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Empfehlungen zu Diagnostik und Therapie

Die klassische amyotrophe Lateralsklerose (ALS) resultiert aus einer Schädigung des ersten und zweiten Motoneurons in einer oder mehreren Körperregionen. Je nach Lokalisation kommt es zu unterschiedlich progredienten Symptomen bzw. Einschränkungen bis hin zur respiratorischen Insuffizienz. In der Regel zeigt die Erkrankung einen raschen Verlauf – die Lebenserwartung liegt im Schnitt nur bei 2–4 Jahren, heißt es in der neuen S1-Leitlinie.
Bisher wurden vor allem Läsionen des kortikospinalen Trakts, der Vorderhornzellen und der bulbären motorischen Hirnnervenkerne für die Erkrankung verantwortlich gemacht. Mittlerweile wird aber auch ein primär kortikaler Beginn diskutiert. Dafür könnte auch der hohe Prozentsatz von Patienten mit extramotorischen Symptomen wie kognitive Einbußen und Verhaltensauffälligkeiten bis hin zur manifesten frontotemporalen Demenz sprechen. Sie treten bei etwa 5 % der ALS-Patienten auf, schreiben die Experten um Prof. Dr. Albert C. Ludolph von der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Ulm.
Die Diagnose wird primär klinisch gestellt. Anfangs sind die Defizite oft schwer zu erkennen, sodass gründlich nach ihnen gesucht werden muss. Viele Patienten klagen über generalisierte Faszikulationen und Muskelkrämpfe, was aber weder spezifisch noch Voraussetzung für die Diagnose ist. Eine Fatigue tritt vor allem in späteren Stadien auf und ist u.a. mit der Schlafqualität und Hyperkapnien assoziiert.
Nach Beginn an einer Extremität oder an der bulbären Region findet man typischerweise Folgesymptome in angrenzenden Körperregionen. Sensibilitätsstörungen und Schmerzen gehören primär nicht zu den Zeichen einer ALS (schließen sie aber nicht aus). Blasen- und Mastdarmstörungen treten in der Regel nicht auf.
Differenzialdiagnosen sicher ausschließen
Die Verdachtsdiagnose einer frühen ALS kann nach der 1+1-Regel gestellt werden. Danach müssen entweder die Funktion des zweiten Motoneurons an zwei Extremitäten oder die Funktion des ersten und zweiten Motoneurons einer Extremität betroffen sein – oder aber eine pathogene Mutation plus Defizite an einer Extremität vorliegen. Andere mögliche Diagnosen wie eine radikuläre Myelopathie sind natürlich auszuschließen.
Untermauert werden soll der Verdacht mit einer Reihe obligatorischer Untersuchungen. Liquor- und Laboranalysen, Serologien oder Muskelbiopsien sind fakultativ und dienen vor allem dem Ausschluss möglicher Differenzialdiagnosen. Eine genetische Diagnostik wird zurzeit nur bei Betroffenen mit positiver Familienanamnese, nicht aber bei der sporadischen ALS empfohlen. Dies könnte sich in Zukunft aber ändern, wenn die Therapie mit Antisense-Oligonukleotiden bei bestimmten Mutationen zur Verfügung steht. Die prädiktive Testung asymptomatischer Familienmitglieder sollte nur auf ausdrücklichen Wunsch nach Beratung durch Humangenetiker erfolgen.
