Praxistipps und prospektive Daten für Läsionen ≤ 2 cm

ESMO 2024 Dr. Moyo Grebbin

Drei Expert:innen erklären, wie trotz unsicherer Evidenz zu kleinen GEP-NET gute Medizin möglich ist. Drei Expert:innen erklären, wie trotz unsicherer Evidenz zu kleinen GEP-NET gute Medizin möglich ist. © NeoLeo – stock.adobe.com

Irrelevanter Zufallsbefund oder „richtiger“ Krebs? Drei Expert:innen legten dar, wie trotz unsicherer Evidenz zu kleinen GEP-NET gute Medizin gelingt. Und für den Pankreas zeichnete sich sogar ein neuer Vorhersagemarker ab.

Je besser der Zugang zu bildgebenden Verfahren und deren Qualität werden, desto mehr Neoplasien mit einem Durchmesser ≤ 2 cm werden im Bereich der endokrinen und neuroendokrinen Tumoren (NET) erkannt. Den Anstieg in der Inzidenz speziell dieser kleinen NET thematisierten zwei Referenten in einer genau dieser Problematik gewidmeten Session. Als „Tsunami“ der kleinen pankreatischen NET (panNET) bezeichnete Prof. Dr. Massimo Falconi, IRCCS Ospedale San Raffaele in Mailand, diese Entwicklung gar.1 Auch für die größeren panNET sei zwar ein Anstieg der Fallzahlen zu verzeichnen; für die kleinen Läsionen liege der jährliche prozentuale Zuwachs mit 12,8 % vs. 7,5 % jedoch noch einmal signifikant höher, betonte er. 

Nicht selten handele es sich dabei um Zufallsbefunde, die im Leben der Betroffenen nie klinisch relevant würden. Das mache es schwer, die richtige Balance zwischen Über- und Unterbehandlung zu finden. Glücklicherweise sei retrospektiven Erhebungen zufolge der Anteil an Überbehandlungen im letzten Jahrzehnt gesunken. Allerdings erzählte Prof. Dr. José Díaz Tasende vom Universitätskrankenhaus 12 de Octubre in Madrid, er habe kürzlich einem jungen Mann ohne Beschwerden gegenüber gesessen – mit fortgeschrittenem, hoch aggressivem neuroendokrinen Karzinom (NEC) und düsterer Prognose.2

Entsprechend wichtig sei eine gründliche Diagnostik, waren sich alle der Referenten aus den Spezialbereichen Pankreas, Magen und Appendix einig. Besonders die Blinddarm-Spezialistin Prof. Dr. Els van Dijkum vom Amsterdam University Medical Center pochte auf die Bedeutung eines umfassenden Histopathologieberichtes.3 Einer retrospektiven Analyse zufolge habe die Revision des ursprünglichen Berichtes durch spezialisierte Zentren für 36 % der Erkrankten mit gastroenteropankreatischen neuroendokrinen Neoplasien (GEP-NEN) in einer Änderung ihres klinischen Behandlungsplanes resultiert. Ihre wichtigsten Empfehlungen lauteten daher:

  • „Lassen Sie Gewebeproben immer noch einmal durch ein neuroendokrines Spezialzentrum beurteilen.“
  • „Überweisen Sie Patient:innen mit Appendix-NET > 1 cm am besten direkt an ein solches Zentrum.“
  • „Diskutieren Sie die revidierten Pathologieberichte im multidisziplinären Tumorboard.“

Anschließend gebe es im Prinzip zwei Möglichkeiten. Bei R0-Resektionen niedriggradiger Appendix-NET: Kein Follow-up. Oder eine rechtsseitige Hemikolektomie – allerdings nur für R1-Resektionen oder bei Grad 3 NEN/NEC. Zudem solle man die Betroffenen umfassend aufklären in Bezug auf den möglichen Eingriff sowie die Problematik der seltenen Erkrankung und das Fehlen randomisiert-kontrollierter Daten. 

