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Diagnostik und Therapie auf den neuesten Stand gebracht

Charakteristisch für choreatische Erkrankungen wie den Morbus Huntington sind unwillkürliche, rasche und unregelmäßige Bewegungen von Extremitäten, Gesicht, Nacken und Rumpf. Die Hyperkinesen werden durch Stress und körperliche Aktivität verstärkt und sind den Betroffenen zunächst oft nicht bewusst. In fortgeschrittenen Stadien können sie gemeinsam mit dystonen Fehlhaltungen auftreten oder von diesen abgelöst werden.
Differenzialdiagnostisch muss der hereditäre Morbus Huntington von nicht-erblichen Formen der Chorea abgegrenzt werden. Wichtige Hinweise liefert oft schon die Familienanamnese. Aber ein negativer Befund schließt das Leiden nicht aus, zum Beispiel bei frühverstorbenen Elternteilen und unsicheren Verwandschaftsverhältnissen, heißt es in der Leitlinie der DGN*, die unter Federführung von Prof. Dr. Carsten Saft aus der neurologischen Klinik der Universität Bochum erstellt wurde. Zudem gibt es vielfältige Störungen mit Chorea-Symptomen, das Spektrum reicht von anderen erblichen Erkrankungen über Infektionen, Paraneoplasien und metabolischen Veränderungen bis zu medikamentösen Ursachen.
Neue Therapiemöglichkeiten
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Strategien zum „Huntington-Lowering“ durch Gen-Inaktivierung werden in ersten Studien untersucht.
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In einer genomweiten Assoziationsstudie wurden mindestens drei Loci als potenzielle genetische Modifikatoren des Krankheitsbeginns identifiziert. Sie sind vor allem mit DNA-Reparaturmechanismen assoziiert.
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Große Beobachtungsstudien haben Veränderungen im Sinne eines prodromalen Stadiums nachgewiesen, die bei Mutationsträgern mindestens zehn Jahre dem errechneten Krankheitsbeginn vorausgehen.
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Die Analysen zum Sigma-1-Rezeptoragonist Pridopidin befinden sich in der Phase 3.
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Die tiefe Hirnstimulation befindet sich noch im Experimentalstadium und ist nur in klinischen Studien sinnvoll.
Mindestens 36 Tripletts sind für Diagnose nötig
Der Morbus Huntington wird autosomal dominant vererbt, die Kinder von Mutationsträgern haben also ein 50%iges Risiko, selbst zu erkranken. Der auslösende Defekt führt zu sog. Triplett-Repeats, also zu DNA-Abschnitten im Genom, in denen eine Nukleotid-Dreierfolge wiederholt wird. Beim Huntington handelt es sich um das Triplet Cytosin, Adenin und Guanin (CAG). Finden sich im Huntingtin-Gen mindestens 36 CAG-Einheiten hintereinander, bestätigt dies die Diagnose. Bei Werten zwischen 36 und 39 ist die Penetranz der Krankheit jedoch unvollständig.
Bei Patienten mit typischer Huntington-Klinik (chronisch progrediente Symptomatik) empfehlen die Leitlinienautoren, die Diagnose molekulargenetisch zu sichern, sofern der Patient damit einverstanden ist. Das Recht auf Nichtwissen muss beachtet werden. Entsprechend darf die Untersuchung nur nach gründlicher Aufklärung, Bedenkzeit und eventuell psychologischer Evaluation (Coping-Strategien) erfolgen. Bei negativer Familienanamnese kann der Ausschluss einer strukturellen Hirnläsion vor dem Gentest sinnvoll sein.
Viele Patienten mit Morbus Huntington bemerken die beginnenden psychischen, kognitiven und motorischen Störungen zunächst nicht. Dabei hat die mangelnde Wahrnehmung anscheinend nichts mit einem Verdrängen der Symptome zu tun, sondern ist für das Krankheitsbild typisch. Deshalb sollte zur sicheren Feststellung des Krankheitsbeginns immer eine Fremdanamnese erfolgen. Außerdem ist zu beachten, dass die kognitiven und psychiatrischen Störungen (z.B. Depressionen) den motorischen Veränderungen um Jahre vorausgehen können.
