Einsparpotenzial für Medikamente nutzen

DGIM 2023 Birgit Maronde

Moderater Sport wirkt bei Rheumpatient:innen oft ebenso gut wie oder sogar besser als Medikamente. Moderater Sport wirkt bei Rheumpatient:innen oft ebenso gut wie oder sogar besser als Medikamente. © Andrey Popov – stock.adobe.com

Passivität war gestern: Rheumapatienten profitieren von Sport bzw. körperlicher Aktivität. Anzustreben sind 150 Minuten pro Woche mit moderater Belastung. Wer es intensiver mag, kommt auch mit 60 Minuten pro Woche hin. 

Bewegungstherapie zielt bei Rheumapatienten schon lange nicht mehr nur auf die Stabilisierung und den Aufbau von Muskelmasse, um die lädierten Gelenke zu schützen. Heute geht es vor allem darum, die Autoinflammation zurückzufahren, d.h. mit der körperlichen Aktivität eine molekulare, zytokingesteuerte Response zu erzielen. Durch Muskelarbeit wird zwar primär das proinflammatorische Interleukin-6 ausgeschüttet. Doch in der Folge kommt es zur Gegenregulation: Das antiinflammatorische Zytokin IL-10 steigt an, der IL-1a-Rezeptor wird verstärkt exprimiert. Diese Erkenntnisse macht man sich klinisch zunutze, berichtete PD Dr. Philipp­ Sewerin­ vom Rheumazentrum Ruhrgebiet in Herne­. Beispielhaft führte er drei Studien an.

Schon vor einigen Jahren konnte eine deutsche Arbeitsgruppe in einer Proof-of-Concept-Studie zeigen, dass ein intensives Bewegungsprogramm bei aktiver Spondylo­arthritis (SpA) zu einer signifikanten Schmerzreduktion führt. 20 Patienten trainierten vier Monate lang dreimal pro Woche für jeweils 30 Minuten unter physiotherapeutischer Anleitung. Alle standen unter einer Therapie mit Etanercept, dessen Dosis im Vergleich zur Standarddosierung halbiert war (25 mg pro Woche). Anschließend beobachtete man die Patienten unter fortgesetzter Etanercepttherapie zwei Monate lang weiter. 

Nach acht Wochen war der SpA-Aktivitätsindex BASDAI*­ von im Mittel 6,0 auf 3,9 abgefallen. Nach 16 Wochen lag er bei 3,2 und stieg in den zwei Monaten ohne Physio­therapie wieder auf 3,6 an. Auch das Ansprechen gemäß der Assessment­ of SpondyloArthritis International Society (ASAS) wurde ermittelt. Nach sechs Monaten lag die ASAS40-Response bei 40 %. Zum Vergleich: In der Zulassungsstudie von Etanercept in voller Dosierung hatte sie 42 % erreicht, meinte Dr. Sewerin­. Zu Studienbeginn hatten 16 Patienten NSAR eingenommen, zu Studienende waren es nur noch 8. 

Einen positiven Effekt körperlicher Aktivität in Kombination mit Kalorienrestriktion zeigte eine Studie bei adipösen Patienten mit moderater bis schwerer Plaque­psoriasis, die medikamentös mit Ciclosporin (2,5 mg/kgKG/d) behandelt wurden. Der BMI lag im Kollektiv bei ≥ 30 kg/m2, die BSA** betrug ≥ 10 %. Über 24 Wochen nahmen Patienten der Interventionsgruppe mindestens viermal pro Woche über jeweils mindestens 40 Minuten an einem Programm mit moderater körperlicher Aktivität teil. Zudem wurde ihre tägliche Kalorienaufnahme um 500 Kcal reduziert. Ziel war, eine Gewichtsreduktion um 5–10 % zu erreichen. Die Probanden der Kontrollgruppe dagegen erhielten zusätzlich zu ihrer medikamentösen Therapie nur eine Beratung. 

