Hypoglykämie: Ab wann ist eine kontinuierliche Glukosezufuhr nötig?

Dr. Andrea Wülker

Schnellstmöglich sollte dem Körper Glukose z. B. in Form von Limonade zugeführt werden. Schnellstmöglich sollte dem Körper Glukose z. B. in Form von Limonade zugeführt werden. © master1305 – stock.adobe.com

Zu viel Insulin gespritzt, intensiv Sport getrieben, Alkohol getrunken – es gibt viele Auslöser für einen gefährlichen Blutglukoseabfall. Unterzuckerungen treffen Typ-1- und Typ-2-Diabetespatienten gleichermaßen.

Schwitzen, Zittern und Herzklopfen können Anzeichen eines Blutzuckerabfalls sein, genau wie Angst, Unruhe und Hitzegefühl. Denn eine Unterzuckerung aktiviert den Sympathikus und führt zunächst zu adrenergen Reaktionen, schreiben Melina­ Mertens­ von der Klinik für Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Düsseldorf und Kollegen. Sinkt der Glukosespiegel weiter ab, können Verwirrtheit, Sehstörungen, Verhaltensauffälligkeiten, Bewusstseinstrübung und Koma die Folge sein. Hypoglykämien provozieren in manchen Fällen aber auch schwere Herzrhythmusstörungen, die zum plötzlichen, unerwarteten Tod während des Schlafs führen können („Dead-in-bed-Syndrom“).

Das Risiko für Unterzuckerungen steigt mit der Diabetesdauer und mit der Anzahl der durchgemachten Hypos, die zu einer Hypoglyk­ämie-Wahrnehmungsstörung führen können. Auch eine sehr strikte Blutzuckereinstellung erhöht das Risiko. Unterzuckerungen sind häufig, wie eine Studie belegt: In einem vierwöchigen Beobachtungszeitraum zeigten 83 % der Typ-1-Diabetiker und 46,5 % der Typ-2-Diabetiker mindestens eine Hypoglykämie. Bis zu 40,6 % entwickelten nächtliche Unterzuckerungen.

Wann liegt eine Hypo vor?

Die Deutsche Diabetes Gesellschaft unterscheidet eine milde Hypoglykämie, bei der sich der Patient selbst helfen und Kohlenhydrate zu sich nehmen kann, von der schweren Form, bei der Fremdhilfe erforderlich ist. Laut American Diabetes Association liegt eine schwere, klinisch relevante Hypoglykämie ab einem Blutglukosewert < 54 mg/dl (< 3,0 mmol/l) vor. Ein Blutzuckerwert ≤ 70 mg/dl (≤ 3,9 mmol/l) gilt als der Schwellenwert, bei dem beim Patienten die Alarmglocken läuten sollten.

Bei einem BZ-Abfall sollten wache Patienten rasch ein zuckerhaltiges Getränk zu sich nehmen, z.B. 200 ml Fruchtsaft oder Limonade (entsprechend 20 g Glukose). Alle 15 Minuten muss der Blutzucker kontrolliert und b.B. weitere Glukose zugeführt werden, bis sich der BZ auf > 80 mg/dl (besser > 100 mg/dl) eingependelt hat. Dann sollte der Patient ca. 20 g langsam resorbierbare Kohlenhydrate in Form einer Mahlzeit verzehren (2 Kohlenhydrateinheiten).

Ab 20%iger Glukoselösung drohen Venenreizungen

Bei bewusstlosen Patienten mit schwerer Hypoglykämie müssen umgehend 20 g Glukose intravenös verabreicht werden – also z.B. 200 ml einer 10%igen Glukoselösung oder 100 ml einer 20%igen Glukoselösung. Zu beachten ist, dass ab einer 20%igen Konzentration Venenreizungen drohen und hochkonzentrierte Glukose nur über einen zentralvenösen Katheter infundiert werden sollte. Bevor der Notarzt eintrifft, kann man 1 mg Glukagon i.m. oder s.c. spritzen oder 3 mg Glukagon intranasal geben. Je nach Auslöser der Unterzuckerung kann vorübergehend eine kontinuierliche Glukosegabe erforderlich werden (z.B. 10%ige Glukoselösung, 50–100 ml pro Stunde). Denn langwirksame Insuline oder Sulfonylharnstoffe können bis zu 72 Stunden nach der Verabreichung weitere hypoglykämische Episoden triggern.

Quelle: Mertens M et al. Dtsch Med Wochenschr 2021; 146: 266-278; DOI: 10.1055/a-1270-8878

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