NSAR und Diabetes und ihre Auswirkungen

Dr. Peter Schweikert-Wehner

Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) zählen zu den am häufigsten verordneten Arzneimitteln in Deutschland. Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) zählen zu den am häufigsten verordneten Arzneimitteln in Deutschland. © Bro Vector - stock.adobe.com

Unter welchen Bedingungen ist bei der Einnahme von NSAR (nicht-steroidale Antirheumatika) mit erhöhten Risikenfür Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Nierenfunktionsstörungen zu rechnen? Ein Überblick mit einem besonderen Fokus auf Menschen mit Vorerkrankungen wie Diabetes.

Folgen des Diabetes

Die aktuellen Versorgungsleitlinie Typ- 2-Diabetes berichtet über die Prävalenz von Begleiterkrankungen (Adipositas, Bluthochdruck, koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz, Schlaganfall und Depression) bei Menschen mit Diabetes. Nach Daten des RKI lag der Anteil der gesetzlich krankenversicherten Personen mit Diabetes, bei denen eine chronische Niereninsuffizienz dokumentiert wurde im Jahr 2013 insgesamt bei 15,1 %. Sowohl in diesen DaTraVDaten von 2013 (Versorgungsdaten aller gesetzlich Versicherten) als auch in den Daten des DMP-Programms Nordrhein- Westfalens zeigt sich ein altersabhängiger Anstieg der Nephropathie-Rate (DaTraVDaten: 50–59 Jahre 6,0 %; 70–79 Jahre 18,3 %; ≥ 90 Jahre 30,2 %). Studien und Register, welche die Nierenfunktion mittels Laborwerten abschätzen, geben höhere Raten an, was zum Teil über den Anteil unerkannter Fälle erklärt werden kann. In einer aktuellen Querschnittsstudie auf Basis ambulanter vertragsärztlicher Abrechnungsdaten aus dem Jahr 2019 waren Menschen mit Diabetes im Vergleich zu Menschen ohne Diabetes häufiger von koronarer Herzkrankheit, Herzinsuffizienz und Schlaganfall betroffen (Koronare Herzkrankheit: Frauen mit Diabetes 20,7 %, ohne 10,6 %; Männer mit Diabetes 31,2 %, ohne 17,8 %; Herzinsuffizienz: Frauen und Männer mit Diabetes 20,2 %, ohne 10,8 %; Schlaganfall: Frauen mit Diabetes 6,8 %, ohne 3,9 %; Männer mit Diabetes 8,0 %, ohne 4,9 %) (1).

Folgen der Therapie mit Nichtsteroidalen Antirheumatika

Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) zählen zu den am häufigsten verordneten Arzneimitteln in Deutschland. Führend nach verordneten Tagesdosen (defined daily dose, DDD) waren dabei im Jahr 2011 Ibuprofen mit 422,4 Mio. DDDs und Diclofenac mit 419,8 Mio. DDDs. Bis Juni 2016 wurden die Datenbanken MEDLINE und EMBASE auf NSAR-Anwendung und Nierenerkrankungen durchsucht und 3789 Artikel gesichtet. Zehn Studien, die über das NSAR-Risiko für akute Nierenschäden (AKI) in der Allgemeinbevölkerung berichteten, wurden in die Metaanalyse eingeschlossen, von denen fünf zusätzlich über das NSAR-Risiko bei Menschen mit chronischer Nierenerkrankung (CKD) berichteten. Befund: In der Allgemeinbevölkerung lag die gepoolte Odds Ratio (OR) von AKI bei aktueller NSAR-Exposition bei 1,73 (KI: 1,44 bis 2,07), wobei bei älteren Menschen ein etwas höheres Risiko beobachtet wurde: OR 2,51 (KI: 1,52 bis 2,68). Bei Menschen mit CKD und AKI lag die OR bei NSAR-Exposition zwischen 1,12 und 5,25, mit einer gepoolten Schätzung von OR 1,63 (KI: 1,22 bis 2,19) (2).

