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Psychiatrischer Notfall: Welche Pharmaka wirken rasch und sicher?

Bewusstseinsstörungen, affektive Symptome, Antriebsstörungen, psychotische Symptome, Orientierungsprobleme – sie alle können so ausgeprägt sein, dass für den Betroffenen eine erhebliche gesundheitliche Schädigung droht. Allgemeine Therapiemaßnahmen wie das Aufbauen einer Beziehung und das Verhindern von Eigen- und Fremdgefährdung sowie Strategien der Krisenintervention (z.B. „talk-down“) sind dann wichtige Säulen. Im Akutfall reichen sie aber meist nicht aus, man braucht eine effektive Pharmakotherapie, betont Dr. Claus Liebe von der Allgemeinpsychiatrie am Alexianer Krankenhaus in Aachen.
Die eingesetzten Medikamente sollten für die jeweilige Indikation (beispielsweise akuter Erregungszustand mit und ohne psychotische Syndrome, Delir oder Intoxikationen durch zentral wirksame Substanzen) zugelassen sein und mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen die Zielsymptome wirken. Ebenfalls wichtig sind eine sichere Applikationsform – die Therapie sollte bevorzugt oral erfolgen –, eine möglichst kurze Wirklatenz, eine gute Steuerbarkeit und ein geringes Risiko für Interaktionen.
Lorazepam-Gabe ohne Kumulationsgefahr
Eine medikamentöse Zwangsbehandlung darf nur bei eindeutiger rechtlicher Grundlage erfolgen, beispielsweise wenn ein rechtfertigender Notstand nach § 34 Strafgesetzbuch vorliegt.
Den größten Stellenwert in der notfallmäßigen Pharmakotherapie haben Benzodiazepine, vor allem Lorazepam und Diazepam, sowie die Antipsychotika Olanzapin und Haloperidol, schreibt Dr. Liebe.
Lorazepam
Braucht man ein potentes Anxiolytikum oder steht bei dem Patienten ein katatoner Zustand im Vordergrund, ist Lorazepam zu bevorzugen. Die Zulassung hat das Benzodiazepin zur symptomatischen Kurzzeitbehandlung von Angst-, Spannungs- und Erregungszuständen sowie zur adjuvanten, kurzfristigen Behandlung schwerer Angst- und Erregungszustände bei Psychose und Depression.
Lorazepam lässt sich aufgrund seiner Halbwertszeit und Kinetik gut steuern, ein Kumulationsrisiko liegt nicht vor. Die Dosierung beträgt intravenös wie intramuskulär 1–2 mg, wobei bei i.v. Gabe eine Applikationsrate von 2 mg/min nicht überschritten werden sollte. Oral liegt die maximale Dosis im Rahmen der Zulassung bei 7,5 mg/24 h. Bei der initialen Dosis gilt die Faustformel: 0,05 mg Lorazepam pro Kilogramm Körpergewicht. Falls erforderlich, kann man die Gabe nach zwei Stunden wiederholen.
Diazepam
Die Wirkung von Diazepam tritt rasch ein und führt zu einer starken Sedierung. Das Benzodiazepin ist zugelassen für die symptomatische Behandlung von akuten und chronischen Spannungs-, Erregungs- und Angstzuständen. Laut Dr. Liebe eignet es sich gut zur schnellen Kontrolle von agitierten Erregungszuständen. Aufgrund der Halbwertszeit von bis zu 56 Stunden und der Bildung aktiver Metaboliten besteht aber ein hohes Kumulationsrisiko. Die Dosierung beträgt bei intravenöser, intramuskulärer und oraler Gabe 5–10 mg, allerdings wird die Substanz i.m. appliziert schlecht resorbiert.
Auch Midazolam findet zunehmend im Kontext psychiatrischer Notfälle Verwendung. Es besitzt hierfür aber keine Zulassung und sollte nach Ansicht des Aachener Psychiaters außen vor bleiben.
Psychiatrische Notfälle nehmen zu
- Veränderungen in der ambulanten Versorgung
- verkürzte stationäre Behandlungsdauer
- Anstieg der Lebenserwartung
- Korrelation zwischen erweiterten somatischen Behandlungsmöglichkeiten und dem Anstieg neuropsychiatrischer Komplikationen (z.B. Delir)
- Veränderungen und Zunahme im Konsumverhalten
- stärkerer Einfluss psychosozialer Faktoren (Stress, Armut, soziale Isolation)
- häufigere Zuweisung von Notfallmedizinern
Olanzapin
Atypische Antipsychotika gehen im Vergleich zu den typischen Substanzen unter anderem mit einem geringeren Risiko für extrapyramidale Bewegungsstörungen einher. Olanzapin eignet sich für den Einsatz im Notfall aufgrund seiner deutlich sedierenden Wirkung. Die i.m. Formulierung ist zugelassen als Akutmedikation zum schnellen Beherrschen von Erregungszuständen bei Patienten mit Schizophrenie. Empfohlen wird in dieser Situation eine Gabe von 5–10 mg, eventuell wiederholt nach zwei Stunden. Die maximale Dosis über 24 Stunden sollte 20 mg nicht überschreiten, warnt Dr. Liebe. Wegen der Gefahr schwerer unerwünschter Wirkungen darf man Olanzapin nicht zusammen mit einem parenteralen Benzodiazepin verabreichen. Die Gabe in Zusammenhang mit Alkoholkonsum oder -intoxikation verbietet sich.Haloperidol
Das Indikationsspektrum von Haloperidol ist breit: Akute psychomotorische Erregungszuständen, psychotische Störungen oder manische Episoden einer bipolaren Störung, aber auch die Akutbehandlung des Delirs zählen dazu. Es gehört daher in psychiatrischen Notfallsituationen zu den Standardpräparaten. Wegen unerwünschter Wirkungen, z.B. EPMS, sollte die Dosis bei oraler oder i.m. Gabe 5–10 mg nicht überschreiten. Bei älteren Patienten rät der Experte nur zu Dosierungen von 1–3 mg. Auch bei niedrigen Mengen muss man auf kardiale Risiken (QTc-Zeit-Verlängerung und maligne Rhythmusstörungen) achten, unter höheren Dosierungen steigt die Gefahr dafür und für extrapyramidale Bewegungsstörungen. Aufgrund der kardialen Effekte wird für die Wirkstofflösung nur noch die i.m. Gabe empfohlen, wer es trotzdem i.v. applizieren will, sollte eine EKG-Überwachung durchführen.Wahl bei Intoxikation
Bei einer Intoxikation mit stimulierenden Substanzen eignen sich vorsichtig eingesetzt Lorazepam und Diazepam. Im Fall von Vergiftungen mit dämpfenden Substanzen oder Alkohol sollten dagegen keine Benzos gegeben werden. Bei zentralnervös dämpfenden Substanzen empfiehlt Dr. Liebe gemäß der Leitlinie Haloperidol.Quelle: Liebe C. Klinikarzt 2020; 49: 164-171; DOI: 10.1055/a-1134-2785
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