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„Gesundheitsversorgung verbessern und Diskriminierung abbauen“

Wie viele Menschen mit DLBCL oder anderen Tumorerkrankungen sind mit HIV infiziert?
Dr. Malte Benedikt Monin: Die überwiegende Mehrheit der Krebspatient:innen weist keine HIV-Infektion auf. Es ist jedoch aufschlussreicher, die Häufigkeit verschiedener Tumorerkrankungen bei Menschen, die mit HIV leben, mit der von Personen ohne Infektion zu vergleichen.
Im Jahr 2010 stellten Non-Hodgkin-Lymphome noch die häufigste Tumorentität in der Gruppe der PLWH dar. Dank der Fortschritte im Bereich der antiretroviralen Therapie kann der Immunstatus der Betroffenen heute effektiv stabilisiert und das Virus supprimiert werden. Dadurch ging die Inzidenz von Lymphomen bei PLWH in den vergangenen Jahren deutlich zurück. Das DLBCL bleibt dabei mit etwa 45 % die häufigste HIV-assoziierte Lymphomentität, deren Prognose sich durch die antiretrovirale Therapie aber ebenfalls deutlich verbessert hat.
Heutzutage sind Prostata- und Lungenkarzinome die häufigsten Tumorerkrankungen, unter denen PLWH leiden, gefolgt von den Non-Hodgkin-Lymphomen. Letztere treten in der Gruppe der Menschen mit HIV relativ häufiger auf als bei Personen ohne HIV-Infektion. Aufgrund höherer Raten von Ko-Infektionen mit Hepatitisviren, humanen Papillomviren oder Herpesvirus 8 erkranken PLWH auch an anderen Tumoren relativ häufiger als Menschen ohne HIV. Dazu zählen das hepatozelluläre Karzinom, das Analkarzinom, Kopf-Hals-Tumoren und das Kaposi-Sarkom.
Die unterschiedliche relative Häufigkeit von Krebsentitäten zwischen Personen mit und ohne HIV-Infektion muss im Zuge der Betreuung der Patient:innen, insbesondere hinsichtlich der Vorsorgemaßnahmen, berücksichtigt werden. Die Weltgesundheitsorganisation hat darauf hingewiesen, dass die Inzidenz von Krebserkrankungen im Allgemeinen gestiegen ist und bis 2050 weiter zunehmen wird. Dies gilt auch für die alternde Gruppe der PLWH und geht mit zunehmender Morbidität und Mortalität einher.
Spricht etwas dagegen, CAR-T-Zellen bei gleichzeitig vorliegender HIV-Infektion einzusetzen?
Dr. Monin: Nein, es spricht nichts dagegen. Sowohl die deutsche als auch die gerade neu erstellte europäische Leitlinie empfehlen, dass HIV-positive Lymphompatient:innen mit ausreichend regeneriertem Immunstatus und supprimiertem HI-Virus die gleichen Behandlungen erhalten sollten wie diejenigen ohne HIV-Infektion. Dies schließt explizit autologe und allogene Stammzelltransplantationen sowie CAR-T-Zell-Produkte ein.
Ist die Wirksamkeit in der Gruppe der PLWH möglicherweise eingeschränkt?
Dr. Monin: Nein. Entscheidend ist, dass alle PLWH die antiretrovirale Therapie unter Beachtung möglicher Interaktionen immer parallel zur antineoplastischen Behandlung erhalten. Erstere ist ein entscheidender additiver Baustein, um die HIV-Infektion dauerhaft zu kontrollieren und das Immunsystem von PLWH zu stabilisieren. Interaktionen zwischen der antiretroviralen Therapie und CAR-T-Zell-Produkten sind nicht zu erwarten.
Warum werden Menschen mit HIV aus Studien zu CAR-T-Zellen ausgeschlossen?
Dr. Monin: Bedauerlicherweise ist das bei der Mehrheit klinischer Studien immer noch üblich und nicht auf Untersuchungen zu CAR-T-Zell-Produkten beschränkt. Dies hat vor allem historische Gründe. Als die HIV-Infektion noch nicht so gut behandelt werden konnte wie heute, war der Ausschluss von PLWH aus den meisten Studien nachvollziehbar. Aufgrund der sehr guten Therapiemöglichkeiten sollte das Vorliegen einer HIV-Infektion per se heute aber kein Hinderungsgrund mehr für die Teilnahme an Studien sein – im Gegenteil.
In Rücksprache mit in der HIV-Behandlung erfahrenen Infektiolog:innen können Kriterien definiert werden, die erfüllt sein müssen, um einen Bias durch die zugrunde liegende HIV-Infektion zu vermeiden. Als Richtwert gelten CD4+-Zellzahlen von > 200/µl und eine HI-Viruslast ≤ 200–1000 Kopien/ml, wobei die genannten Werte auch unter Berücksichtigung weiterer Faktoren variabel sind. Es ist daher sehr erfreulich und begrüßenswert, dass eine HIV-Infektion in den aktuellen ZUMA-Folgestudien zum Einsatz von CAR-T-Zell-Therapien beim DLBCL und anderen Lymphomentitäten kein Ausschlusskriterium mehr darstellt.