Primärer Endpunkt war das PASI-75-­Ansprechen nach Woche 24. Diesen erreichten in der Interventionsgruppe 66,7 % versus 29 % in der Kontrollgruppe. Das Körpergewicht der Patienten hatte sich um durchschnittlich 7 ± 3,5 kg versus 0,2 ± 0,9 kg reduziert. 

In einer dritten von Dr. Sewerin­ vorgestellten Studie wurde hochintensives Intervalltraining auf dem Fahrradergometer (zweimal pro Woche über zehn Wochen) bei sieben Frauen mit aktiver rheumatoider und elf mit aktiver juveniler idiopathischer Arthritis getestet. BMI, Hüftumfang und Körperfett nahmen unter der Therapie signifikant ab, die Muskelmasse dagegen zu. Das hochsensitive CRP sank von 1,98 mg/l auf 1,23 mg/l.

Diese und weitere Studien führten bereits 2018 zu Bewegungsempfehlungen durch die European Alliance of Associations for Rheumatology (EULAR­). Für Patienten mit rheumatoider Arthritis, SpA oder Arthrose orientieren sich diese im Prinzip an denen für Gesunde, wobei die körperliche Funktion zu berücksichtigen ist. Anzustreben ist demnach eine moderate körperliche Aktivität von 150 Minuten pro Woche bzw. von 60 Minuten pro Woche bei hoher Intensität. Moderate Intensität bedeutet, dass man sich während der Belastung noch unterhalten, aber nicht mehr singen kann, erläuterte Dr. Sewerin. Betont wird, dass körperliche Aktivität die Gesundheit verbessert und dass Sport sicher ist. Das individuell abgestimmte Programm sollte die Präferenzen und Möglichkeiten des Patienten berücksichtigen. 

Prinzipiell muss man im Hinblick auf Sport und Bewegung zwischen drei Motivationsstufen seitens der Patienten unterscheiden. So gibt es Menschen, die körperlicher Aktivität ablehnend gegenüberstehen und lieber auf ihrer Couch verharren wollen. Sie wird man kaum vom Gegenteil überzeugen können. Das muss man letztlich akzeptieren, meinte der Kollege.

Eine weitere Gruppe möchte sich zwar mehr bewegen, hat aber ein Problem, den Wunsch in die Tat umzusetzen. In diesen Fällen kann es u.a. helfen, Wissen zu vermitteln, die Risikowahrnehmung bzw. das Problembewusstsein zu fördern, Feedback zu geben, Ziele zu setzen und verbindliche Absprachen zu treffen. 

Die dritte Gruppe schließlich ist bereits hoch motiviert und benötigt eigentlich nur noch Handlungspläne: Was soll wann, wo und wie trainiert werden? „Jede Form der Bewegung hilft“, betonte Dr. Sewerin­. Gerade zu Beginn sei das Ziel von 150 Minuten pro Woche oft nicht zu erreichen. Welchem Sport der Einzelne nachgeht, spielt keine Rolle. Wenn der Patient Fußball spielen will, soll er Fußball spielen. Und auch das Timing zählt nicht. Sogar die sogenannten Weekend­ Warriors­ tun sich etwas Gutes, erklärte Dr. Sewerin­. 

Auf etwaige Hindernisse sollte der Patient allerdings vorbereitet sein, d.h., er sollte Bewältigungspläne parat haben und Gegenstrategien kennen. Auch die Selbstbeobachtung via Tagebuch und Trainingsplänen ist hilfreich, um die Volition zu steigern.

* Bath Ankylosing Spondylitis Disease Activity Index 
** Body Surface Area

Quelle: Kongressbericht 129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin

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Moderater Sport wirkt bei Rheumpatient:innen oft ebenso gut wie oder sogar besser als Medikamente. Moderater Sport wirkt bei Rheumpatient:innen oft ebenso gut wie oder sogar besser als Medikamente. © Andrey Popov – stock.adobe.com