
In bis zu 90 % der Fälle entlarven Tests Annahme als falsch

Wenn Patienten von einer Penicillinallergie berichten, greifen manche Kollegen bei einer Infektion vorsichtshalber zu alternativen Antibiotika. Allerdings sind diese häufig weniger effektiv und können die Entwicklung von Resistenzen fördern. Oft ist der Wechsel völlig unnötig, denn bei 85 bis 90 % der Patienten mit dem Label Penicillinallergie handelt es sich um unspezifische Unverträglichkeitsreaktionen ohne Gefährdung bei Reexposition, schreiben Dr. Daniel Hornuß und Prof. Dr. Siegbert Rieg von der Klinik für Innere Medizin II am Universitätsklinikum Freiburg.
Den meisten dieser Unverträglichkeiten liegen normale pharmakologische Toxizitätseigenschaften der jeweiligen Arzneimittel zugrunde. Als klassische Allergie hingegen wird eine Überempfindlichkeitsreaktion auf ein Medikament bezeichnet, die auf den immunologischen Reaktionen nach Coombs und Gell basiert. Man unterscheidet IgE-vermittelte Allergien vom Soforttyp (Typ I) und Allergien vom verzögerten Typ (Typ II bis IV).
Penicillin und seine Derivate weisen ein günstiges Nutzen-Risiko-Profil auf und sind deshalb bei vielen Infektionen Mittel der ersten Wahl. Sie besitzen eine hohe Aktivität und ein eher schmales Wirkspektrum. Letzteres hat den Vorteil, dass durch die Gabe nur ein geringer Selektionsdruck auf das körpereigene Mikrobiom entsteht. Außerdem kosten sie häufig weniger als die alternativ eingesetzten Antibiotika und führen darüber hinaus zu besseren Behandlungsergebnissen. Demnach kann es von Nachteil sein, einem Patienten ein Nicht-Betalaktam-Antibiotikum zu verordnen, nur weil er von einer „Penicillinallergie“ berichtet, die nie hinterfragt bzw. abgeklärt wurde.
Daher empfehlen die Autoren, eine sorgfältige Anamnese zu erheben. Allergien gegen Antibiotika können IgE- oder T-Zell-vermittelt sein, wobei Hautveränderungen die häufigsten Symptome sind. Im ersten Schritt sollten dehalb dermale Reaktionen des Patienten erfasst werden:
- IgE-vermittelte Typ-I-Reaktionen beginnen innerhalb von Minuten bis wenigen Stunden nach Exposition und zeigen sich als erhabene Hautläsionen (Quaddeln) mit mehr oder weniger starkem Juckreiz. Sie verschwinden nach maximal 24 h und hinterlassen keine Narben.
- Benigne T-Zell-vermittelte Hautreaktionen beginnen innerhalb von Tagen nach Exposition, gehen höchstens mit geringem Juckreiz einher und persistieren länger als 24 h. Sie heilen innerhalb von Tagen bis Wochen unter Schuppung ab.
- Schwere T-Zell-vermittelte Hautreaktionen setzen innerhalb von Tagen bis Wochen nach der Exposition ein und führen zu Blasen oder großflächigen Desquamationen unter Beteiligung von Schleimhaut oder inneren Organen. Oft ist eine Klinikeinweisung notwendig.
Zunächst gilt es, die Schilderungen des Patienten einer der oben genannten Hautreaktionen zuzuordnen und zu klären, wie viele Jahre die vermutete allergische Reaktion zurückliegt. Dann kann man den Patienten einer Niedrig-, Mittel- oder Hochrisikogruppe zuteilen (siehe Tabelle).
Abklärung einer vermeintlichen Penicillinallergie entsprechend der Risikogruppe | |||
---|---|---|---|
| niedriges Risiko | mittleres Risiko | hohes Risiko |
Anamnese und Vorbefund | - isolierte untypische Symptome wie Kopfschmerzen, Magenverstimmung, Durchfall
- Juckreiz ohne Hautausschlag
- unklare Reaktion liegt viele Jahre zurück
- positive Familienanamnese | - isolierte Urtikaria
- juckendes Exanthem
- IgE-vermittelte Reaktionen ohne Anaphylaxie, d.h. keine Beteiligung der Atemwege oder Hypotonie
- isoliertes makulopapulöses Exanthem (Beginn wenige Tage nach Exposition) | - anaphylaktische Reaktion mit Beteiligung der Atemwege und/oder Hypotonie
- positive Hauttestung
- Reaktionen auf mehrere Betalaktam-Antibiotika
- Pustelbildung, ausgeprägte Desquamation, Organbeteiligung
- Blasenbildung an Haut und Schleimhäuten |
Abklärung bzw. weiteres Vorgehen | - orale Gabe von 250–500 mg Amoxicillin (bzw. abzuklärendes Penicillinderivat)
- Überwachung über 1 h bei liegendem i.v.-Zugang (stationär oder ambulant)
- bei Toleranz sind alle Penicilline verschreibbar
- Patient aufklären und „Penicillinallergie“ aus der Akte entfernen | - Hauttestung von Penicillin bzw. -derivaten mit Prick-Test
- bei negativem Prick-Test schließt sich ein Intrakutantest ann fallen beide Hauttests negativ aus, ist eine Reexposition ggf. unter stationären Bedingungen möglich | - Reexposition ist absolut kontraindiziert
- Überweisung zur fachallergologischen Testung |
In der Niedrigrisikogruppe ist es zulässig, Amoxicillin zu verordnen bzw. eine erste Dosis direkt vor Ort zu geben. Dazu nimmt der Patient entweder 250 oder 500 mg Amoxicillin oral ein und bleibt anschließend eine Stunde lang zur Überwachung in der Praxis. Oder man gibt intravenös ein Zehntel der Zieldosis. Wird dies vertragen, gelten alle Penicilline als verschreibbar.
In der Mittelrisikogruppe sollte eine Penicillin-Hauttestung erfolgen, raten die Autoren. Diese besteht aus einem Prick-Test mit Ablesung nach 20 Minuten und anschließendem Intrakutantest. Bei positivem Ergebnis gilt die Penicillinallergie als gesichert. Danach sollte in einer allergologischen Fachabteilung untersucht werden, welche Betalaktame alternativ eingesetzt werden können. Patienten aus der Hochrisikogruppe sollten zur spezialisierten Testung direkt dorthin überwiesen werden.
Quelle: Hornuß D, Rieg S. Inn Med (Heidelb) 2023; 64: 351-361; DOI: 10.1007/s00108-023-01490-5
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