Nachfolgende Daten stammen aus einem SOS-Projekt, gefördert durch die Europäische Kommission (Safety Of non- Steroidal anti-inflammatory drugs). Eine Metaanalyse von Beobachtungsstudien über 18 unabhängige Studienpopulationen mit insgesamt etwa 100.000 akuten Myokardinfarkten bestätigt ein grenzgradig bis leicht erhöhtes Risiko für einen Infarkt bei Einnahme verschiedener NSAR gegenüber keiner Einnahme von NSAR. Hiernach betrug das relative Risiko für Naproxen 1,06 (KI: 0,94-1,20), für Ibuprofen 1,14 (KI: 0,98-1,31), für Diclofenac 1,38 (KI: 1,26-1,52), für Celecoxib 1,12 (KI: 1,00- 1,24) und für Rofecoxib 1,34 (KI: 1,22-1,48).

In einer dritten Metaanalyse von Beobachtungsstudien aus dem SOS-Projekt wurde das Schlaganfallrisiko unter NSAR-Anwendung untersucht. Während sich in dieser Untersuchung ein erhöhtes Risiko bei aktueller Einnahme von Rofecoxib: RR 1,64 (KI 1,15–2,33) sowie von Diclofenac: RR 1,27 (KI 1,08–1,48) zeigte, konnte in der Metaanalyse von randomisierten Studien ein generell erhöhtes Schlaganfallrisiko unter NSAR nicht nachgewiesen werden (3).

NSAR, Diabetes und Niere

Tsai und Kollegen führten eine retrospektive Kohortenstudie anhand von Daten der nationalen Krankenversicherung in Taiwan mit Typ-2-Diabetespatienten ohne bestehende chronische Nierenerkrankungen durch (n = 48.715). Im Zeitraum von 2008 bis 2011 wurden insgesamt 6406 Probanden mit neu auftretender chronischer Nierenerkrankung identifiziert. Im Vergleich zu Personen, die im Jahr 2007 keine nicht-steroidalen Antirheumatika einnahmen, hatten diejenigen, die solche Medikamente im Jahr 2007 mindestens 90 Tage lang einnahmen, ein höheres Risiko für die Entwicklung einer chronischen Nierenerkrankung, adjustierte Hazard Ratio 1,37 (KI: 1,26-1,49) (4).

Lim und Kollegen suchten in einer retrospektiven Kohortenstudie mit 3896 Erwachsenen mit Diabetes Mellitus und NSAR-Verordnungen über den Zeitraum Juli 2015 bis Dezember 2017 aus dem Singapore General Hospital und den Sing- Health Polikliniken nach dem Zusammenhang dieser Faktoren und unerwünschten Nierenereignissen. Akute Nierenschädigung und/oder Hyperkaliämie traten bei 13,5 % aller Diabetiker und bei 15,8 % der Patienten mit diabetisch chronischer Nierenerkrankung auf. Die Wahrscheinlichkeit einer akuten Niereninsuffizienz und/oder Hyperkaliämie war aber nur signifikant erhöht, wenn NSAR mit einem Renin-Angiotensin-Aldosteron-System-Blocker (RAAS) [adjustierte OR: 4,17 (KI: 1,74-9,98, p = 0,001)] oder einem Diuretikum [adjustierte OR: 3,31 (KI: 1,09-10,08, p = 0,04)] gegeben wurde (5).

