Gastrointestinaltrakt und Nierenersatzverfahren

Elke Klug

Um Risiken zu vermeiden, muss auch das antikoagulatorische Potenzial von Vitamin D beachtet werden. Um Risiken zu vermeiden, muss auch das antikoagulatorische Potenzial von Vitamin D beachtet werden. © Valerii Honcharuk – stock.adobe.com

Magen, Darm und Niere – Bei CKD-bzw. Dialyse-Patient:innen sind zahlreiche Interaktionen zu beachten.

Im Dezember 2023 fand das 36. Berliner Dialyseseminar statt. Einmal mehr erwies sich die Veranstaltung als ein Forum zur Vermittlung speziellen Wissens, welches Nephrolog:innen und Pflegefachkräfte für die Behandlung von CKD- und Dialysepatient:innen benötigen – bei gastrointestinalen Problemstellungen z. B. als Ernährungsberater, Infektiologen und Gerinnungsspezialisten. So wurden in diesem Jahr Themen wie „Mikrobiom und Urämietoxine“, „Uropathogenität von Darmkeimen“ sowie „Gastrointestinale Blutungen bei Hämodialyse- Patienten“ diskutiert.

GI-Blutungen bei Hämodialyse

Prof. Dr. Jürgen Floege

Effektive Antikoagulation bei HD-Patienten – eine Gratwanderung

Laut Bericht der Deutschen Herzstiftung (2020) leiden in Deutschland ca. 1,6 Millionen Menschen an Vorhofflimmern (VHF), darunter zahlreiche Patient:innen mit chronischer Niereninsuffizienz (CKD) als eine der häufigen Begleit- bzw. Grunderkrankungen. Prof. Dr. Jürgen Floege, Aachen, befasste sich in diesem Zusammenhang mit einem in der Dialysepraxis oft auftretenden Dilemma: Bei ca. 8 % der erwachsenen Dialysepatient:innen treten gastrointestinale Blutungen auf, verbunden mit einer hohen Rate rascher erneuter Hospitalisation und einem deutlich erhöhten Mortalitätsrisiko. 

Die Indikation zur Antikoagulation z. B. mit Vitamin K-Antagonisten oder NOAKs sei, so schickte er voraus, nach wie vor eine kontrovers diskutierte Angelegenheit, da nicht klar ist, ob und unter welchen Bedingungen Dialysepatient:innen mit ähnlichem Risikoprofil wie Menschen ohne Dialyse von der Antikoagulation profitieren. Es sei mehr als fraglich. Eine große Registeranalyse aus Schweden (n=12.000) (Welander F et al. Clinical Kidney Journal 2022) hat die Wirkung eines Vitamin- K-Antagonisten vs. keine Therapie bei CKD G3-G5D-Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern und Niereninsuffizienz untersucht. Sie habe z. B. gezeigt, dass bei Probanden unter Medikation zwar eine relative Risikoreduktion für Apoplexe als ohne Warfarin beobachtet wurde (3,7 vs. 5 %), aber fünfmal so viele Blutungen wie ischämische Schlaganfälle zu verzeichnen waren. Unter „keine Therapie“ waren es nur 2,5 Mal so viele. Und Hirnblutungen traten doppelt so häufig auf unter Vitamin K-Antagonisten wie unter „keine Therapie“. 

„Was also tun?“, fragte Floege. Antikoagulativ behandeln, um den Patienten vor dem einen Ereignis zu schützen, oder ihn nicht behandeln, um das Risiko eines anderen Ereignisses gering zu halten? 

Leider seien weder von Kardiologen empfohlene Tools wie der CHA2DS2- VASc-Score noch allgemeine Therapie-Empfehlungen zur oralen Antikoagulation für Dialysepatient:innen validiert und geeignet. Letztendlich sei es bei dieser Klientel immer eine Einzelfallentscheidung, die auch mit dem Betroffenen besprochen werden müsse, betonte Floege. So habe man beispielsweise bei Patient:innen mit mechanischer Klappe oder Lungenembolie keine Alternative. Handelt es sich um einen fragilen alten Patienten mit hohem Risiko für Stürze und Blutungen, sollte auf keinen Fall Cumarin zur Anwendung kommen. Bei allen anderen, rät Floege, müsse man zwischen Nutzen und Risiko abwägen. Er sei aus gutem Grund eher dagegen, generell Vitamin K Antagonisten zu geben. Auch Apixaban sei „keine Wunderwaffe“, demonstrierte Floege anhand einer retrospektiven Fall-Kontroll-Studie aus Boston (Mavrakana TA et al. CIASN May 23, 2020). 

