Score gibt Sicherheit

Dr. Anja Braunwarth

Die Ähnlichkeit zu einer Infektion birgt Verwechslungsgefahr. Die Ähnlichkeit zu einer Infektion birgt Verwechslungsgefahr. © Science Photo Library/Marazzi, Dr. P.

Das Pyoderma gangraenosum wird nach wie vor bei vielen Patienten zu spät entdeckt. Lange galt es als Ausschlussdiagnose. Mit einem eigens dafür entwickelten Score lässt es sich heutzutage gut identifizieren.

Das Pyoderma gangraenosum (PG) ist eine primär sterile, autoinflammatorische neutrophile Dermatose. Allerdings wird die seltene Erkrankung häufig mit einer Infektion verwechselt, erklärte Prof. Dr. Joachim Dissemond­ von der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum Essen. Die Diagnose erfolgt daher zu selten, zu spät oder ist schlichtweg falsch, kritisierte der Dermatologe.

Das Pyoderma gangraenosum im Check 

Dr. Maurice Moelleken von der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum Essen stellte eine Datenanalyse zu vermeintlichen PG-Diagnosen aus den letzten 20 Jahren vor. Die retrospektive Studie lief an zwei Zentren, die Re-Evaluierung der Diagnose erfolgte anhand des Paracelsus-Scores. Für 170 von 450 Patienten ließ sich die Diagnose bestätigen. Die Majorkriterien trafen auf mehr als 90 % dieser Gruppe zu, 18% litten an einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung, 17 % an einer Tumorerkrankung.

71 % der Patienten waren Frauen, das Alter zum Zeitpunkt der Erstdiagnose lag im Median bei 56 Jahren. 81 % der Läsionen waren am Unterschenkel lokalisiert, v.a. streckseitig, jeweils zu einem Drittel rechts, links bzw. beidseitig. 29 % der Patienten wurden in den gleichen Zentren mit einem oder mehreren Rezidiven gesehen. 39 % davon hatten es an der gleichen Stelle, 74 % an anderer. Der rechnerische Überstand erklärt sich durch einen Anteil von 12 %, der sowohl an derselben Lokalisation als auch anderswo ein erneutes PG entwickelte. 

Auch bullöse oder pustulöse Läsionen sind möglich

Als Prädilektionsstellen des PG gelten mit 70 % die Streckseiten der Unterschenkel. Typischerweise ulzeriert das PG, es gibt aber weitere klinische Varianten, berichtete Prof. Dr. Erwin Schultz, Klinik für Dermatologie am Klinikum Nürnberg. Eine bullöse Form kommt ebenso vor wie eine pustulöse oder eine vegetierende (superfiziell granulomatös). Letztere verursacht weniger Schmerzen, die nicht-eitrigen Läsionen wachsen langsam und haben keine unterminierten Ränder. Ein PG kann sich auch peristomal entwickeln – zunächst mit Papeln, die zu Ulzera erodieren – oder postoperativ im Gefolge von Wundheilungsstörungen bzw. -dehiszenzen. Zu den Differenzialdiagnosen zählen:

  • Vaskulitis
  • Livedovaskulopathie
  • Kalziphylaxie
  • Ulcus hypertonicum Martorell
  • artifizielle Wunden

Trotz des ähnlichen klinischen Bildes braucht das PG aber eine komplett andere systemische Therapie.

Der PARACELSUS-Score

Kennzeichen

Gewichtung 

Punktzahl

progredienter Krankheitsverlauf mit rasch 
auftretenden Ulzerationen

Majorkriterium

3

Ausschluss relevanter Differenzialdiagnosen

Majorkriterium

3

rötlich-livider Randsaum

Majorkriterium

3

Ansprechen auf Immunsuppressiva

Minorkriterium

2

charakteristische irreguläre/bizarre Form des Ulcus

Minorkriterium

2

extreme Schmerzen (> 4/10 auf der visuellen Analogskala)

Minorkriterium

2

lokales Pathergie-Phänomen*

Minorkriterium

2

suppurative Inflammation in der 
Histopathologie 

 Zusatzkriterium 

1

unterminierte, tiefe Wundränder

Zusatzkriterium

1

Systemerkrankungen assoziiert  

Zusatzkriterium

1

Ein additiver Punktwert von ≥ 10 macht das Vorliegen eines PG sehr  wahrscheinlich, Werte darunter sehr unwahrscheinlich. *Krankheitsspezifische Reaktion auf einen unspezifischen Reiz, z.B. eine  NaCl-Injektion in den Arm. Der Test fällt häufig falsch negativ aus und wird in der Praxis kaum noch durchgeführt.

Für die Diagnostik wurde 2018 der PARACELSUS-Score eingeführt (siehe Tabelle). „Er ist unser bestes Tool, auch wenn nichts darin spezifisch ist“, sagte Prof. Dissemond. Unter den assoziierten Systemerkrankungen führen mit 9 % bis 36 % chronisch-entzündliche Darmerkrankungen sowie mit 8 % bis 33 % die rheumatoide Arthritis. 4 % bis 21 % der Patienten leiden unter (hämatologischen) Neoplasien. „Auch ein begleitendes metabolisches Syndrom sehen wir häufig“, ergänzte Prof. Schultz. Und es gibt ein „systemisches“ PG im Kontext neutrophiler Entzündungen innerer Organe.

Die Behandlung des PG erfolgt topisch und systemisch. Für die Lokaltherapie der Wundumgebung kommen Steroide Klasse 3 oder 4 und – off label – Calcineurininhibitoren infrage. Die Wunden selbst werden mit atraumatischen (z.B. silikonbeschichteten) Verbänden versorgt. Ergänzen lässt sich die Behandlung durch eine Superinfektionsprophylaxe mit Antiseptika und ggf. eine Schmerztherapie, z.B. mit Morphin-Wundgel. Insgesamt hat aber die topische Therapie laut Prof. Dissemond eine untergeordnete ­Bedeutung. 

Viele systemische Therapien gibt es nur off label

Systemisch sind Steroide (Prednison/Prednisolon) erste und Ciclosporin zweite Wahl. Als Alternativen kommen Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil, IVIG, Biologika (z.B. TNF-a-Inhibitoren) oder JAK-Inhibitoren infrage. Alles außer den Steroiden fällt allerdings unter den Off-label-Gebrauch.

Quelle: 05. Nürnberger Wundkongress

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Die Ähnlichkeit zu einer Infektion birgt Verwechslungsgefahr. Die Ähnlichkeit zu einer Infektion birgt Verwechslungsgefahr. © Science Photo Library/Marazzi, Dr. P.