Obligatorische Untersuchungen bei Verdacht auf ALS
- klinisch-neurologische Untersuchung inkl. Elektromyographie und -neurographie
- kraniale und spinale MRT-Bildgebung (falls differenzialdiagnostisch sinnvoll)
- klinisch-neuropsychologische Befunderhebung
- Lungenfunktion (Anfangsdokumentation nach Diagnosestellung), ggf. nächtliche Kapnometrie im Verlauf bei klinischen Hinweisen auf respiratorische Insuffizienz
- Körpergewicht, Body-Mass-Index (Anfangsdokumentation nach Diagnosestellung)
- regelmäßige Erhebung der „ALS- Functional Rating Scale (ALSFRS) an spezialisierten Zentren
Die Therapie der ALS ist eine Kombination aus krankheitsmodifizierender Pharmakotherapie, symptomatischer und palliativ-medizinischer Behandlung sowie der Versorgung mit Hilfsmitteln. Alle Patienten sollten Riluzol (2 x 50 mg/d) erhalten. Das krankheitsmodifizierende Medikament blockiert u.a. spannungsabhängige Natriumkanäle, was zu einer verminderten Freisetzung von Glutamat und einer reduzierten Exzitotoxizität führt. Dadurch kann die Tracheostomie herausgeschoben und das Überleben verlängert werden.
Weitere krankheitsmodifizierende Substanzen befinden sich zurzeit in unterschiedlichen Stadien der klinischen Prüfung. Erfüllt ein Patient die entsprechenden Einschlusskriterien, sollte er die Möglichkeit zur Teilnahme an solchen Studien bekommen.
Ziel der symptomatischen Therapie ist es, die Symptome zu lindern und Lebensqualität und Autonomie so lange wie möglich zu erhalten. Dazu gehört auch die ausführliche Beratung des Patienten und seiner Angehörigen über die Ernährungs- und Beatmungstherapie. Individuelle Behandlungsziele müssen erarbeitet, und der Kranke ggf. beim beim Abfassen einer Patientenverfügung unterstützt werden.
Logopädie gegen Dysarthrie und Dysphagie
Krankengymnastik und Ergotherapie tragen dazu bei, die Funktionalität so lange wie möglich zu erhalten, sowie Ausdauer, Muskelkraft und das kardiovaskuläre System zu stärken. Logopädie wird zur frühen Behandlung der Dysarthrie und später auch der Dysphagie eingesetzt.
Im Verlauf gewinnt die Therapie der chronisch respiratorischen Insuffizienz an Bedeutung. Sie ist Folge der durch chronische Muskelschwäche bedingten Hypoventilation. Bei zäher Verschleimung helfen Mukolytika, wobei auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr geachtet werden muss. Inhalative Betamimetika oder Theophyllin wirken lindernd bei obstruktiven Störungen.
Nicht-invasive Heimbeatmung wirkt lebensverlängernd
Gegen hypoventilationsbedingte Beschwerden wie Schlafstörungen, Tagesmüdigkeit oder morgendliche Kopfschmerzen hilft die nicht-invasive Heimbeatmung. Sie verbessert die Lebensqualität und wirkt bei der Mehrzahl der Patienten lebensverlängernd. Tracheotomie und invasive Beatmung sollten nur nach strenger Indikationsstellung unter Berücksichtigung des Patientenwillens und des individuellen Krankheitsverlaufs erfolgen. Hierbei ist zu erwähnen, dass nach Notfallintubationen das Entwöhnen durchaus wieder möglich ist.
Abhängig von den Beschwerden empfehlen sich in allen Phasen der Erkrankung die folgenden Maßnahmen:
- Lymphdrainage bei paresebedingten Lymphödemen
- Wärme und manuelle Therapie bei Spasmen und Myalgien
- Kolonmassage zur Linderung von Obstipation
Bleibt noch die palliative Therapie. Sie umfasst u.a. die Pneumonie- und Thromboseprophylaxe, die Behandlung von Sialorrhoe, Schluckstörungen und Katabolismus (u.U. mittels PEG-Sonde) und ggf. von Schmerzen, Muskelkrämpfen, Spastik, Angst und Depression. Bei allen Patienten muss frühzeitig die Versorgung mit modernen Hilfsmitteln und Assistenztechnologien sichergestellt werden.
Quelle: S1-Leitlinie „Motoneuronerkrankungen“, AWMF-Register-Nr.: 030/001, www.awmf.org
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