Gibt es Studienergebnisse zur Behandlung von PLWH mit CAR-T-Zell-Produkten?
Dr. Monin: Die aktuell vorliegenden Daten zum Einsatz von CAR-T-Zell-Therapien bei HIV-positiven Menschen beschränken sich noch auf kleinere Fallserien und retrospektive Analysen. Auf dem Kongress der American Society of Hematology 2022 wurde die bisher umfangreichste Auswertung von 21 Patient:innen vorgestellt.
Aus den vorliegenden Berichten geht hervor, dass CAR-T-Zellen auch in der Gruppe der HIV-positiven Personen sicher und effektiv sind. Die Ansprechraten waren gut, teilweise wurden komplette Remissionen erzielt und es gab keine Hinweise auf eine erhöhte Toxizität.
Wie positioniert sich die DGHO zu diesem Thema?
Dr. Monin: Aus dem Arbeitskreis HIV-Neoplasien der DGHO heraus wurde eine eindeutige Empfehlung zum Einsatz von CAR-T-Zell-Produkten bei PLWH herausgegeben. Die Expert:innen sind der Ansicht, dass spezialisierte Tumorboards die Expertise von in der HIV-Behandlung erfahrenen Infektiolog:innen einholen und CAR-T-Zell-Therapien innerhalb der Indikationen sowohl HIV-positiven als auch HIV-negativen Patient:innen gleichermaßen empfehlen sollten.
Stellungnahme der DGHO
Die Stellungnahme der DGHO ist abrufbar unter https://bit.ly/stellungnahme_dgho
Gibt es trotz Ausschluss aus Studien die Möglichkeit, Menschen mit HIV mit CAR-T-Zellen zu behandeln?
Dr. Monin: Es kann natürlich ein Kostenübernahmeantrag gestellt werden und ich möchte auch alle Zentren dazu ermuntern. Eine Empfehlung durch ein Tumorboard ist dafür hilfreich.
Bisher wurde die Therapie von PLWH mit CAR-T-Zellen von den Kostenträgern in der Regel aber leider abgelehnt. Die Tatsache, dass HIV-infizierte Menschen von den prospektiv-randomisierten Zulassungsstudien ausgeschlossen waren, wurde als Einschränkung der Indikation fehlinterpretiert. Die Uniklinik Köln hat dennoch bereits ohne gesicherte Kostenübernahme eine CAR-T-Zell-Therapie bei einer HIV-positiven Person mit DLBCL erfolgreich durchgeführt.
Welche Besonderheiten müssen beachtet werden, wenn Menschen mit HIV CAR-T-Zellen erhalten?
Dr. Monin: Aktuell liegen hierzu nur Daten zum Einsatz von gamma-retroviral hergestellten CAR-T-Zell-Produkten vor. Daher ist die Gabe von Axicabtagen-Ciloleucel für Menschen mit PLWH und DLBCL zu empfehlen.
Weitere CAR-T-Zell-Produkte, die zur Therapie von DLBCL oder anderen Lymphomen zum Einsatz kommen, werden lentiviral transfiziert. Da das HI-Virus zur Gattung der Lentiviren gehört, besteht theoretisch ein erhöhtes Risiko für eine unkontrollierte CAR-Expansion bei PLWH während der HIV-Replikation in vivo.
Allerdings liegen keine Daten zum Einsatz lentiviraler CAR-T-Zell-Produkte in der Gruppe der Menschen mit HIV-Infektion vor. Aus meiner Sicht ist das Risiko einer unkontrollierten CAR-Expansion unter einer antiretroviralen Therapie mit effektiver Virussuppression extrem gering und eine sehr theoretische Überlegung. Wichtig wäre es gerade für diese Patient:innen, die antiretrovirale Therapie konsequent fortzuführen, um das Virus zu supprimieren und somit das Risiko einer CAR-Expansion zu minimieren.
Was muss sich ändern, damit Menschen mit HIV vermehrt Zugang zu innovativen Optionen haben?
Dr. Monin: PLWH sollten, wann immer möglich, in neuere Studien eingeschlossen werden. Dadurch lassen sich neben der Datenakquise auch Diskriminierung und Vorurteile abbauen.
Wenn Menschen mit HIV neuere Therapien erhalten und wenig Erfahrung damit vorliegt – was leider häufig der Fall ist –, möchte ich dazu aufrufen, Fallberichte zu publizieren. Diese sorgen für einen wertvollen Wissenszuwachs, können aber auch zusätzlich als Argumentationsgrundlage für die Kostenträger dienen und somit den Zugang zu innovativen Behandlungen erleichtern.
Die Ergebnisse zu CAR-T-Zell-Produkten bei PLWH sind vielversprechend. Es ist erschreckend, mit welcher Ungleichbehandlung Menschen mit HIV in unserem Gesundheitssystem noch immer konfrontiert sind. Der Zugang zu innovativen Therapien sollte ihnen erleichtert werden, um die Gesundheitsversorgung zu verbessern und Diskriminierung abzubauen. Den Ausschluss von potenziell lebensrettenden Optionen darf man nicht hinnehmen.
Interview: Dr. Miriam Sonnet
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