
Der tumorassoziierten Fatigue auf der Spur
Während der Tumorbehandlung erleben fast alle onkologischen Patienten eine Fatigue. Bei etwa 30–50 % halten die Symptome über den Zeitraum der Nachsorge an und ca. 10–20 % der Langzeitüberlebenden haben dauerhaft Beschwerden.
„Ich sehe in den Sprechstunden Patienten, die seit über 20 Jahren eine Fatigue haben“, betonte die Psychologin Dr. Irene Fischer vom Institut für Tumor-Fatigue-Forschung in Emskirchen.
Viele Wege führen in die Fatigue
ICD-10-Vorschlag Fatigue | |
---|---|
A1 | Deutliche Müdigkeit/Energieverlust/verstärktes Ruhebedürfnis, inadäquat zu vorheriger Anstrengung |
A2 | Allgemeine Schwäche/Gliederschwere |
A3 | Verminderte Fähigkeit zu Konzentration und Aufmerksamkeit |
A4 | Verringerte(s) Motivation/Interesse an Alltagsaktivitäten |
A5 | Schlaflosigkeit oder vermehrter Schlaf |
A6 | Schlaf nicht erholsam |
A7 | Starke Anstrengung nötig, um Inaktivität zu überwinden |
A8 | Deutliche emotionale Reaktionen auf Fatigue (z.B. traurig, frustriert) |
A9 | Schwierigkeiten, den Alltag zu bewältigen |
A10 | Probleme mit Kurzzeitgedächtnis |
A11 | Anhaltendes Unwohlsein nach Anstrengung |
Bewährte Ergänzung zur Basis-Diagnostik: Treffen sechs der aufgeführten Symptome inklusive A1 zu, kann die Diagnose Fatigue gestellt werden.
nach D. Cella et al., Oncology 1998; 12: 369–378 |
Doch wie lässt sich feststellen, ob der Patient eine tumorassoziierte Fatigue oder eine normale Müdigkeit hat?
Das NCCN* schlägt vor, jeden Patienten zu verschiedenen Zeitpunkten auf Fatigue zu screenen. Dies kann zum Beispiel unter Zuhilfenahme eines „Fatigue-Thermometers“ geschehen.
Damit wird die Intensität der Beschwerden in der vorangegangenen Woche erfasst (0 = nicht müde, 10 = extrem müde). Ab einem Schwellenwert von 4 sollte laut den aktuellen NCCN-Leitlinien1 eine weiterführende Diagnostik erfolgen. Im Mittelpunkt dieser steht laut Dr. Fischer die Anamnese.
Die Deutsche Fatigue Gesellschaft hat dazu aktuell einen Leitfaden2 entwickelt. Danach sollten folgende Punkte überprüft werden:
- Symptome (Art, Intensität, Häufigkeit)
- Beeinträchtigung (Art, Ausmaß)
- Beginn (Zeitpunkt, Situation); Verlauf
- Frühere Lebensphasen mit ähnlicher Müdigkeit?
- Unterschied zur normalen Müdigkeit?
Zudem ist die aktuelle Krankheitssituation zu erfassen (Tumorstatus, Komorbiditäten, Medikamente). Ergänzt durch eine vegetative und soziale Anamnese sowie eine Erfragung der körperlichen Aktivitäten.
Die Basis-Diagnostik kann durch die von Cella et al.2 vorgeschlagenen und inzwischen validierten ICD**-10-Kriterien (siehe Kasten) ergänzt werden. Dabei müssen mindestens sechs der aufgeführten Symptome – inklusive A1 – vorhanden sein.
Insgesamt dürfe man aber nicht vergessen, dass viele Wege in die Fatigue führen, betonte die Psychologin. Die Schlussfolgerung, dass ein Krebspatient müde ist, weil er Krebs hat, ist zu voreilig.
Auch z.B. Komorbiditäten, Medikamente, Anämien oder psychische Belastungen können entsprechende Beschwerden verursachen.
In jedem Fall sollten depressive Episoden differenzialdiagnostisch ausgeschlossen werden.
Ist die Diagnose gesichert und lassen sich keine kausalen (Mit-)Ursachen bzw. Einflussfaktoren ausmachen, sind unterschiedliche symptomatische Therapien möglich. Nicht medikamentös gibt es Evidenz für eine positive Wirkung von Bewegung und Sport auf die Fatigue, bestenfalls eine Kombination aus Ausdauer und Kraft. Dabei darf sich der Patient aber nicht überfordern.
Auch durch sogenannte Mind-Body-Verfahren wie Yoga, Qigong oder Tai-Chi lässt sich eine Besserung erzielen. Psychosoziale Interventionen (z.B. Energiemanagement) können dem Patienten helfen, zu lernen, mit den Beschwerden umzugehen.
Auch für das Selbstmanagementprogramm FIBS*** gibt es gute Referenzen.
Auch Guaraná oder Ginseng können helfen
Medikamentös hat sich der Off-Label-Einsatz von Methylphenidat bei Patienten mit schwerer und lang-anhaltender Fatigue bewährt.
Auch Modafinil ist bei diesen Patienten eine Therapieoption, allerdings wurden mitunter schwere Nebenwirkungen beobachtet, warnte Dr. Fischer.
Dexamethason rät sie nur vorübergehend einzusetzen, z.B. wenn besondere Anlässe anstehen. Phytomedikamentös ist ein Therapieversuch mit Guaraná zu empfehlen.
Auch mit Ginseng gibt es gute Erfahrungen. Dabei ist der asiatische Ginseng dem amerikanischen vorzuziehen, da dieser mehr der nachweislich wirksamen Ginsenoside enthält.
Quellen:
*National Comprehensive Cancer Network
**International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems
***Fatigue individuell bewältigen – Schulungsprogramm
1. NCCN Clinical Practical Guidelines in Oncology: Cancer-Related Fatigue. Version 1.2015
2. Irene Fischer et al. für Deutsche Fatigue Gesellschaft: Anamneseleitfaden. In: Heim, Weis, „Fatigue bei Krebserkrankungen“, Schattauer 2015
Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie 2015, Basel
Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).