JC-Virus: Lässt sich das Immunsystem mit PD-1-Inhibitoren wieder scharf stellen?

Maria Weiß/Birgit Maronde

Auf dem CT-Schnitt des Gehirns eines 60-Jährigen mit progressiver multifokaler Leukenzephalopathie (PML) werden demyelinisierte Plaques zu erkennen sein. (Agenturfoto) Auf dem CT-Schnitt des Gehirns eines 60-Jährigen mit progressiver multifokaler Leukenzephalopathie (PML) werden demyelinisierte Plaques zu erkennen sein. (Agenturfoto) © Aleksey Khripunkov – stock.adobe.com

Ist die zelluläre Immunfunktion massiv gestört, droht JCV-positiven Patienten die progressive multifokale Leukenzephalopathie. Gegen die lässt sich bislang kaum etwas tun. Durch Checkpoint-Inhibitoren wie Pembrolizumab und Nivolumab könnte sich das ändern.

Bei mehr als der Hälfte der gesunden Erwachsenen schlummern JC-Viren in den Nieren, ohne weiteren Schaden anzurichten. Erst wenn es aus unterschiedlichen Gründen zu einer zellulären Immundefizienz kommt, können sie ein genetisches Rearrangement in nicht-kodierenden Regionen durchlaufen und sich dadurch in neurotrope Viren verwandeln. Diese infizieren dann Gliazellen und rufen eine progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) hervor, erklären Dr. Irene Cortese, National Institute of Neurological Disorders and Stroke, Bethesda, und Kollegen.¹ Einziger erfolgversprechender Behandlungsansatz ist bisher die rasche Wiederherstellung der Immunfunktion. Gelingt das nicht, endet die Erkrankung häufig tödlich.

PD-1 wird bei PML überexprimiert

Über eine neue, zum Teil erfolgreiche Therapiemöglichkeit berichteten vor Kurzem gleich drei Arbeitsgruppen. Sie versuchten, mit dem Immuncheckpoint-Inhibitor Pembrolizumab bzw. Nivolumab das JC-Virus bei PML-Patienten in Schach zu halten. Beide monoklonale Antikörper zielen auf das programmed cell death protein 1 (PD-1). Dieser Oberflächenrezeptor der T-Zellen hindert das Immunsystem daran, körpereigenes Gewebe anzugreifen. Bindet PD-1 an seinen Liganden, kommt es zur Hemmung von T-Zell-Proliferation und Zytokinproduktion, schreibt Dr. Igor J. Koralnik vom Department of Neurological Sciences des Rush University Medical Center in Chicago.²

Bei PML-Patienten wird PD-1 von den CD4- und CD8-positiven T-Lymphozyten überexprimiert, vor allem von den JCV-spezifischen CD8+ T-Zellen. Blockiert man PD-1, steigt die zelluläre Immunantwort von Gesunden auf JCV an – vorausgesetzt, es sind JCV-spezifische CD8+ T-Zellen nachweisbar. Das haben In-vitro-Versuche gezeigt. Autopsiestudien sprechen dafür, dass sich in PML-Läsionen PD-1 und sein Ligand anreichern, berichten Dr. Cortese et al. Daraus lasse sich die Hypothese ableiten, man könne die spezifische antivirale Immunaktivität durch eine PD-1-Blockade wiederbeleben.

Um diese These zu überprüfen, führten die Forscher eine Pilotstudie mit acht PML-Patienten durch. Bei sieben von ihnen hatte sich die neurologische Situation in den vorangegangenen Monaten immer mehr verschlechtert. Jeweils zwei wiesen als Grunderkrankung eine chronisch-lymphatische Leukämie, eine HIV-Infektion oder eine idiopathische Lymphopenie auf. Je einer litt an einem Non-Hodgkin- bzw. einem Hodgkin-Lymphom.

Reduzierte JCV-Last bei fünf von acht Patienten

Der Grad der PML-bedingten Behinderung reichte – gemessen anhand der modified Ranking Scale – von 2 (nur leicht eingeschränkt) bis 4 (keine Gehfähigkeit und/oder ständige Unterstützung notwendig). Alle acht Patienten erhielten alle 4–6 Wochen Pembrolizumab (2 mg/kg KG), und das maximal dreimal.

Der PD-1-Inhibitor induzierte bei ihnen eine Downregulation der PD-1-Expression auf Lymphozyten im peripheren Blut und im Liquor. Bei zwei der Kranken kam es zu einer deutlichen klinischen Verbesserung mit Reduktion des Behinderungsgrades, die für 22 bzw. 26 Monate nach Gabe der ersten Pembrolizumab-Dosis bestehen blieb. Bei weiteren 3 Patienten stabilisierte sich die Erkrankung. In all diesen Fällen war auch eine Reduktion der JCV-Last im Liquor und eine Zunahme der anti-JCV-Aktivität von CD4+ und CD8+ Zellen in vitro nachweisbar.

