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Fatale Fehler – Neurochirurg langt voll daneben

Fall 1:
Ein 50-Jähriger erhält im Jahr 2002 wegen eines Bandscheibenvorfalls und einer Myelopathie auf Höhe C5/6 ein Titaninterponat. Mehr als 15 Jahre später kontrolliert man wegen anhaltender Brachiocephalgien und Kribbelparästhesien seine HWS mittels MRT. Der Wirbelkörperabstandshalter sitzt nach wie vor gut. Doch es finden sich Osteochondrosen (C3/4), Protrusionen (C3/4 und C4/5) und ein kleiner links mediolateraler Prolaps auf Höhe C6/7. Auch ist eine (relative) Spinalkanalstenose (C3/4 und C4/5) erkennbar. Der Neurochirurg, der den ersten Eingriff durchgeführt hat, erachtet jedoch keinen dieser Befunde als operationswürdig.
Kurze Zeit später erheben die Neurologen einer Klinik bei dem Patienten einen unauffälligen Befund, sieht man von einem leicht abgeschwächten Trizepssehnenreflex einmal ab. Einige Wochen danach erfolgt eine Myeolographie, die aber ebenfalls nichts zeigt, was zu einer OP einladen würde. Insbesondere ist keine höhergradige Spinalkanalstenose nachweisbar.
Der Patient ist mit den Aussagen seiner Ärzte nicht zufrieden. Er schickt deshalb seine Bilder an einen Operateur, der in einer Fachzeitschrift für Orthopädieschuhmachermeister angepriesen wird. Per Brief erhält er daraufhin die folgende Empfehlung: Sollte er sich für eine OP entscheiden, würde man auf Höhe HWK 3 eine Bandscheibenprothese implantieren, den Spinalkanal von C4 bis C7 entlasten, das alte Implantat und die Wirbelkörper entfernen und sie langstreckig ersetzen. Um Terminvereinbarung wird gebeten...
Wie der Sachverständige später in seinem Gutachten feststellen wird, geben die dem Neurochirurg übermittelten Bilder nichts her, was auch nur ansatzweise eine langstreckige Spondylodese rechtfertigen könnte, zumal der Patient keinerlei entsprechende klinische Symptome aufweist.
Der Mann lässt sich auf die OP ein und in den ersten postoperativen Tagen geht es ihm verhältnismäßig gut. Dann aber dreht er sich unglücklich und erfährt einen elektrisierenden Schlag bis ins Gesäß. Nach längerer Diskussion mit dem Operateur wird eine CT durchgeführt, die laut dem Radiologen aber nichts Auffälliges ergibt. Der Befundbericht fällt allerdings so knapp aus, dass er den Verdacht des Sachverständigen wecken wird. Sein Kommentar zu den CT-Bildern bzw. dem darauf sichtbaren Zustand nach OP: „Jeder, der früher mal mit Lego oder Fischertechnik in seiner Kindheit zu tun hatte, weiß: Das geht nicht gut.“
Nicht zugelassenes Implantat eingesetzt
Tatsächlich rutscht der Wirbelkörperabstandshalter nach der Entlassung aus der Klinik ab, was bei dem Patienten zu Querschnittssymptomen führt und eine Revisions-OP erforderlich macht. Die erfolgt just durch den Neurochirurgen, der den Eingriff ursprünglich abgelehnt hat. Für den Patienten bleiben jedoch eine beinbetonte Paraspastik und eine Blasen-Mastdarm-Störung zurück.
Der Fall kommt vor Gericht. Dieses bescheinigt aufgrund der Gutachten Fehler in Diagnose, Operation und Nachbehandlung des Patienten. Zudem war das eingesetzte Implantat für Spondylodesen bei degenerativen Erkrankungen gar nicht zugelassen, sondern nur bei Tumor-OPs. Damit erfolgte die Therapie off label, worüber der Neurochirurg nicht aufgeklärt hatte. Die Entschädigungssumme beträgt etwa 400.000 Euro. „Nur für den Geschädigten. Was die Krankenkasse möglicherweise haben will, steht in den Sternen,“ so der Referent.
Fall 2:
Ein 25-jähriger Student lässt sich von seinem Hausarzt wegen Rückenschmerzen immer mal wieder behandeln. Als er schlagartig erneut Schmerzen hat, bekommt er eine paravertebrale Injektion mit Carbostesin verteilt auf sieben bis acht Einstichstellen, wobei eine Nadel von 40 mm zum Einsatz kommt. Doch statt besser zu werden, spitzt sich die Situation zu.
Der junge Mann kann seine Beine immer schlechter bewegen, weshalb ihn der Hausarzt in eine neurologische Klinik einweist. Dort erkennt man eine Paraspastik bei sensiblem Niveau TH12. Dass der Patient paravertebrale Injektionen erhalten hat, wird im Aufnahmebogen vermerkt und später bei jedem Konsil erneut festgehalten.
Noch am gleichen Tag erfolgt eine MRT. Darin zeigt sich zwar ein Bandscheibenvorfall, doch der wird vom Radiologen nicht gesehen. Die Ärzte gehen weiterhin davon aus, dass die Injektionen des Hausarztes zu einem Myelonschaden geführt haben könnten. Sie veranlassen elektrophysiologische Untersuchungen und eine CT des Abdomens plus Angiographie, um nicht ein Aneurysma oder eine Dissektion zu übersehen.
25-Jähriger blieb querschnittsgelähmt
Als der junge Mann Brustschmerzen im Sinne von Querschnittsschmerzen entwickelt, wird ein Neurochirurg hinzugezogen, der nach mittlerweile mehr als 24 Stunden erneut eine MRT veranlasst. Aufgrund des Befundes führt er eine Dekompression mittels Laminektomie durch, die Raumforderung, sprich die prolabierte Bandscheibe, bleibt jedoch unangetastet, was die Erholung des Rückenmarks unmöglich macht.
In der Konsequenz bleibt der Student querschnittsgelähmt. Als Entschädigung bekommt er vom Gericht 500.000 Euro zugesprochen. Die Richter sehen nicht nur Diagnose-, sondern auch Behandlungsfehler der beteiligten Ärzte, die sie am Zeitverzug, am falschen operativen Zugang und dem Belassen der Raumforderung festmachen.
Quelle: 71. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie (Online-Veranstaltung)
aktualisiert am 08.10.2024 um 09:33 Uhr
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