NSAR, Diabetes und Herzinsuffizienz

In einer Studie wurde der Zusammenhang zwischen der kurzfristigen Einnahme von NSAR und dem Risiko einer erstmaligen Krankenhauseinweisung wegen Herzinsuffizienz in einer landesweiten Kohorte von Patienten mit Typ-2-Diabetes untersucht. Die Forscher nutzten dänische Register, um Patienten zu identifizieren, bei denen zwischen 1998 und 2021 Typ-2 Diabetes diagnostiziert wurde. Patienten mit Herzinsuffizienz oder einer rheumatologischen Erkrankung, die eine langfristige Einnahme von NSAR erfordert, wurden ausgeschlossen. Es wurden Informationen zu Verordnungen von oralen NSAR (Celecoxib, Diclofenac, Ibuprofen und Naproxen) gesammelt von Patienten, die noch nie wegen Herzinsuffizienz einen Krankenhausaufenthalt hatten. Mit Hilfe eines Case-Crossover- Designs, bei dem jeder Patient als seine eigene Kontrolle fungierte, wurden Zusammenhänge zwischen der kurzfristigen Einnahme von NSAR und dem Risiko einer erstmaligen Krankenhauseinweisung wegen Herzinsuffizienz untersucht. An der Studie nahmen 331.189 Patienten mit Typ-2-Diabetes teil. Das Durchschnittsalter lag bei 62 Jahren, 44 % waren Frauen. Im ersten Jahr nach dem Einschluss in die Studie bekamen 16 % der Patienten mindestens eine NSAR-Verordnung, wobei 3 % mindestens drei Medikamente nahmen. Ibuprofen wurde von 12,2 % der Patienten verwendet, Diclofenac von 3,3 %, Naproxen von 0,9 % und Celecoxib von 0,4 %. Bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von 5,85 Jahren wurden erstmals 23.308 Patienten mit Herzinsuffizienz ins Krankenhaus eingeliefert. Die Anwendung von NSAR war mit einem erhöhten Risiko für einen erstmaligen Krankenhausaufenthalt wegen Herzinsuffizienz verbunden: Odds Ratio 1,43 (KI 1,27–1,63). Bei Analyse einzelner NSAR war das Risiko für eine Krankenhauseinweisung wegen Herzinsuffizienz nach der Anwendung von Diclofenac oder Ibuprofen am stärksten erhöht: ORs 1,48 (KI 1,10–2,00) bzw. 1,46 (KI 1,26–1,69). Celecoxib und Naproxen waren nicht mit einem erhöhten Risiko assoziiert, was möglicherweise auf den geringen Anteil der beanspruchten Verschreibungen zurückzuführen ist (6).

NSAR, Diabetes und Schlaganfall

Mit Daten aus dem Projekt „Impact of Educational and Professional Supportive Interventions on Nursing Home Quality Indicators“ (IQUARE) wurde eine multizentrischen und prospektive Studie in Seniorenheimen im Südwesten Frankreichs durchgeführt. Zur Auswertung kamen Daten von 5429 Bewohneren, die in 175 Heimen lebten mit einem Durchschnittsalter von 86,1 ± 8,1 Jahren, 73,9 %waren Frauen. Alle Verordnungen, die zu Studienbeginn vorhanden waren, wurden von einem Apotheker auf die Verwendung von Paracetamol analysiert. Nach 18 Monaten wurde die Anzahl der Myokardinfarkte und Schlaganfällen und die Sterbedaten aus den Krankenakten ermittelt. Insgesamt nahmen 2239 Bewohner täglich durchschnittlich 2352 ± 993 mg Paracetamol ein. Das Ergebnisse für die Mortalität betrug als Hazard Ratio: 0,97 (KI: 0,86-1,10). Es wurden keine Zusammenhänge zwischen der Einnahme von Paracetamol und dem Mortalitätsrisiko oder Myokardinfarkten gefunden, jedoch war die Einnahme von Paracetamol mit einem signifikant erhöhten Schlaganfallrisiko bei Menschen mit Diabetes assoziiert: OR 3,19 (KI: 1,25-8,18; P = .0157). (7) Es soll hier aber auch erwähnt werden, das eine Fall-Kontroll-Studie unter Verwendung der Datenbank des Taiwan National Health Insurance Programms aus den Jahren 2000 - 2013 mit 23 Millionen in Taiwan lebenden Menschen einen negativen Zusammenhang zwischen Schlaganfall und Paracetamolkonsum bei älteren Menschen mit Diabetes mellitus ergab: rohe Odds Ratio 0,77 (KI 0,70-0,84). Dieses Ergebnis widerspricht oben genannter Studie von Girard et al. (8).

