Neue Leitlinie zur Behandlung von kongenitalen Herzfehlern bei Erwachsenen

Dr. Anja Braunwarth

Die 23-Jährige kam mit einer Transposition der großen Gefäße und einem Ventrikelseptum­defekt zur Welt. Die 23-Jährige kam mit einer Transposition der großen Gefäße und einem Ventrikelseptum­defekt zur Welt. © Science Photo Library/Zephyr

In den letzten zehn Jahren hat sich zum Thema angeborene Herzerkrankungen beim Erwachsenen viel getan. Für die European Society of Cardiology schien es daher Zeit, ihre Leitlinien zu aktualisieren. Vier Experten stellten beim Jahreskongress der Fachgesellschaft wesentliche Inhalte vor.

Linksventrikuläre Obstruktion des Ausflusstrakts

Liegt bei Patienten mit symptomatischer Aortenklappenstenose eine schwere Einengung vor (mittlerer Gradient ≥ 40 mmHg), wird die Intervention empfohlen, erläuterte Professor Dr. Werner Budts von der Kardiologie an den Universitätskliniken Leuven. Klar indiziert sei sie bei schwerem Low-Flow, einem mittleren Gradienten < 40 mmHg, aber reduzierter Ejektionsfaktion (EF) und dem Nachweis einer kontraktilen Flowreserve, es sei denn, es handele sich um eine pseudoschwere Aortenstenose.

Asymptomatische Fälle mit schwerer Stenose brauchen eine Behandlung, wenn der Belastungstest eindeutig aufgrund dieser Grunderkrankung pathologisch ausfällt oder eine linksventrikuläre Dysfunktion (LVEF < 50 %) klar darauf beruht.

Für supravalvuläre Aortenstenosen gilt: Haben die Betroffenen Symptome und einen mittleren Gradienten ≥ 40 mmHg, sollte der Chirurg ran. Liegt der Gradient niedriger, empfiehlt man in der Leitlinie die OP in folgenden Fällen:

  • Beschwerden aufgrund einer Ob­struktion (Belastungsdyspnoe, Angina, Synkope)
  • nicht anders zu erklärende linksventrikuläre systolische Dysfunktion (LVEF < 50 %)
  • versorgungsbedürftige signifikante KHK oder Klappenläsion

Für symptomatische subvalvuläre Aortenstenosen besteht die OP-Indikation bei mittlerem Ruhedopplergradient ≥ 40 mmHg oder schwerer Aorteninsuffizienz.

Shuntläsionen und pulmonale Hypertonie

Zeigen Patienten mit einem Shunt Zeichen eines erhöhten pulmonal-arteriellen Druckes, ist die invasive Messung des pulmonal-vaskulären Widerstandes obligat, erklärte Professor Dr. Markus ­Schwerzmann von der Universitätsklinik für Kardiologie am Inselspital Bern. Aus dem Befund leitet man bei hämodynamisch relevantem Shunt (Qp:Qs > 1,5) je nach Wood Units die adjustierten Empfehlungen für einen Verschluss ab (s. Kasten).

Wood-Unit(WU)-Grenzwerte des pulmonal-vaskulären Widerstandes für den Shuntverschluss

  • < 3 WU: Klasse-I-Empfehlung für Vorhofseptumdefekt (ASD), Ventrikelseptumdefekt (VSD) und persistierenden Ductus arteriosus Botalli (PDA)
  • 3–5 WU: Klasse-IIa-Empfehlung für ASD, VSD und PDA
  • ≥ 5 WU mit Abfall auf < 5 WU nach gezielter Therapie der pulmonalen Hypertonie: Klasse-IIb-Empfehlung für ASD (nur fenes­trierter Verschluss)
  • ≥ 5 WU Klasse-IIb-Empfehlung für VSD and PDA (sorgfältige Abwägung im Zentrum)
  • ≥ 5 WU trotz gezielter Therapie der pulmonalen Hypertonie: Klasse-III-Empfehlung für ASD

Die Versorgung eines atrioventri­kulären Septumdefektes (AVSD) richtet sich nach Shuntgröße, Lokalisation und Insuffizienzgrad. Bezüglich der Reparatur der Klappe verwies der Referent auf die jeweilige krankheitsspezifische Leitlinie. In jedem Fall handelt es sich um kein einfaches Vitium, sondern eines, das nur erfahrene Chirurgen operieren sollten. Hinsichtlich pulmonaler Hypertonien im Rahmen einer kongenitalen Herzerkrankung berichtete Prof. Schwerzmann vier wesentliche Neuerungen:
  • Patientinnen mit bestätigtem präkapillaren Hochdruck sollte man von einer Schwangerschaft abrate
  • eine Risikobeurteilung ist für alle mit pulmonal-arterieller Hypertonie nötig
  • Betroffene mit präkapillarem Hochdruck, einfachen, reparierten Läsionen und niedrigem bis intermediärem Risiko erhalten initial oder sequenziell vorzugsweise eine orale Kombinationstherapie. Hochrisikokandidaten bekommen eine initiale Kombi, die parenterale Prostanoide enthält.
  • Für Eisenmenger-Patienten mit eingeschränkter körperlicher Belastbarkeit (6-Minuten-Gehstrecke < 450 m) kommt zu Beginn eine Monotherapie mit einem Endothelin-Rezeptorantagonisten in Betracht, bei ausbleibendem Erfolg kann man dann eine Kombination einsetzen.

