stellenwert und ihren Platz in den Algorithmen haben.
Dem Diabetologen geht es eher um Primärprävention
Nationale und internationale Leitlinien platzieren Metformin zusammen mit Lebensstilmaßnahmen an der Spitze, gefolgt von risikoadaptierten Strategien, erinnerte der Endokrinologe. Nur die ESC läuft aus dem Ruder und empfiehlt für therapienaive Patienten mit Typ-2-Diabetes als Firstline-Medikation einen SGLT2-Inhibitor oder GLP1-Rezeptoragonisten in Monotherapie, sofern sie bereits eine arteriosklerotische Gefäßerkrankung haben, einen anderen Endorganschaden oder viele Risikofaktoren.
Zu Kardiologe und Diabetologe kommen vielleicht die gleichen Patienten, aber aus unterschiedlichen Richtungen, so Prof. Petrie. Ersterer wird bei seinem primär herzkranken Patienten irgendwann auch den Zuckerstoffwechsel untersuchen. Der Diabetologe wird versuchen, seinem Patienten kardiovaskuläre Probleme zu ersparen. Anders gesagt: Für den Diabetologen geht es um kardiovaskuläre Primär-, für den Kardiologen um Sekundärprävention, und das beeinflusst die Strategie. „Es ergibt absolut Sinn für die kardiologischen Kollegen, gleich auf die nachweislich kardioprotektiven Antidiabetika zu setzen, aber bei noch gefäßgesunden Diabetespatienten ist Metformin erste Wahl“, meinte der Experte.
Die placebokontrollierte Studie VA-IMPACT mit rund 8.000 Patienten im Stadium des Prädiabetes soll eine lange bestehende Lücke schließen und den Einfluss von Metformin auf Herz-Kreislauf-Endpunkte klären. Denn das Biguanid hat wenig Daten zu kardiovaskulären Komplikationen und Mortalität vorzuweisen, die laut einer Metaanalyse sogar in unterschiedliche Richtungen gehen (Mortalität -16 %, aber Schlaganfälle +48 %). Auch die Mutter aller Metforminstudien, UKPDS, krankt an kleinen Zahlen, räumte Prof. Petrie ein. Die Ergebnisse des Placebovergleichs sollten eigentlich 2024 vorliegen, wegen COVID-19 wird sich dieser Termin aber vermutlich verzögern.
UKPDS hat noch mehr Schwachpunkte als die geringen Zahlen, findet Professor Dr. Nikolaus Marx, Kardiologe an der Uniklinik RWTH Aachen. Auch die jüngste Cochrane-Analyse von 2020 stellt dem Biguanid kein gutes Zeugnis aus: „Es gibt keine klare Evidenz, dass eine Metforminmonotherapie im Vergleich zu keiner Intervention, Verhaltensmodifikation oder anderen Antidiabetika patientenrelevante Outcomes günstig beeinflusst.“
In den neuen großen Endpunktstudien mit SGLT2-Inhibitoren und GLP1-Rezeptoragonisten waren 60–80 % der Teilnehmer mit Metformin behandelt. Da fragt man sich natürlich, was es zum Herz- und Nierenschutz beigetragen hat. Die Patientenzahlen waren groß genug, um entsprechende Auswertungen durchzuführen. Die Progression der Niereninsuffizienz in EMPA-REG Outcome schien schneller zu verlaufen bei Patienten, die zu Beginn Metformin an Bord hatten. In CANVAS gab es u.a. ein Ungleichgewicht bei Herzinsuffizienzhospitalisierungen zu Ungunsten von Metformin.
„Ich will damit nicht sagen, dass Metformin schadet, aber es bringt auf jeden Fall keinen Benefit“, so Prof. Marx. Das könnten Zufallsprodukte sein, wie sie bei Subgruppenanalysen vorkommen, meinte Prof. Petrie: „Patienten, die auf Metformintherapie sind, unterscheiden sich von denen, die es nicht nehmen – sie sind älter, haben mehr Begleiterkrankungen.“
Es gibt gute Argumente gegen den Therapiestart mit Metformin bei hohem Herzrisiko oder kardiovaskulärer Vorerkrankung, betonte Prof. Marx. So trägt es ohne echten Benefit zur Pillenlast bei, reduziert die Vitamin-B12-Spiegel und verstärkt den Bedarf an klinischem Monitoring wegen der Risiken und Kontraindikation bei nachlassender Nierenfunktion. In Deutschland sind SGLT2-Hemmer und GLP1-Agonisten allerdings nur als Add-on zu Metformin zugelassen, „deshalb kriegen die Patienten bei uns alle eine kleine Dosis Metformin“, so der Aachener Kollege.
Anhaltende Diskussion fördert klinische Trägheit
Zu viel Diskussion um dieses Thema könnte kontraproduktiv sein und die klinische Trägheit fördern, warnte Prof. Petrie: „Wenn wir Zeit damit verbringen zu argumentieren, ob Metformin als erstes kommt, laufen wir Gefahr, die adäquate Therapie unserer Patienten zu vernachlässigen.“ Patienten, die aufgrund ihres kardiovaskulären oder renalen Risikos die neuen Wirkstoffe brauchen, sollten sie auch erhalten, ungeachtet der Hintergrundtherapie, der glykämischen Kontrolle oder individueller Therapieziele.
Kongressbericht: ESC Congress 2021 – The Digital Experience
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