Herzinfarkt mit 40 ist vermeidbar

DGIM 2024 Dr. Vera Seifert

Das kritische Alter für eine KHK bei heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie liegt bei knapp 40 Jahren. Das kritische Alter für eine KHK bei heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie liegt bei knapp 40 Jahren. © jingzhe

Obwohl die familiäre Hypercholesterinämie die häufigste monogenetische Erkrankung ist, wird sie nach wie vor viel zu selten diagnostiziert. Mit einem Screening bei der pädiatrischen Vorsorgeuntersuchung 9 könnte sich das ändern. Damit ließen sich viele frühe Herzinfarkte verhindern.

Die Dramatik einer nicht diagnostizierten familiären Hypercholesterinämie veranschaulichte Dr. Ulrike Schatz, Medizinische Klinik III am Universitätsklinikum Dresden, anhand von drei Fallbeschreibungen. In der ersten Kasuistik kommt ein junger Mann – leidenschaftlicher Fußballspieler und starker Raucher – eines Tages nach Hause und verliert vor den Augen seiner hochschwangeren Frau das Bewusstwein. Bis der Notarzt eintrifft, reanimiert sie ihn eine halbe Stunde lang sehr effektiv, berichtete die Referentin. Im Herzzentrum stellt man einen kompletten Verschluss der linken Koronararterie fest. Der Mann überlebt. Von seiner familiären Hypercholesterinämie hatte er nichts gewusst. 

Im zweiten Fall ist einem 40-Jährigen das erhöhte LDL-Cholesterin seit der Kindheit bekannt. Der Vater war mit 45 Jahren an Herzinfarkt gestorben, der Bruder hatte im 40. Lebensjahr einen Infarkt erlitten. Als der Mann Brustschmerzen verspürt, macht er sich sofort auf den Weg ins Herzzentrum. Auf dem EKG-Tisch setzt Kammerflimmern ein. Das verschlossene linke Kranzgefäß wird sofort gestentet. Der Patient überlebt. 

Fall Nr. 3 beschreibt eine junge Frau, deren Vater bereits mit 36 Jahren an Myokardinfarkt verstorben war. Daraufhin beschließt sie, ihr Leben der Kardiologie zu widmen, als Schwester auf einer Herzstation. Sich selber testen zu lassen, lehnt sie ab – sie will sich keine Sorgen machen müssen. Zum Stressabbau raucht sie. Dann kommt es, wie es kommen muss: Sie erleidet früh einen Herzinfarkt. Auch sie überlebt und ist fortan in Behandlung.

Das kritische Alter für eine KHK bei heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie liegt bei knapp 40 Jahren, verdeutlichte Dr. Schatz. Bei Patienten mit homozygoter Erkrankung kann sich ein Herzinfarkt schon vor dem 15. Geburtstag ereignen, also im Kindesalter. Die homozygote Form tritt mit einer Häufigkeit von 1:250.000 auf. Die heterozygote familiäre Hypercholesterinämie ist mit einer geschätzten Prävalenz von 1:217 wesentlich häufiger. Allerdings sind 85 % der Betroffenen nicht diagnostiziert, und 80 % erreichen die therapeutischen Zielwerte nicht.

Abhilfe könnte ein Projekt schaffen, bei dem Kindern von 5 bis 14 Jahren eine Untersuchung auf die Erbkrankheit inklusive genetischer Untersuchung angeboten wird. Ca. 20.000 junge Patienten konnten bislang für den sogenannten Vroni-Check motiviert werden. Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat kürzlich bekannt gegeben, dass in der U9 das Screening auf familiäre Hypercholesterinämie implementiert werden soll, berichtete Dr. Schatz.

Ab einem LDL-Cholesterin-Wert von über 190 mg/dl sollten beim Hausarzt die Alarmglocken schrillen. Die Diagnose steht, wenn zudem eine der folgenden beiden Konstellationen vorliegt: 

1. Der Patient selbst hat tendinöse Xanthome oder einen Arcus lipoides corneae, der bei Menschen unter 45 Jahren pathognomonisch für die Erkrankung ist. 

2. Es gibt Verwandte ersten Grades mit einem LDL-Cholesterin über 190 mg/dl oder Xanthomen oder einer vorzeitigen KHK (Frauen: unter 60 Jahre, Männer: unter 55 Jahre).

Die Dignose kann per Gentest untermauert werden. Die Untersuchung ist deshalb relevant, weil bei gleich hohen LDL-Cholesterin-Werten Mutationsträger ein deutlich höheres Arterioskleroserisiko haben als genetisch unbelastete Personen. Auf jeden Fall muss das LDL-Cholesterin unter 70 mg/dl gebracht werden, bei klinischer Manifestation einer Arteriosklerose sogar unter 55 mg/dl. Bei Spiegeln > 400 mg/dl ist an eine homozygote Erkrankung zu denken.

Wenn man frühzeitig effektiv therapiert und zudem Faktoren wie das Rauchen angeht, lässt sich das Risiko auf das Niveau der Normalbevölkerung reduzieren, betonte Dr. Schatz. Dabei geht man schrittweise vor, beginnend mit Lebensstilmaßnahmen und einem hochpotenten Statin wie Atorva- oder Rosuvastatin, gefolgt von Ezetimib und Bempedoinsäure. Am Schluss stehen die PCSK9*-Hemmer wie Alirocumab, Evolocumab oder Inclisiran und – wenn das alles nicht hilft – die Lipoproteinapherese. Bei den homozygoten Fällen lässt sich die Apherese häufig nicht umgehen. Die bislang wirksamste medikamentöse Option ist eine Kombination aus PCSK9-Inhibitor, hochwirksamem Statin und Ezetimib. Darunter lässt sich das LDL-Cholesterin um 85 % senken, so Dr. Schatz. Bevor ein PCSK9-Hemmer zum Einsatz kommt, muss allerdings eine maximale und gut dokumentierte Ernährungs- und Pharmakotherapie über zwölf Monate erfolgt sein, ohne dass die Behandlungsziele erreicht wurden.

Die häufigste Ursache der vererbten Fettstoffwechselstörung ist eine LDL-Rezeptor-Mutation. Die meisten Lipidsenker greifen dort an. Je weniger Restfunktion erhalten ist, umso geringer der Effekt. Für schwere Fälle gibt es mit Evinacumab ein neuartiges Medikament. Es handelt sich um einen monoklonalen Antikörper gegen das Angiopoetin-ähnliche Protein 3 (ANGPTL3), bei dem die VLDL**-Clearance unabhängig vom LDL-Rezeptor erfolgt. 

Zurzeit befinden sich weitere Wirkstoffe, die auf den PCSK9-Rezeptor abzielen, in der Entwicklung, u.a. Lerodalcibep, Ebronucimab und Recaticimab. Auch Versuche mit der Genschere CRISPR/Cas9*** laufen.


* proprotein convertase subtilisin kexin type 9

** very low density lipoprotein

***  clustered regularly interspaced short palindromic repeats/Cas9 protein

Quelle: Kongressbericht DGIM 2024

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Das kritische Alter für eine KHK bei heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie liegt bei knapp 40 Jahren. Das kritische Alter für eine KHK bei heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie liegt bei knapp 40 Jahren. © jingzhe