Obstruktion des rechten Ventrikelausflusstrakts

Für valvuläre Pulmonalstenosen ist die Ballon-Valvuloplastie das Mittel der Wahl, wenn es anatomisch passt, berichtete Professor Dr. Barbara J. M. Mulder, Kardiologin vom Amsterdam University Medical Center. Falls die Patienten keinen Klappenersatz benötigen, kann man bei schweren Stenosen (Doppler-Peak-Gradient > 64 mmHg) jegliche Intervention anwenden, unabhängig davon, ob Symptome vorliegen oder nicht. Besteht nur die Möglichkeit des chirurgischen Klappenaustauschs, kommt das in erster Linie für symptomatische Patienten mit hochgradiger Einengung infrage. Für asymptomatische nannte Prof. Mulder folgende Indikationen:
  • objektiver Abfall der Belastungsfähigkeit
  • nachlassende rechtsventrikuläre Funktion und/oder Progression einer Trikuspidalinsuffizienz bis mindestens zum moderaten Grad
  • Rechts-Links-Shunt über Vorhofseptumdefekt (ASD) oder Ventrikelseptumdefekt (VSD)
  • rechtsventrikulärer systolischer Druck > 80 mmHg
Bei Patienten mit einem Doppler- Peak-Gradienten < 64 mmHg sollte man Maßnahmen erwägen, wenn die Pulmonalstenose Beschwerden verursacht, die rechtsventrikuläre Funktion sinkt und/oder die Trikuspidalinsuffizienz bis mindestens zum moderaten Grad fortschreitet und/oder ein Rechts-Links-Shunt über ASD oder VSD besteht. Periphere Pulmonalstenosen mit einer mehr als 50%igen Einengung und einem rechtsventrikulären sys­tolischen Druck > 50 mmHg mit oder ohne verminderte Lungenperfusion eignen sich unabhängig von Symptomen für eine Katheterintervention. Fallot-Tetralogien werden heute in der Regel im Kindesalter repariert. „Wir beobachten aber viele Spätkomplikationen bei den Erwachsenen“, erklärte Prof. Mulder. Zum Beispiel Pulmonalinsuffizienzen. Bei schwerer Regurgitation mit Symptomen und/oder mindes­tens moderater rechtsventrikulärer Ausflusstraktobstruktion (RVOTO) wird der Pulmonalklappenaustausch empfohlen. Haben die Betroffenen in dieser Konstellation keine Beschwerden, kann man über den Ersatz nachdenken, wenn eine RVOTO mit einem rechtsventrikulären systolischen Druck > 80 mmHg vorliegt. Gleiches gilt bei progressiver rechtsventrikulärer systolischer Dysfunktion/Dilatation, fortschreitender Trikuspidalinsuffizienz sowie abfallender Belastbarkeit. Gibt es keinen nativen Ausflusstrakt mehr, sollte man in jedem Fall die Katheterintervention bevorzugen. Leiden die Betroffenen unter einer anhaltenden ventrikulären Tachykardie, erstellt man präinterventionell am besten ein Mapping und versorgt die verantwortlichen Areale dann mit. Eine Risikostratifizierung bezüglich des plötzlichen Herztodes mittels elektrophysiologischer Evaluierung brauchen Patienten mit zusätzlichen Risikofaktoren (z.B. rechts-/linksventrikuläre Dysfunktion). Der Verschluss eines residualen Ventrikelseptumdefektes kommt bei signifikanter Volumenüberladung des linken Ventrikels oder im Zuge des Pulmonalklappenaustauschs in Betracht.

Transposition der großen Arterien

Nach atrialer Switch-Operation besteht die Indikation für eine chirurgische Intervention, wenn symptomatische Patienten Leckagen oder Stenosen in der Scheidewand (baffle leak/baffle stenosis) haben oder eine pulmonalvenöse Atriumobstruktion vorliegt, referierte Dr. Folkert Meijboom vom University Medical Centre Utrecht. Mit oder ohne Beschwerden solle eine Klappenreparatur bei schwerer atrioventrikulärer Regurgitation mit erhaltener EF erwogen werden. Im Fall von symptomatischen Scheidewandstenosen kann alternativ der Katheter zum Einsatz kommen, ebenso wie bei Scheidewand-Leckagen mit Zyanosen, starkem Verdacht auf paradoxe Embolien oder Krankheitszeichen durch den Links-Rechts-Shunt. Man kann ein solches Leck auch bei beschwerdefreien Patienten mit ventrikulärer Volumenüberlastung interventionell verschließen. Brauchen Kranke mit der Leckage einen internen Defi oder einen Schrittmacher, schlägt die Leitlinie die Abdichtung mittels Stent vor. Wurde im Kindesalter die Transposition bereits korrigiert, empfehlen die Experten für Menschen mit schwerer symptomatischer Trikuspidalinsuffizienz den Klappenaustausch. Bei Beschwerdefreiheit, aber gravierendem Befund stellt die progressive systemische rechtsventri­kuläre Dilatation und/oder die geringgradig eingeschränkte systolische rechtsventrikuläre Funktion (EF > 40 %) eine OP-Indikation dar.

Quelle: ESC* Congress 2020 – The Digital Experience

* European Society of Cardiology

1. Baumgartner et al. Eur Heart J 2020; ehaa554; DOI: 10.1093/eurheartj/ehaa554

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Die 23-Jährige kam mit einer Transposition der großen Gefäße und einem Ventrikelseptum­defekt zur Welt. Die 23-Jährige kam mit einer Transposition der großen Gefäße und einem Ventrikelseptum­defekt zur Welt. © Science Photo Library/Zephyr