Maßnahmen gegen Sialorrhö vom Schlucktraining bis zur Giftspritze

Dr. Dorothea Ranft

Nicht nur Babys, sondern auch Erwachsene können unter vermehrtem Speichelfluss leiden. Nicht nur Babys, sondern auch Erwachsene können unter vermehrtem Speichelfluss leiden. © Chris Tefme – stock.adobe.com

Unwillkürlich aus dem Mund fließender Speichel kann Betroffene massiv stigmatisieren und Lungenentzündungen verursachen. Dabei gibt es wirksame Therapiemöglichkeiten.

Ein vermehrter Speichelfluss entsteht meist durch eine Schluckstörung, seltener durch eine vermehrte Sekretion. So lösen bei Erwachsenen häufig Schlaganfälle oder Hirnverletzungen die Sialorrhö aus. Auch neurodegenerative Erkrankungen wie Morbus Parkinson und Kopf-Hals-Tumoren spielen eine wichtige Rolle, schreibt das Team um Professor Dr. Wolfgang­ Jost von der Parkinson-Klinik Ortenau in Wolfach. Als Folge kann der Speichel bis in die tiefen Atemwege laufen und eine Aspirationspneumonie auslösen.

Anticholinergika hemmen die Speichelsekretion

Zu den Basismaßnahmen gehört die funktionelle Dysphagie-Therapie. Die Übungen stimulieren den Schluckreflex und verringern nachweislich das Aspirationsrisiko. Manche Patienten profitieren auch von kieferorthopädischen Maßnahmen, mit denen sich beispielsweise Okklusionsstörungen beheben lassen. Eine systemische Pharmakotherapie ist ebenfalls möglich. Sie beruht auf einer Hemmung der Speichelsekretion mit Anticholinergika. Bevorzugt eingesetzt werden Atropin, Scopolamin und Glykopyrrolat (1–8 mg/d). Letzteres hat den Vorteil, dass es kaum zentralnervöse Nebenwirkungen auslöst.

Optionen für Kinder

Der Speichelabfluss über den Mund ist in den ersten Lebensjahren normal. Pathologisch wird die Sialorrhö erst, wenn sie über das vierte Lebensjahr hinaus fortbesteht. Aufgrund des äußeren Eindrucks werden die intellektuellen Fähigkeiten der Betroffenen oft unterschätzt. Zur symptomatischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Sialorrhö wurde inzwischen ein Glycopyrrhonium-Präparat (320 µg/ml Lösung) zugelassen. Es hat sich in kontrollierten Studien als wirksam und gut verträglich erwiesen. Derzeit läuft eine Studie zu Botulinumtoxin in dieser Altersgruppe.

Effekt von Botulinumtoxin hält rund drei Monate an

Eine Operation kommt nur für ausgewählte Patienten infrage. Das chirurgische Vorgehen nutzt als Strategien die Submandibulektomie, die Gangligatur (bzw. -unterbrechung) und die Verlagerung der Ausführungsgänge der großen Speicheldrüsen. Bei den Unterkieferspeicheldrüsen ist zu beachten, dass eine Gangverlagerung das Aspirationsrisiko stark erhöht, vor allem das nicht stimulierte Sekret fließt direkt in den Hypopharynx. Eine weitere Option ist die externe Bestrahlung der Speicheldrüsen. Cave: potenziell erhöhtes Karzinomrisiko. Eine Alternative bietet die Injektion von Botulinumtoxin in die großen Speicheldrüsen, wodurch die präsynaptische Freisetzung von Acetylcholin gehemmt wird. Es kommt zu einer Blockade der Speichelsekretion, die ein gutes Vierteljahr anhält. Um Ruhe- und Reiz­sekretion zu bremsen, muss das Toxin sowohl in die Gl. submandibularis als auch in die Gl. parotis gespritzt werden. Per Ultraschall-Kontrolle kann man ungewolltes Diffundieren in Mundboden- und Schlundmuskulatur und somit Schluckstörungen verhindern. Deshalb wird dies auch in der Leitlinie für die Injektion in die gro­ßen Speicheldrüsen empfohlen. Die Studienlage hierzu ist jedoch nicht eindeutig. Im Mai 2019 hat die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA erstmals ein Botulinumtoxin, nämlich Incobotulinumtoxin A, zur Behandlung der Sialorrhö zugelassen. Grundlage dieser Entscheidung war die randomisierte, doppelblinde SIAXI-­Studie. Darin hatten 175 Patienten – überwiegend mit Parkinson, Schlaganfall oder Schädelhirntrauma – entweder 75 oder 100 MU* der Prüfsubstanz bzw. ein Placebo erhalten. Bis zur zwölften Therapiewoche verbesserten sich die drei Parameter subjektive Einschätzung, allgemeiner Eindruck und unstimulierte Speichelsekretion unter dem Verum. Schwere Nebenwirkungen traten nicht auf, am häufigsten kam es zur Mundtrockenheit mit einem Anteil von 8–9 %, auch in der Kontrollgruppe. In der 48-wöchigen Verlängerungsphase mit drei weiteren Injektionszyklen bestätigten sich die anhaltende Wirksamkeit und Verträglichkeit (Dysphagie 4,2 %). Zudem wurde eine hohe Therapieadhärenz beobachtet. Laut dem Arbeitskreis Botulinumtoxin darf man nach ausgeschöpften konservativen Maßnahmen Botulinumtoxin als Mittel der Wahl ansehen. Dabei sollte die zugelassene Dosis von 100 MU gewählt werden, sie geht mit besseren Effekten bei gleichem Nebenwirkungsprofil einher. Außerdem ist es mit Botulinumtoxin allein nicht getan, betonen die Autoren. In den Intervallen zwischen den Injektionen ist eine intensive schlucktherapeutische Übungstherapie indiziert. 

* mouse unit; biologische Einheit, 1 MU entspricht 1 U

Quelle: Jost W et al. Fortschr Neurol Psychiatr 2019, 87: 554-563; DOI: 10.1055/a-0958-2417

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Nicht nur Babys, sondern auch Erwachsene können unter vermehrtem Speichelfluss leiden. Nicht nur Babys, sondern auch Erwachsene können unter vermehrtem Speichelfluss leiden. © Chris Tefme – stock.adobe.com