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Molekulare Therapien gewinnen bei Schilddrüsenkarzinomen an Bedeutung

Hat ein Schilddrüsentumor Metastasen gebildet, sind oft systemische Therapien erforderlich. Prof. Dr. Christine H. Chung vom Moffitt Cancer Center in Tampa, Florida, erläuterte anhand von zwei Fallbeispielen, welche Möglichkeiten zielgerichtete Medikamente eröffnen.
Als eine 53-jährige Patientin sich ein Jahrzehnt nach ihrer ersten Krebserkrankung wegen Brustschmerzen in einer Klinik vorstellte, entdeckten die Ärzt:innen Absiedelungen des papillären Schilddrüsenkarzinoms in der Lunge und im Kopf des Pankreas. Im untersuchten Biopsiematerial fand sich unter anderem eine BRAFV600E-Mutation. Aus Sorge vor Toxizitäten verweigerte die Frau zunächst eine systemische Therapie. „Sie sagte mir, ihr gefalle nicht, was sie darüber gelesen hat“, schilderte Prof. Chung. Vier Jahre später veranlassten belastungsabhängige Atemnot und chronischer Husten die Patientin schlussendlich dazu, sich auf eine medikamentöse Behandlung einzulassen.
Wirksame Multikinase-Inhibitoren
Mittlerweile stehen verschiedene Substanzen zur Verfügung, die auf Tyrosinkinasen abzielen. Phase-3-Studien belegen die Wirksamkeit der Multikinase-Inhibitoren Sorafenib und Lenvatinib bei lokal fortgeschrittenen und metastasierten, radiojodresistenten differenzierten Schilddrüsentumoren (DTC). „Verglichen mit Lenvatinib hat Sorafenib ein etwas günstigeres Toxizitätsprofil, während das mediane PFS etwas kürzer ist“, beschrieb die Ärztin den Unterschied zwischen den Substanzen. Lenvatinib verursachte beispielsweise bei 42 % der Studienteilnehmer:innen Hypertonien vom Grad 3 oder 4, unter Sorafenib betraf dies nur 10 %. Auch unter anderem Appetitverlust oder Proteinurie traten mit Lenvatinib häufiger auf.
Die Patientin nahm zu Beginn 20 mg Lenvatinib täglich ein. Prof. Chung begründete die gegenüber den FDA-Empfehlungen verringerte Startdosis mit Erfahrungswerten zur Verträglichkeit und dem geringen Gewicht der Behandelten (57 kg). Der Tumor sprach partiell an, allerdings musste die Dosis zweimal reduziert werden. Die Frau litt unter gastrointestinalen Beschwerden und verlor Gewicht, außerdem entwickelte sie einen schwer kontrollierbaren Bluthochdruck. Unter 10 mg Lenvatinib blieb ihre Erkrankung stabil und die Toxizitäten beherrschbar. Sie nahm diese Dosis zwei Jahre lang ein, bis sie ein perforiertes Divertikel und eine Kolitis entwickelte. Die Komplikationen erforderten einen Abbruch der Therapie und die Patientin habe gezögert, eine neue Behandlung zu beginnen. Nach einem Jahr Beobachtung erlitt sie im Alter von 60 Jahren einen Progress.
Grundsätzlich stelle 60 mg Cabozantinib eine Option für die Zweitlinie dar. Prof. Chung betonte, dass die Darreichungsform und Dosis von der bei medullären Schilddrüsentumoren gebräuchlichen Praxis abweichen: „Üblicherweise verwendet man bei differenziertem Schilddrüsenkrebs Tabletten, keine Kapseln.“ Angiogenese-Hemmer als Klasse bergen das Risiko von Perforationen im Magen-Darm-Trakt, weshalb sie im vorliegenden Fall stark zögern würde.
Stellenwert der Immuntherapie bei DTC
In der Keynote-158-Studie erreichte Pembrolizumab nur eine ORR von 6,8 % in vorbehandelten DTC-Patient:innen. Auch das PFS war geringer als unter Multikinase-Inhibitoren.
DTC verfügen nicht selten über targetierbare Treibermutationen. Dazu zählen BRAFV600E (50–60 % der papillären Karzinome), NTRK3 oder RET-Fusionen. Hier könne man gegen die spezifische Alteration gerichtete Therapien erwägen. Für die Behandlung von BRAFV600E-positiven soliden Tumoren kommt laut der Referentin eine Kombination aus Dabrafenib und Trametinib infrage. Das Toxizitätsprofil dieser Substanzen unterscheide sich signifikant von Lenvatinib sowie Cabozantinib. Statt Bluthochdruck, Proteinurie und Hand-Fuß-Syndrom stehen Fieber, Muskelschmerzen und Schüttelfrost im Vordergrund. „Sie können also die Risiken und Nutzen dieser Substanzen gegeneinander abwägen und die wählen, die für Ihre Patient:innen angemessen ist“, schlussfolgerte die Referentin.
Bei einer RET-Fusion erreichten Selpercatinib und Pralsetinib gute Ansprechraten, wobei noch keine randomisierten Studien existieren. Liegt eine TRK-Fusion vor, kommen Larotrectinib und Entrectinib infrage. Studien schlossen allerdings nur eine geringe Fallzahl an Schilddrüsentumoren ein.
Als Zweites betrachtete die Referentin den Fall eines 81-jährigen Mannes mit einem schnell wachsenden, anaplastischen Schilddrüsenkarzinom (ATC). Die Ärzt:innen biopsierten eine ausgedehnte Metastase im Nackenbereich, welche sich als immunhistochemisch positiv für BRAF herausstellte und einen PD-L1-Score von 30 % aufwies. Eine Kombination aus Dabrafenib und Trametinib erwies sich in einer Studie gegen BRAF-mutierte ATC als wirksam, zwei Drittel der Erkrankten mit bestätigtem Mutationsstatus sprachen auf die Behandlung an.
Der Patient begann, zweimal täglich 150 mg Dabrafenib einzunehmen, dazu einmal täglich 2 mg Trametinib. Die Sequenzierung des Tumormaterials bestätigte, dass eine BRAFV600E-Mutation vorlag. Nach zwei Monaten schrumpfte die Nackenmetastase, aber der Senior litt unter Erschöpfung, Übelkeit und Fieber. Er brach die Therapie auf eigenen Wunsch ab und begab sich in Hospizbetreuung.
Für die Zweitlinie hätte Prof. Chung laut eigener Aussage eine Kombination aus Lenvatinib und Pembrolizumab gewählt, sofern der Performance-Status des Patienten besser gewesen wäre. Einzelne Daten zu dieser Kombination sowie zum PD1-Antikörper Spartalizumab bei ATC belegen therapeutische Erfolge. Diese Entität trage tendenziell eine höhere Tumormutationslast als papilläre Karzinome.
Zusammenfassend könne man im Falle von asymptomatischen Patient:innen mit DTC und geringem Risiko einer Progression riskieren, zunächst abzuwarten. Anderenfalls stellten zielgerichtete Therapien mit Kinase-Inhibitoren eine effiziente Behandlungsoption dar. Bei anaplastischen Karzinomen mit BRAF-Mutation habe sich Dabrafenib plus Trametinib als wirksam erwiesen. „Checkpoint-Inhibitoren mit oder ohne Lenvatinib haben möglicherweise einen Nutzen für eine Subgruppe von Patient:innen mit anaplastischen Schilddrüsentumoren“, schloss die Referentin.
Quelle:
Chung CH. 2023 ASCO Annual Meeting; Vortrag: „Molecular Targeted Therapy for Differentiated and Anaplastic Thyroid Carcinomas“
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