Meningeosis neoplastica: ohne Liquor keine Diagnose

Manuela Arand

Nachweis einer Meningeosis neoplastica im Liquorsediment: Die Zellen eines Bronchialkarzinoms stellen sich in der Pappenheim-Färbung blau dar. Nachweis einer Meningeosis neoplastica im Liquorsediment: Die Zellen eines Bronchialkarzinoms stellen sich in der Pappenheim-Färbung blau dar. © wikimedia commons/Marvin101 (CC BY-SA 2.0 de)

Fällt ein Tumorpatient durch eine untypische Kombination fokal-neurologischer Symptome auf, liegt der Verdacht auf eine Meningeosis neoplastica nahe. Doch Vorsicht: Selbst bei vermeintlich typischem MRT-Befund kann die Ursache der Beschwerden eine andere sein.

Definitionsgemäß liegt eine Meningeosis neoplastica vor, wenn sich Tumorzellen im Subarachnoidalraum ausbreiten, diffus im Liquor schwimmen und/oder sich an den Hirnhäuten absiedeln. In etwa der Hälfte der Fälle finden sich zusätzlich Metastasen im Hirnparenchym, erklärte Professor Dr. Dr. Ghazaleh Tabatabai, Ärztliche Direktorin der Neurologie am Universitätsklinikum Tübingen. Der Befall kann das Gehirn, das Rückenmark oder beide Bereiche betreffen, wobei meist eine Lokalisation dominiert.

Wann immer bei einem Tumorpatienten ein Nebeneinander topologisch verschiedener fokal-neurologischer Symptome auftritt, ist die Meningeosis neoplastica als Differenzialdiagnose in Betracht zu ziehen. Erschwert wird die Situation allerdings dadurch, dass die Symptome wenig spezifisch sind.

Verdacht auf Meningeosis

Symptome, die bei Tumorpatienten an eine Meningeosis neoplastica denken lassen sind:
  • Kopf-, Nacken-, Rückenschmerzen
  • Nausea, Erbrechen
  • Hirnnervenausfälle
  • Sensibilitätsstörungen
  • Paresen
  • Blasen- und/oder Mastdarmstörungen
  • radikuläre Symptome
  • neurokognitive Störungen

Schildert der Patient neurokognitive Leistungsdefizite, müssen insbesondere psychiatrische Krankheitsbilder, Anfallsleiden oder Nebenwirkungen der Tumortherapie ausgeschlossen werden, erinnerte die Kollegin.

Tumorerkrankung ist in den meisten Fällen bekannt

Prof. Tabatabai forderte, auf die Neurokognition bei Patienten mit Meningeosis neoplastica besonders zu achten, weil Defizite die Lebensqualität maßgeblich beeinflussen und sie zudem häufig behebbar sind. Die neurologische Forschung trage dem bereits Rechnung, indem sie neurokognitive Probleme als wichtige Endpunkte in klinische Studien zu Meningeosis neoplastica integriere. Bei den meisten Meningeosis-Patienten ist die primäre Tumor­erkrankung bekannt. Das diagnostische Work-up umfasst neben Anamnese und klinisch-neurologischem Status die sorgfältige Medikamentenanamnese, die MRT (zerebral und spinal) sowie die Liquoruntersuchung. Als erstes ist abzuklären, ob eine Liquorzirkulationsstörung vorliegt oder sich anbahnt. Wichtig: Bildgebung alleine reicht nicht, um die Diagnose zu sichern. „Sofern keine handfesten klinischen Kontraindikationen vorliegen, ist die Liquorpunktion unverzichtbar“, sagte Prof. Tabatabai. Die Gründe für diese Einschätzung verdeutlichte sie anhand folgender Kasuis­tik.

Cave Verwechslungsgefahr!

Das folgende Fallbeispiel aus Prof. Tabatabais Klinik zeigt zweierlei: die Bedeutung der Arzneimittelanamnese und dass man sich bei Meningeosisverdacht nicht allein auf die MRT verlassen darf. Eine 73-jährige Patientin hatte wegen eines Melanoms im Stadium IV insgesamt neun Therapiezyklen mit Checkpoint-Inhibitoren erhalten, davon drei Zyklen mit einer Zweifachkombination. Acht Monate nach Therapieende traten Ataxie, Schwindel, Kopfschmerz und Erbrechen auf. Da die MRT kontrastmittelaufnehmende Läsionen im Bereich der Leptomeningen zeigte, empfahl das Tumorboard die Ganzhirnbestrahlung. Zum Glück für die Patientin veranlassten die behandelnden Kollegen noch eine Liquorpunktion (lege artis: bis zu dreimal). Dabei wurden keine Tumorzellen gefunden, aber eine lymphozytäre Pleozytose sowie erhöhte Protein- und Laktatwerte. Weiter fand sich eine Entgleisung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse. Hier lag also keine Meningeosis melanomatosa vor, sondern eine aseptische Meningitis und Hypophysitis als späte Nebenwirkung der immunonkologischen Therapie. Die Patientin erhielt Steroide, unter denen sich die bildmorphologischen Veränderungen zurückbildeten.

