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Kalzium außer Rand und Band

Eine Hyperkalzämie betrifft etwa 1 % der Allgemeinbevölkerung und etwa 2 % aller Krebspatienten. Verschiedene Faktoren können zur Krankheitsentstehung beitragen, darunter eine erhöhte Knochenresorption, eine verminderte Kalziumausscheidung durch die Nieren und eine erhöhte gastrointestinale Kalziumabsorption. Etwa 90 % der Betroffenen leiden an einem primären Hyperparathyreoidismus (PHPT) oder einer malignen Erkrankung. Seltener sind dagegen Immobilisation, granulomatöse Erkrankungen wie die Sarkoidose oder Endokrinopathien die Ursache.
Checkpoint-Inhibitoren und SGLT2-Hemmer als Auslöser
Neueren Erkenntnissen zufolge stehen verschiedene Medikamente und Krankheitsbilder in Zusammenhang mit einer Hyperkalzämie, berichten Prof. Dr. Marcella Donovan Walker und Prof. Dr. Elizabeth Shane von der Abteilung für Endokrinologie am Columbia University Irving Medical Center in New York. So wurde eine reversible Hyperkalzämie unter SGLT2-Hemmern beschrieben, die wahrscheinlich auf osmotische Diurese und Volumendefizit zurückzuführen ist.
Auch unter Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICI) wie Nivolumab und Ipilimumab ist es in seltenen Fällen zu einer Hyperkalzämie gekommen. Zu den potenziellen Mechanismen zählen ICI-induzierte endokrine Störungen wie Schilddrüsenüberfunktion oder Nebenniereninsuffizienz, eine sarkoidartige Granulombildung, eine ICI-bedingte Produktion des Parathormon-related Peptids (PTHrP), das zugrundeliegende Malignom selbst oder eine vorübergehende ICI-bedingte Hyperprogression.
Probleme kann es auch mit dem Wirkstoff Denosumab geben. Der monoklonale Antikörper aus der Gruppe der RANKL-Inhibitoren hemmt die Bildung von Osteoklasten. Setzt man ihn ab, kann es zu einer Hyperkalzämie kommen, die auf einen „Rebound“ der osteoklastischen Knochenresorption zurückzuführen ist. Die meisten Fälle betreffen Kinder und Jugendliche sowie Patienten, die Denosumab zur Behandlung von Knochentumoren und fibröser Dysplasie erhalten. Von Erwachsenen, die den Antikörper wegen Osteoporose bekamen, sind dagegen nur wenige Fälle bekannt.
Bei hospitalisierten Patienten mit COVID-19 tritt eine Hyperkalzämie zwar selten auf, doch wird sie mit einer schlechteren Prognose in Verbindung gebracht. Zu den potenziellen Mechanismen gehören Rhabdomyolyse, Immobilisierung und eine granulomatöse Erkrankung nach COVID-19.
Die Symptomatik der Hyperkalzämie richtet sich nach Ausprägung und Geschwindigkeit des Kalziumanstiegs im Serum. Liegen überhaupt Symptome vor, so spricht dies ursächlich für eine schwerere und rasch fortschreitende Erkrankung, z.B. ein Malignom. Im Gegensatz dazu ist eine leichte, asymptomatische Hyperkalzämie eher auf eine PHPT zurückzuführen.
Eine gängige Klassifizierung sieht folgende Grenzwerte vor:
- leichte Hyperkalzämie: Gesamtkalzium < 12 mg/dl (< 3 mmol/l) oder ionisiertes Kalzium 5,6–8,0 mg/dl (1,4–2 mmol/l)
- moderate Hyperkalzämie: Gesamtkalzium 12–13,9 mg/dl(3–3,5 mmol/l) oder ionisiertes Kalzium ≥ 10 mg/dl (≥ 2,5 mmol/l)
- schwere Hyperkalzämie: Gesamtkalzium ≥ 14 mg/dl (≥ 3,5 mmol/l) oder ionisiertes Kalzium 10–12 mg/dl (2,5–3 mmol/l)
Eine milde Hyperkalzämie ist in der Regel asymptomatisch oder durch unspezifische Symptome wie Müdigkeit und Verstopfung gekennzeichnet. Selbst eine moderate Hyperkalzämie kann gut toleriert werden, wenn sie chronisch ist oder langsam über Monate hinweg entsteht.
Schneller Kalziumanstieg bedroht Herz und Gehirn
Demgegenüber verursachen starke oder abrupte Erhöhungen des Serumkalziums innerhalb von Tagen bis Wochen oft multisystemische Symptome wie Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Polyurie und Polydipsie. Außerdem kann es zu einer Hyperpolarisation der neuromuskulären Zellmembranen kommen, die dadurch refraktär werden. Mögliche Folgen sind neuropsychiatrische Symptome (z.B. Hyporeflexie, Lethargie, veränderter Geisteszustand, Koma), gastrointestinale Symptome durch eine verlangsamte Peristaltik (z.B. Übelkeit, Erbrechen, Darmträgheit), muskuloskelettale Symptome (z.B. Muskelschwäche), kardiovaskuläre Symptome (z.B. verlängertes PR-Intervall, verkürzte QT-Zeit, Arrhythmien). Darüber hinaus kann eine schwere Hyperkalzämie zu Verwirrtheit, Stupor und Koma führen.
Die Anamnese sollte sich auf bekannte Krebserkrankungen, die Familiengeschichte und die Einnahme von Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln konzentrieren. Die körperliche Untersuchung ist bei leichter Hyperkalzämie meist unauffällig. Eine schwere Hyperkalzämie macht sich durch Dehydratation bemerkbar.
In leichten Fällen reicht meist die PTH-Bestimmung
Der Verdacht auf eine Hyperkalzämie wird mittels Laboruntersuchung bestätigt. Bei leichter oder mittelschwerer, asymptomatischer Erkrankung bietet sich zunächst die Bestimmung von Serum-PTH an. In schweren oder symptomatischen Fällen ohne offensichtliche Ursache können zusätzliche Tests indiziert sein (z.B. Vitamin-D-Metaboliten, Tumormarker, Elektrophorese, Bildgebung).
Die Frage, ob eine Hyperkalzämie PTH-abhängig oder -unabhängig ist, hilft bei der Suche nach den potenziellen Ursachen: Normale bis leicht erhöhte PTH-Spiegel sprechen für eine PHPT. Bei normalem PTH sollte zudem eine familiäre hypokalziurische Hyperkalzämie in Betracht gezogen werden. Ein erniedrigter PTH-Wert hingegen kann auf eine Malignität hindeuten. In diesem Fall schließt sich eine strukturierte Ursachensuche an.
Quelle: Walker MD, Shane E. JAMA 2022; 328: 1624-1636; doi: 10.1001/jama.2022.18331
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