Oldies but Goldies?

Dr. Anja Braunwarth

Die Klassiker der Schmerzmedizin sind Paracetamol, Tramadol und Metamizol. Die Klassiker der Schmerzmedizin sind Paracetamol, Tramadol und Metamizol. © freshidea – stock.adobe.com

Paracetamol, Metamizol und Tramadol gehören in den meisten Praxen seit Jahrzehnten zu den Klassikern bei der Verordnung von Schmerzmitteln. 
Zeit, sie mal wieder unter die Lupe zu nehmen.

Paracetamol

Dieses Analgetikum wurde bereits 1893 entwickelt und in den 1950er-Jahren zugelassen. Der genaue Wirkmechanismus der Substanz ist bis heute nicht geklärt, berichtete ­Christina ­Horlemann vom Schmerzzentrum Ruhpolding. Man vermutet eine Hemmung der Prosta­glandinsynthese im ZNS und der Cyclooxygenase(COX)-2 im ­Rückenmark. Weiterer Angriffspunkt könnte die an peripheren Entzündungsreaktionen beteiligte COX-3 sein.

Seit 1977 wird Paracetamol von der WHO als unentbehrliches Medikament eingestuft, erklärte die Kollegin. Die Evidenz bezüglich seiner Effektivität ist allerdings eher mau. In mehreren Studien zu Schmerzen mittlerer Intensität war es Placebo nur teilweise überlegen und schnitt regelmäßig schlechter ab als Met­amizol und NSAR. Dessen ungeachtet schlug die WHO es noch 2019 als Basistherapie bei ­Tumorschmerz vor – eine Empfehlung, der sich deutsche Experten in ihren Leitlinien nicht anschließen. Eher traurigen Ruhm hat das Analge­tikum als weltweiter Spitzenreiter für Suizidversuche erlangt.

Paracetamol wird rasch aus dem Dünndarm resorbiert und erreicht oral eingenommen nach 30 Minuten bis zwei Stunden seine maximale Konzentration. Die Metabolisierung erfolgt über Glucuronidierung in der Leber, die Ausscheidung ist zu 50 % renal. Hohe Dosen führen zur Überlastung der Glucuronidierungskapazität, es bildet sich vermehrt das lebertoxische N-Acetyl-p-Benzo­chinonimin. Dessen Inaktivierung findet über Konjugation mit Glutathion statt. Leberzellnekrosen und Leberkoma drohen direkt bei Überschreiten der Höchstdosis von 5 g/d, spätestens aber ab 10 g. 

Bei leichten bis mittelgradigen Schmerzen – eher des Kopfes, weniger in Rücken und Gelenken – gilt es weiterhin als Mittel der ersten Wahl, außerdem dient es der Fiebersenkung bei Infektionen. Ohne ärztliche Kontrolle sollte es aber nicht länger als drei Tage verwendet werden.

Für die Dosierung lautet allgemein die Empfehlung 500–1.000 mg 3–4x/d. Genau genommen muss man aber nach Körpergewicht dosieren mit 10–15 mg/kg. Präparate, die pro Tablette 1.000 mg enthalten, eignen sich daher erst für Menschen ab 65 kg, warnte die Referentin. Nebenwirkungen sind eher milder Natur, es kann zu Juckreiz, Hautrötungen/ -schuppungen, Heiserkeit, Schluckstörungen sowie Schwellungen im Gesicht kommen. Man darf aber nicht vergessen, dass Paracetamol kein rein peripher wirksames Medikament ist, erinnerte sie. Es gebe Hinweise darauf, dass sich Gefahrenwahrnehmung, Schlaf­architektur, affektive Reaktivität, Blutdruck und Konfliktbereitschaft unter der Einnahme verändern können.