Bei den übrigen drei Patienten kam es weder zu einer klinischen Besserung noch zu Veränderungen von Viruslast und antiviraler zellulärer Immunantwort. In zwei Fällen verschlechterten sich die Symptome sogar trotz der Therapie. Diese erwies sich als gut verträglich, ein immune reconstitution inflammatory syndrome konnte nicht beobachtet werden.

Pembrolizumab scheint also zumindest bei einem Teil der Patienten mit PML zur klinischen Besserung oder Stabilisierung der Erkrankung führen zu können, so das Fazit von Dr. Cortese und ihren Kollegen.

Kollegen aus Toulouse berichten über einen erfolgreichen Therapieversuch mit Nivolumab bei einer 60-Jährigen mit PML.³ Sie stellte sich mit Aphasie, Apraxie, zeitlicher sowie räumlicher Desorientierung und zentraler Fazialisparese rechts vor. Das MRT zeigte im Bereich des rechten Frontallappens Läsionen der weißen Substanz. Im Liquor ließen sich 200 000 JCV-Kopien/ml nachweisen. Die Blutuntersuchung sprach für eine schwere Lymphopenie, die letztlich einem idiopathischen primären Immundefizit zugeordnet wurde.

Ermutigende Ergebnisse, aber viele offene Fragen

Da sich die neurologische Symptomatik verschlechterte, sich u.a. Hemiplegie und epileptische Anfälle einstellten, erhielt die Patientin alle zwei Wochen 240 mg Nivolumab intravenös. Schon 14 Tage nach der ersten Infusion war die JCV-Last im Liquor auf 200 Kopien/ml zurückgegangen. Der MRT-Befund sprach für ein entzündliches Immunrekonstitutionssyndrom. Acht Wochen nach Behandlungsbeginn hatten sich die neurologischen Symptome stabilisiert, die Patientin schien „wacher“, Ptosis und Hemiplegie hatten nachgelassen.

Dem frühen Tod ein Schnippchen schlagen

Blutkrebspatienten, die infolge der Chemotherapie eine PML entwickeln, haben schlechte Überlebenschancen. Die Mortalitätsraten erreichen bis zu 100 % bei einem medianen Überleben von 0,9 bis 8 Monaten. Entsprechend desolat sah es auch für einen Mann mit diffusem B-Zell-Lymphom aus, der innerhalb von drei Monaten schwere PML-Symptome bis hin zum Mutismus entwickelte. Die JCV-Last stieg von initial 1150 Kopien/ml auf 119 000/ml an. Nach fünf Infusionen von Pembrolizumab alle 14 Tage über insgesamt zehn Wochen ließ sein Mutismus nach, er begann wieder zu sprechen. Größe und Zahl der im MRT sichtbaren Hirnläsionen hatten abgenommen und JCV konnte im Liquor nicht länger nachgewiesen werden. Unter fortgesetzter Behandlung mit dem Checkpoint-Inhibitor war dies auch mehr als ein Jahr nach Therapiebeginn noch der Fall. Klinisch zeigte sich der Patient zwar stabil, aber psychomotorisch verlangsamt, desorientiert und aphasisch.⁴

Die Berichte über den potenziellen Nutzen der Checkpointinhibitoren bei der PML sind zwar ermutigend. Es gibt jedoch noch viel zu viele unbeantwortete Fragen, zum Beispiel was den Effekt der PD-1-Blockade auf die JCV-spezifischen CD8+ T-Lymphozyten und die vermeintliche Besserung der MRT-Befunde angeht, mahnt Dr. Koralnik. Wie Dr. Cortese et al. fordert auch er, Effektivität und Sicherheit von Pembrolizumab & Co. bei PML-Patienten in größeren kontrollierten Studien weiter zu untersuchen.

Quellen:
¹ Cortese I et al. N Engl J Med 2019; 380: 1597-1605; DOI: 10.1056/NEJMoa1815039
² Koralnik IJ. N Engl J Med 2019; 380: 1667-1668; DOI: 10.1056/NEJMe1904140
³ Walter O et al. N Engl J Med 2019; 380: 1674-1676; DOI: 10.1056/NEJMc1816198

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Auf dem CT-Schnitt des Gehirns eines 60-Jährigen mit progressiver multifokaler Leukenzephalopathie (PML) werden demyelinisierte Plaques zu erkennen sein. (Agenturfoto) Auf dem CT-Schnitt des Gehirns eines 60-Jährigen mit progressiver multifokaler Leukenzephalopathie (PML) werden demyelinisierte Plaques zu erkennen sein. (Agenturfoto) © Aleksey Khripunkov – stock.adobe.com