Aus Sicht der Erkrankten

Die Patient:innenperspektive war ein wichtiges Anliegen von Prof. Díaz Tasende, der aufrief: „Wir müssen mehr zuhören!“ Nur rund die Hälfte der Menschen mit NET sei sich sicher, dass ihre Onkolog:innen dasselbe primäre Behandlungsziel verfolgten wie sie selbst. Und aus Sicht der Krebserkrankten sei das in weniger als einem Drittel der Fälle die längere Überlebenszeit. Der Referent zeigte sich zuversichtlich, dass in Zukunft u. a. auf Künstlicher Intelligenz basierende, leistungsfähige Vorhersagewerkzeuge zur Verfügung stehen werden. Auch in der gegenwärtigen Situation – einer „Zone der Komplexität“ – sei es jedoch möglich, gute Medizin zu machen. Dazu dürfe man die Leitlinien nicht zu eng auslegen, sondern sollte die Wünsche der Patient:innen von Beginn an ins Zentrum der Therapieentscheidungen stellen. 

Aktive Überwachung bei panNET

Neben praxisnahen Tipps der Referent:innen wurden in der Kongresssession jedoch auch aktuelle prospektive Daten vorgestellt. Ein Novum, wie Prof. Falconi betonte: „Bisher bestand die komplette Evidenz im Bereich der panNET aus retrospektiven oder Register-Daten.“ Im ENETS*-Konsortium beschlossen Forschende daher vor einigen Jahren, die Ergebnisse einer aktiven Überwachung prospektiv mit dem Outcome nach einer Operation zu vergleichen. 

Die entsprechende Studie erhielt den Namen ASPEN, bislang wurden etwa 1.000 Personen mit neu diagnostizierten panNEN ≤ 2 cm eingeschlossen. Ein randomisiertes Design kam aufgrund der dürftigen Evidenzlage nicht in Betracht, die Zuordnung zum OP- bzw. Überwachungsarm erfolgte nach Präferenz der Teilnehmenden bzw. ihrer behandelnden Ärzt:innen. Bislang wurden 773 der Patient:innen lange genug nachbeobachtet, um in die vorläufige Analyse eingeschlossen zu werden; davon hatten 635 eine Überwachung und 138 eine Operation erhalten. 

Unter aktiver Überwachung zeigten 30 % der NET einen Größenzuwachs. In rund zwei von drei dieser Fälle betrug dieser jedoch höchstens 10 %. Eine interessante Beobachtung, wenn auch noch vorläufig, habe das Forschungsteam im Zusammenhang mit dem Körpergewicht und der metabolischen Gesundheit gemacht, erklärte Prof. Falconi: Besonders stark vergrößerten sich die Tumoren demnach bei denjenigen, die einen Body Mass Index ≥ 30 und gleichzeitig Diabetes hatten (p = 0,041). Im Versuchsarm mit aktiver Überwachung mussten 14 Personen (2,2 %) wegen zu großen Tumorwachstums oder weiterer Auffälligkeiten schließlich doch noch operiert werden. 

Die Patient:innen, bei denen man sich sofort zur Resektion entschlossen hatte, wiesen etwas andere Charakteristika auf als die Überwachungsgruppe. Dazu zählten ein jüngeres Alter, geringerer BMI sowie größere oder invasivere Tumoren. Zu postoperativen Todesfällen kam es nicht, bei 13 % jedoch zu Grad 3/4 Komplikationen. Drei Teilnehmende im OP-Arm erlitten ein Rezidiv. 

Die Lebensqualität war in beiden Studienarmen ähnlich und gut, so der Referent. Beim Gesundheitsstatus war in der OP-Gruppe im zeitlichen Verlauf ein leichter Rückgang zu vermerken, der vermutlich auf eine pankreatische Insuffizienz zurückzuführen sei. Das OS unterschied sich nicht zwischen den Armen, nach gut zweieinhalb Jahren Follow-up waren acht Todesfälle aufgetreten – davon einer in der OP-Gruppe und sieben unter aktiver Überwachung; alle hatten keinen Bezug zur NET-Erkrankung. 

Damit bleibe eine aktive Überwachung diesen Daten zufolge das Vorgehen der Wahl für kleine, asymptomatische panNET, schlussfolgerte Prof. Falconi. Anhand der Größe könne das aggressive Potenzial der Läsionen offenbar nicht vorhergesagt werden, stattdessen gehe das Vorliegen eines metabolischen Syndroms wohl mit dem Risiko für ein stärkeres Krebswachstum einher.

* European Neuroendocrine Tumor Society

Quellen:
1. Falconi M. ESMO Congress 2024; Vortrag „Pancreatic NEN: Watchful wait vs radical surgery“
2. Díaz Tasende J. ESMO Congress 2024; Vortrag „Gastric NEN: When to recommend radical surgery?“
3. van Dijkum EN. ESMO Congress 2024; Vortrag „Appendiceal NEN: When to recommend radical surgery?“

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