Wirkung von NSAR auf die Glukosehomöostase

In einer Studie aus den früheren 80er Jahren von Mork und Robertson, die den Einfluss von Acetysalicylsäure, Natriumsalicylat und Ibuprofen auf den Blutzuckerspiegel bei hyperglykämischen Erwachsenen mit Typ-2-Diabetes untersuchte, kam zu dem Schluss, dass nur Ibuprofen in höherer Dosierung den Blutzucker gering (ø 17mg/dl), aber signifikant senkt (9). Mulugeta Russom und Kollegen aus Asmara in Eritrea untersuchten die VigiBase der WHO und fanden 125 Fälle von Hypoglykämie im Zusammenhang mit Ibuprofen, gemeldet aus 19 Ländern, darunter 10 aus Deutschland. Bei etwa der Hälfte der Patienten wurde in der Vergangenheit Diabetes diagnostiziert. Ibuprofen wurde in 36,8 % der Fälle als alleiniger Verdächtiger und in 18,4 % als einziges verabreichtes Medikament angegeben. Die Hypoglykämie verschwand nach Absetzen von Ibuprofen bei 21,6 % und trat bei drei Patienten (2,4 %) bei erneuter Gabe wieder auf. Die Unterzuckerung endete in 10,5 % der Fälle tödlich. Wenn nur Ibuprofen gegeben wurde, betrug die mediane Zeit bis zum Auftreten einer Hypoglykämie einen Tag nach Verabreichung des Arzneimittels (10).

Zusammenfassung

Sowohl Diabetes Mellitus als auch die Verwendung nichtsteroidaler Antirheumatika sind mit erhöhtem Risiko für Erkrankungen des Herzens, des Gehirns und der Nieren verknüpft. NSAR steigern bei Patienten mit Diabetes das Risiko chronischer Nierenerkrankungen und - in Kombination mit Arzneimitteln, die das Renin-Angiotensin-System beeinflussen oder mit Diuretika - die Wahrscheinlichkeit akuter Nierenschäden. Menschen mit Diabetes, die Diclofenac oder Ibuprofen gebrauchen, haben ein höheres Risiko der Herzinsuffizienz als Nichtanwender. Die Einnahme von Paracetamol ist möglicherweise bei Diabetes mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko verbunden. Ibuprofen in höheren Dosierungen vermag den Blutzuckerspiegel bei Diabetes moderat zu senken. Dies sollte zur Vermeidung von Hypoglykämien beachtet werden.

Quellen:

1. Nationale Versorgungs Leitlinie Typ-2-Diabetes, Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin, Version 3.0, S. 19-19, Berlin 2023

2. Xinyu Zhang et al.: Non-steroidal anti-inflammatory drug induced acute kidney injury in the community dwelling general population and people with chronic kidney disease: systematic review and meta-analysis, BMC Nephrology, 18(1): 256, S: 1-12, 2017

3. AkdÄ: Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) im Vergleich: Risiko von Komplikationen im oberen Gastrointestinaltrakt, Herzinfarkt und Schlaganfall (UAW-News International), Deutsches Ärzteblatt, Jg. 110, Heft 29-30, S. 1447-1448, 2013 

4. H-J Tsai et al.: Use of non-steroidal anti-inflammatory drugs and risk of chronic kidney disease in people with Type 2 diabetes mellitus, a nationwide longitudinal cohort study, Diabetic Medicine, 32(3), S. 382-390, 2015 

5. C. C. Lim et al.: Non-steroidal anti-inflammatory drugs and risk of acute adverse renal outcomes in diabetes and diabetic kidney disease, The International journal of risk & safety in medicine, 33(1), S. 27-36, 2022 

6. A. Holt et al.: Heart Failure Following Anti-Inflammatory Medications in Patients With Type 2 Diabetes Mellitus, Journal of the American Collegeof Cardiology, 18; 81(15), S. 1459-1470, 2023

7. P. Girard et al.: Acetaminophen safety: risk of mortality and cardiovascular events in nursing home residents, a prospective study, Journal of the American Geriatrics Society, 67(6), S. 1240-1247, 2019 

8. L. Shih-Wei, L. Cheng-Li: Acetaminophen Use and Stroke Risk, Journal of the American Geriatrics Society, 67(11), S: 2423-2424, 2019 

9. N.L. Mork, R.P. Robertson: Effects of nonsteroidal antiinflammatory drugs in conventional dosage on glucose homeostasis in patients with diabetes, The Western journal of medicine, 139(1), S. 46-49, 1983

10. M. Russom et al.: Ibuprofen and risk of hypoglycemia in diabetic and non-diabetic consumers: analysis of international pharmacovigilance data, Journal of Pharmacology and Clinical Toxicology, 9(1), S. 1154-1162, 2021

Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: Nierenarzt/Nierenärztin 1/2024

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