Zur Liquor-Basisdiagnostik gehören Druckmessung, Zytologie und Immunzytochemie, außerdem die Bestimmung von Zellzahl, Laktat, Gesamtprotein, IgG und IgG-Index. Ob und welche Parameter sonst noch gemessen werden, richtet sich nach der konkreten Fragestellung und möglichen Differenzialdiagnosen. Falls das erste Punktat unauffällig ist, sollte die Untersuchung wiederholt werden. Erst wenn drei sequenzielle Punktionen negativ ausfallen, lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Meningeosis neo­plastica ausschließen. Wichtig ist, dass ausreichend Liquor gewonnen wird (mindestens 5–10 ml) und dass er rasch eingesandt wird mit unter einer Stunde Verzug. Noch nicht in der klinischen Routine etabliert, aber in spezialisierten Zentren zunehmend genutzt, ist die Möglichkeit, den Liquor im Sinne einer Liquid Biopsy zur erweiterten molekularen Diagnostik zu verwenden.

Radioonkologie manchmal nur eingeschränkt nutzbar

Die Entscheidung über die Therapie sollte im Tumorboard fallen unter Beteiligung aller Fachrichtungen, die in die Behandlung des Primärtumors involviert sind. Radioonkologische Verfahren stehen an erster Stelle, sind aber – speziell bei disseminiertem spinalem Befall – manchmal nur eingeschränkt nutzbar. Intra­thekale Optionen lassen sich bei nicht-adhärenter Meningeosis gut nutzen, entweder repetitiv lumbal oder intraventrikulär über ein Reservoir. Prof. Tabatabai hob hervor, dass die zeitliche Abfolge von Radio-, System- und intrathekaler Therapie gut abgestimmt werden muss, um Überschneidungen zu vermeiden, welche Nebenwirkungen und Toxizitäten potenzieren könnten. Man müsse auf Zeichen eines Hirnödems bzw. einer intrazerebralen Drucksteigerung achten. Bei beginnender Hirndrucksteigerung riet Prof. Tabatabai zu Dexamethason, wobei eine Applikation pro Tag reicht, da die Halbwertzeit 36–54 Stunden beträgt. Therapeutischer Nihilismus sei keinesfalls angezeigt: „Es gibt zunehmend bessere medikamentöse Optionen mit gesteigerter Bioverfügbarkeit im ZNS“, so Prof. Tabatabai. Ein Beispiel ist das Taxanderivat ANG1005, in dem drei Paclitaxel-Moleküle mit einem Peptid gekoppelt sind, um das Konstrukt besser hirngängig zu machen. Eine offene Phase-2-Studie mit 72 Patientinnen mit Hirnmetastasen eines Mammakarzinoms, von denen 28 auch eine Leptomeningeosis zeigten, verlief ermutigend.

Verlauf anhand bestimmter Kriterien beurteilen

Gleiches gilt für eine noch nicht abgeschlossene Phase-1-Studie mit intra­­thekaler Applikation des Checkpoint-Inhibitors Nivolumab. Deshalb sollten die Patienten an Zentren angebunden werden, die entweder selbst Studien machen oder Patienten dorthin vermitteln können. Diskutiert wird zurzeit, welche Kriterien für die Verlaufsbeurteilung herangezogen werden sollen. Die RANO*-Arbeitsgruppe hat eine Kombination von neuroradiologischen, liquorzytologischen und klinischen Parametern vorgeschlagen, die fortlaufend aktualisiert wird.

* Response Assessment in Neuro-Oncology

Kongressbericht: 93. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (Online-Veranstaltung)

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Nachweis einer Meningeosis neoplastica im Liquorsediment: Die Zellen eines Bronchialkarzinoms stellen sich in der Pappenheim-Färbung blau dar. Nachweis einer Meningeosis neoplastica im Liquorsediment: Die Zellen eines Bronchialkarzinoms stellen sich in der Pappenheim-Färbung blau dar. © wikimedia commons/Marvin101 (CC BY-SA 2.0 de)