Die Evidenzlage für die symptomorientierte Therapie ist trotz teils jahrzehntelanger Anwendung unzureichend. Die Empfehlungen basieren überwiegend auf offenen Studien, Kasuistiken und Expertenmeinungen. Gegen die Hyperkinesen werden überwiegend Dopaminrezeptorantagonisten (z.B. Tiaprid, Sulpirid) und dopamindepletierende Substanzen wie Tetrabenazin eingesetzt.
Aufgrund der extrapyramidalen Begleiteffekte ist eine möglichst niedrige Dosierung zu wählen. Tetrabenazin kann eine Depression auslösen oder verschlechtern. Es eignet sich deshalb nicht für Betroffene mit dieser affektiven Störung. Zudem ist eine Behandlung bei Hyperkinesen nur sinnvoll, wenn diese die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Wegen der sedierenden Wirkung wird für Tetrabenazin und Tiaprid eine Verteilung auf vier Dosen mit Schwerpunkt zur Nacht empfohlen.
Die Depression verläuft bei Patienten mit Chorea Huntington häufig besonders schwer und sie ist mit einer hohen Suizidrate verbunden. Zur Behandlung eignen sich selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI), insbesondere Venlafaxin. Bei gleichzeitigen Schlafstörungen kann die Einnahme von Mirtazapin und Mianserin, ggf. auch von Melatonin(agonisten)sinnvoll sein. Trizyklische Antidepressiva können Kognition und Hyperkinesen verschlechtern und sollten deshalb – wenn überhaupt – nur niedrig dosiert eingesetzt werden. Eine Indikation besteht u.U. bei Huntingtonpatienten mit Insomnie oder verstärktem Speichelfluss. Bei leichten depressiven Phasen kann Sulpirid neben der Psyche auch die Motorik bessern.
Zwangssymptome sprechen auf Antidepressiva mit überwiegender Hemmung der 5-HT-Aufnahme, SSRI und Antipsychotika an. Auch ein Versuch mit SSRI und Neuroleptika (z.B. Olanzapin, Risperidon) kommt in Betracht. Angst und Unruhe lassen sich eventuell mit pflanzlichen Mitteln lindern. Alternativ kommen Bupropion, Hydroxyzin, nicht-trizyklische Antidepressiva (z.B. Mirtazapin oder SSRI) sowie sedierende Antipsychotika mit geringem anticholinergem Nebenwirkungspotenzial in Betracht.
Prädiktive Gendiagnostik
Asymptomatische Personen, die möglicherweise die Mutation geerbt haben, können von einer prädiktiven genetischen Untersuchung profitieren. Diese setzt aber eine genetische Beratung ebenso voraus wie die psychologische Betreuung. Der Patient muss einwilligungsfähig, also in der Regel volljährig sein. Zwischen der ersten Besprechung und der genetischen Untersuchung wird eine Bedenkzeit von mindestens vier Wochen gefordert. Außerdem sollten die Ratsuchenden bis zur Mitteilung des Ergebnisses die prädiktive Testung widerrufen können.
Antipsychotika können multiple Effekte bringen
Gegen die oftmals vorhandene Reizbarkeit und Aggressivität können Stimmungsstabilisierer und Antipsychotika helfen. Mitunter kann man mit ihrer Applikation auch multiple Effekte erzielen, so verbessert Risperidon zusätzlich Hyperkinesen und Schlafstörungen. Huntington-Patienten mit einer begleitenden Psychose profitieren von Neuroleptika. Erfahrungen liegen unter anderem für Olanzapin, Aripiprazol, Quetiapin und Clozapin vor.
Ein alimentäres Problem ist die infolge der ständigen Muskelkontraktionen erhöhte katabole Stoffwechsellage: Patienten mit Chorea Huntington benötigen eine hochkalorische Kost mit bis zu sechs oder acht Mahlzeiten täglich und/oder eine entsprechende Nahrungsergänzung. Bei Schluckstörungen hilft eventuell das Andicken von Flüssigkeit, auch die frühzeitige Anlage einer PEG kann sinnvoll sein.
* Deutsche Gesellschaft für Neurologie
Quelle: S2k-Leitlinie „Chorea/Morbus Huntington“, AWMF-Register-Nr. 030-028, www.awmf.org
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