Hier traten unter dem Verum doppelt so viele tödliche oder intrakranielle Blutungen auf wie bei den Probanden ohne Antikoagulation. Ohnehin zu beachten sei, dass dies, wenn NOAKs bei Dialysepatient:innen eingesetzt werden, off label use geschehe, da sie von den Zulassungsbehörden bei Dialyse nicht zugelassen sind und sie dementsprechend auch in den ESC Leitlinien Vorhofflimmern (2020) für diese nicht empfohlen werden (Grafik 1). Bleibt die Frage, wie man vorhersagen könnte, wer besonders gefährdet ist, und wie eine gastrointestinale Blutung in dieser Population zu verhindern ist.

Risikovorhersage mittels Künstlicher Intelligenz (KI)

Angesichts fehlender aussagekräftiger prognostischer Scores für Dialysepatienten, die vorhersagen könnten, ob Betroffene bluten werden oder nicht, liegt heutzutage der Gedanke an die Verwendung Künstlicher Intelligenz nahe. In einer eigenen Untersuchung zur Vorhersage des 180-Tage Risikos eine Blutung zu erleiden über Machine Learning (Larkin J, ...Floege J, ASN Kongress 2022) wurden mehrere Hundert Parameter ausgewertet. Es ergab sich in den sog. Shapley-Werten1 ganz klar, dass das Alter der Patienten der wichtigste Vorhersageparameter war. 

Es folgte die Anzahl der Tage nach einem Krankenhausaufenthalt jeglicher Ursache – nach einem halben Jahr steigt das Risiko. Das drittpotenteste Risiko für eine Blutung innerhalb der nächsten sechs Monate war noch vor erwarteten Risiken wie Hämoglobin, Ferritin, Transferinsättigung etc. der Vitamin D-Spiegel. Bei einem 25OH D3-Spiegel über 50 ng/ml steigt das Blutungsrisiko, so das Ergebnis. Dafür finden sich, wie Floege anhand einiger Beispiele zeigte, auch in der Literatur entsprechende Belege: Unter Vitamin-D-Mangel treten vermehrt thrombotische Ereignisse auf, Vitamin D-Gabe normalisiert den prothrombotischen Phänotyp (Blondon M et al. Endocr Connect 2019). 

Hochdosiertes Calcitriol reduziert Thrombosen in Tumor- Patienten (Beer TM et al. Br. J Haematol 2006). Und: Vitamin D erhöht die antikoagulatorische Wirkung von Cumarinen (Hejazi ME et al. J Clin Pharmacol 2017; Khansari N et al. Cardiol Ther 2022). Es sei also zu bedenken, so warnt Floege, „Vitamin D ist zwar kein sehr potentes, aber ein Antikoagulanz, was unsere Patientinnen und Patienten wieder in ein völlig unerwartetes Risiko bringt.“ Ausblick Ein relativ neues therapeutisches Ziel, an dem zur Zeit sehr viel geforscht wird und das für Dialysepatienten interessant sein könnte, ist der Gerinnungs-Faktor XI (s. a. Eikelboom J et al. „Anticoagulation in patients with kidney failure on dialysis:factor XI as a therapeutic target“, Kidney Int 2021, www.kidney-international. org). Epidemiologisch wurde beobachtet, dass Menschen, vorwiegend Ashkenazi Juden mit dem sehr selten vorkommenden (1:1000.000) Rosenthal Syndrom (Hämophilie C) einen Faktor XI-Mangel, eine milde Blutungsneigung und ein deutlich reduziertes Risiko für tiefere Thrombosen und für Herzinfarkte haben. Eine Faktor XI-Hemmung, sozusagen die Nachstellung einer Hämophilie C könnte also eine Alternative zu herkömmlichen Antikoagulanzien sein mit dem Ziel, eine relativ gute antithrombotische Wirkung zu erzielen, ohne dass man notwendigerweise eine Blutung in Kauf nehmen muss. Diesbezüglich werden verschiedene Ansätze verfolgt, u.a. eine Faktor XI-Hemmung durch siRNA oder mit einem Antikörper.

Quelle: 23. Berliner Dialyseseminar am 1.12.2023, Berlin, Themenschwerpunkt „Gastrointestinaltrakt und Nierenersatzverfahren“, Vortrag Prof. Dr. Jürgen Floege, Aachen.

Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: Nierenarzt/Nierenärztin 3/2024

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Um Risiken zu vermeiden, muss auch das antikoagulatorische Potenzial von Vitamin D beachtet werden. Um Risiken zu vermeiden, muss auch das antikoagulatorische Potenzial von Vitamin D beachtet werden. © Valerii Honcharuk – stock.adobe.com
ESC Leitlinie Vorhofflimmern 2020 Clinical pharmacology of NOACs. ESC Leitlinie Vorhofflimmern 2020 Clinical pharmacology of NOACs. © Nierenarzt/Nierenärztin 3/2024