Wechselwirkungen sind möglich mit Antiepileptika (gesteigerte Hepato­toxizität), oralen Antikoagulanzien (verstärkte antikoagulative Wirkung, vor allem bei Warfarin) und ASS (erhöhte Blutungsgefahr). Als relative Kontra­indikationen nannte Horlemann:

  • Gilbert-Syndrom (Meulengracht-Krankheit), da eingeschränkte Glucuronidierung

  • Leberfunktionsstörungen

  • Alkoholkrankheit

  • Dehydratation

  • schwere Niereninsuffizienz

  • Zustände, bei denen ein erniedrigter Glutathionspiegel vorliegen könnte (z.B. HIV-Infektion, Mangel­ernährung)

Absolut nicht angezeigt ist Paracet­amol bei einem Glukose-6-Phosphatdehydrogenase-Mangel und natürlich bei einer Allergie gegen den Wirkstoff.

Zu den Symptomen einer Überdosierung gehören Übelkeit, Erbrechen, Schwitzen, extreme Müdigkeit, Ikterus, Hämatome, grippeähnliche Symptome oder Schmerzen im rechten Oberbauch. Als Antidot im Falle einer Vergiftung steht ­N-Acetyl-Cystein zur Verfügung, das die Glutathionsynthese erhöht. „Es wirkt aber nur in den ersten zehn Stunden, in denen die Symptome teilweise noch sehr schwer zu deuten sind“, warnte Horlemann.

Rachenulzera und Fieber kündigen Agranulozytose an

Eine Agranulozytose unter Metamizol tritt mit einer Häufigkeit von etwa 1:0,94 Millionen auf. Bei einem Drittel der Betroffenen setzen die Symptome – Heiserkeit, Angina, Ulzerationen im Rachen, Fieber – innerhalb von sieben Tagen ein, bei den übrigen kann es bis zu sechs Wochen dauern. Alter, (auto)immunologische Vorerkrankungen, die Einnahme von Methotrexat und eine nicht-indikationsgerechte Anwendung von Metamizol erhöhen das Risiko. Aufgrund des Granulozytoserisikos muss bei Patienten, die Metamizol bekommen, regelmäßig das Differenzialblutbild kontrolliert werden. Außerdem ist die Aufklärung der Patienten über mögliche Symptome obligatorisch. Entwickelt sich eine Agranulozytose, lautet die Devise: Behandlung sofort stoppen und nicht wieder aufnehmen.

Tramadol

Tramadol weist chemisch eine Besonderheit auf: Es ist ein Racemat aus zwei Enantiomeren, erklärte Dr. ­Heinrich ­Binsfeld vom Regionalen Schmerzzentrum der ­Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin in Ahlen/Drensteinfurt. Das (+)-Enantiomer wirkt an µ-Opioidrezeptoren, das (-)-Enantiomer hemmt die Wieder­aufnahme von Noradrenalin und Serotonin im synaptischen Spalt. Der Effekt am µ-Rezeptor ist aber deutlich schwächer als der anderer Opioide. Somit sind 200 mg Tramadol in etwa so schmerzlindernd wie 20 mg Morphin bzw. 10 mg Oxycodon.

Der First-Pass-Effekt von Tramadol ist gering, und seine Bioverfügbarkeit liegt bei 70–90 %. Die Dosierung beträgt 6–10 mg/kgKG/d. Die Wirkung hält vier bis sechs, retardiert bis zu acht Stunden an. Ausgeschieden wird es renal, was eine Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz erforderlich macht. Die Bioaktivierung zum Opioid­agonisten O-Desmethyltramadol läuft über CPY2D6. Zu beachten ist, dass CPY2D6 in zwei verschiedenen genetischen Varianten auftritt: Menschen mit wenig Enzym (Poor Metabolizer) erfahren durch das Analgetikum nur eine geringe Schmerzlinderung, Ultra Rapid Metabolizer dagegen eine schnelle und ausgeprägte. Letzteren drohen allerdings auch vermehrte Nebenwirkungen, z.B. Atemlähmung.

