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Erythrozytose: Ab einem Hämatokrit von 45 % drohen tödliche kardiovaskuläre Komplikationen

Gesteuert wird die Erythrozytenbildung vor allem durch das Hormon Erythropoetin (EPO). Die Erythropoese erfolgt im Knochenmark und dauert unter physiologischen Bedingungen etwa acht Tage. Als wichtigster Stimulator der EPO-Bildung wirken Änderungen im gewebeeigenen Sauerstoffpartialdruck. Die physiologische EPO-Plasmakonzentration liegt bei 6–32 U/l, so Dr. Kai Wille und Kollegen vom Johannes-Wesling-Klinikum in Minden.
Die Diagnose der Erythrozytose (früher Polyglobulie genannt) stützt sich auf zwei Parameter: den Hämoglobingehalt im Blut (Hb) und den Hämatokritwert (Hkt) als Maß für den Erythrozytenanteil im Blut. Bei Männern spricht man von einer Erythrozytose bei einem Hb > 16,5 g/dl und einem Hkt > 49 %. Bei Frauen liegt die Schwelle etwas tiefer: Hier reichen Hb > 16,0 g/dl und Hkt > 48 %. Zum Ausschluss einer Pseudopolyglobulie durch erniedrigtes Plasmavolumen sollten Hämoglobin und Hämatokrit mehrfach, z.B. zu drei unterschiedlichen Zeitpunkten, bestimmt werden.
Diagnostik bei Erythrozytose
Dreierregel
3-mal Hb = Hkt ± 3 %
Kopfdruck und Schwindel wegen Durchblutungsstörung
Mehr als 95 % der Betroffenen weisen eine JAK2-Mutation auf. Da es sich um eine erworbene klonale Stammzellerkrankung handelt, besteht häufig auch eine Leuko- und/oder Thrombozytose. Durch die erhöhte Blutviskosität entwickeln sich häufig Mikrozirkulationsstörungen, die sich z.B. durch Kopfdruck und Schwindel bemerkbar machen können. Typisch ist auch eine Erythromelalgie, d.h. eine anfallsweise auftretende schmerzhafte Rötung an den Extremitäten. Bis zu 70 % der PV-Patienten leiden außerdem an einem aquagenen Pruritus.Polycythaemia vera mit ASS und Aderlässen behandeln
Eines der wichtigsten Therapieziele ist die Reduktion des erhöhten Thromboembolie-Risikos. Zudem sollen die quälenden Symptome gelindert und der Übergang in eine Myeolofibrose oder Leukämie verhindert werden. Deshalb muss die PV als einzige Erythrozytose bereits zum Zeitpunkt der Diagnose behandelt werden. Bei guter Einstellung der Blutwerte ist die Lebenserwartung kaum eingeschränkt. Die Primärtherapie ruht auf zwei Säulen, der Gabe von ASS (100 mg/d) und der Durchführung von Aderlässen. Damit kann man den Hämatokrit am schnellsten senken und die Hyperviskositätssymptome beseitigen. Als Ziel wird ein Hämatokrit unter 45 % angestrebt, denn erst ab diesem Bereich wird die Zahl der tödlichen kardiovaskulären Komplikationen und schweren venösen Thrombosen wirksam gesenkt. Eine Eisensubstitution ist unter der Aderlasstherapie kontraindiziert – auch bei Mangelsymptomen, denn sie kann zu einem sprunghaften Anstieg des Hkt führen. Bei fortschreitender Erkrankung oder schlechter Verträglichkeit der Aderlässe können Medikamente wie Hydroxyurea, Alpha-Interferon oder Ruxolitinib Zellzahl und Symptomlast senken.Nach exogen zugeführtem Hormon fragen
Sekundäre kongenitale Erythrozytosen sind selten und beruhen meist auf Mutationen in Genen, die die sauerstoffabhängige EPO-Produktion regulieren. Aderlässe zeigen hier im Gegensatz zur Polycythaemia vera keinen Nutzen. Bei sekundär erworbenen Erythrozytosen führt in der Regel eine Hypoxie zu einer gesteigerten EPO-Synthese. Sie kann sich z.B. infolge einer Herz- oder Lungeninsuffizienz oder eines chronischen Nikotinabusus ausbilden. Auch Tumoren sollten ausgeschlossen werden. Therapeutisch steht die Behandlung der Grundkrankheit an erster Stelle. Aderlässe sind nur in Einzelfällen bei Mikrozirkulationsstörungen sinnvoll. Bei der Ursachensuche sollte man auch nach einer exogenen EPO-Zufuhr fragen, etwa aufgrund von Malignomen oder Nierenerkrankungen. Außerdem kommen EPO- und Androgen-Doping als Auslöser infrage.Quelle: Wille K et al. Dtsch Med Wochenschr 2019; 144: 128-135
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