Da ansonsten die Atemdepression nur gering ausfällt, ist Tramadol die Nr. 1 auf peripheren pädiatrischen Stationen. Zu den häufigsten ­Nebenwirkungen zählen Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Schwitzen und Obstipation. Im schlimmsten Fall kann ein Serotoninsyndrom entstehen und aus früheren Jahren gibt es Hinweise auf immunsuppressive Effekte. Da mittlerweile bessere und verträglichere Medikamente zur Verfügung stehen, wird Tramadol laut Dr. Binsfeld nicht mehr als Mittel der Wahl bei leichten bis mittelstarken Schmerzen betrachtet.

Metamizol

Ein Klassiker unter den Analgetika ist das 1922 auf den Markt gekommene Metamizol aus der Gruppe der Pyrazolone. Bis 1987 war es rezeptfrei erhältlich, berichtete Dr. ­Michael ­Küster vom Schmerzzentrum Bonn-Bad Godesberg. Wegen Agranulozytosen wurde dann die Zulassung widerrufen und 1988 unter Auflagen erneut erteilt. Die Substanz wirkt u.a. im peri­aquäduktalen Grau und im Hinterhorn des Rückenmarks. Als Ansatzpunkte vermutet man ­COX-3 und Cannabinoid­rezeptoren. Spasmolytische Effekte entfaltet Metamizol über die Hemmung der ATP-abhängigen Kaliumkanäle und des Kalziumeinstroms in glatte Muskelzellen.

Metamizol findet breite Anwendung beispielsweise bei 61 % aller Operationen sowie in der Palliativmedizin, dort sogar mehr als Morphin. In Pflegeheimen ist es das am häufigsten verwendete Schmerzmittel. Dies sei „bedenklich, da dort kaum Blutbildkontrollen stattfinden“, so der Referent. Die Substanz wird nach oraler Einnahme in Magen und Darm zu 4-Methylaminophenazon hydrolysiert, hat dann eine Bioverfügbarkeit von 83–90 % und eine Halbwertszeit von 3–4 Stunden. 

Der Abbau von 4-Methylamino­phenazon erfolgt in der Leber, die Ausscheidung der Metaboliten über die Niere. Die Einzeldosis beträgt 500–1.000 mg für Erwachsene, die Tageshöchstdosis 5.000 mg. Anwendungsgebiete sind starke Schmerzen, wenn andere Maßnahmen nicht infrage kommen, durch andere Antipyretika unzureichend behandelbares Fieber, Tumorschmerzen und Koliken.

Nach längerer Anwendung muss man mit einer Toleranzentwicklung rechnen, außerdem bei gleichzeitiger Gabe von Morphin mit einer verstärkten Wirkung des Opioids. Zusätzlich schwächt die Beigabe von Morphin die Toleranzentwicklung gegenüber Metamizol ab. Die Ko-Applikation von Tramadol ­verstärkt signifikant die antinozizeptiven ­Effekte beider Substanzen. Nebenwirkungen haben meist eher milden Charakter, gelegentlich beobachtet man hypotensive Reaktionen, ein fixes Arzneimittelexanthem oder eine harmlose Rotfärbung des Urins. Die oft gefürchtete Agranulozytose tritt sehr selten auf (s. Kasten). Seit 2019 mehren sich die Berichte über vermutlich immunologisch vermittelte Leberschädigungen.

Als Kontraindikationen nannte Dr. Küster: 

  • Überempfindlichkeit gegenüber Pyrazolonen

  • gestörte Knochenmarkfunktion

  • hepatische Porphyrie

  • Glukose-6-Phosphatdehydrogen­ase-Mangel (Hämolysegefahr)

Zu beachten ist, dass Säuglinge unter drei Monaten oder unter 5 kg Körpergewicht das Analgetikum nicht erhalten dürfen. Interaktionen sind – wie bei allen Pyrazolonen – mit Anti­koagulanzien, Thrombozytenaggregationshemmern, Glukokortikoiden, Antihypertensiva und Diuretika möglich.

Quelle: Kongressbericht Deutscher Schmerz- und Palliativtag 2023

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Die Klassiker der Schmerzmedizin sind Paracetamol, Tramadol und Metamizol. Die Klassiker der Schmerzmedizin sind Paracetamol, Tramadol und Metamizol. © freshidea – stock.adobe.com