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„SGLT2-Hemmer und mehr: Wie früh die Therapie ansetzen?“

SGLT2-Hemmer werden heute nicht nur als Antidiabetika zur Therapie des Typ-2-Diabetes eingesetzt – sie schützen auch Herz und Nieren. Im Fokus stehen in den letzten Jahren Indikationserweiterungen für Herz- und Niereninsuffizienz. Was bedeutet das für den Herz- und Nierenschutz von Menschen mit Typ-2-Diabetes?
Prof. Dr. Christoph Wanner: Man kann die SGLT-2-Hemmer jetzt als organprotektive Therapien auffassen. Die Erweiterung der Indikationen zur Behandlung der kardiovaskulären Erkrankungen der HFpF und HFrEF und die jetzt relativ breite Indikation für chronische Nierenerkrankung machen es für Allgemeinärzt*innen und Internist*innen sehr einfach, diese Therapien anzuwenden, zumal sie inzwischen größtenteils Praxisbesonderheiten sind, also Wirkstoffe mit Sonderrolle in der Wirtschaftlichkeitsprüfung.
Die Kritik daran ist, dass es die Therapien eventuell zu einfach macht, wenn man nicht mehr zwischen diastolischer oder systolischer Dysfunktion (HFpF, HFrEF) unterscheiden muss. Es stellen sich Fragen wie: Muss bei den Patient*innen noch ein Herzecho gemacht werden? Braucht man den NT-pro-BNP-Wert noch? Oder kann man einfach nach klinischer Symptomatik vorgehen, um die Herzinsuffizienz zu behandeln. Aufgrund des einfachen Zugangs zu diesen Medikamenten sind sie mittlerweile Standard of Care geworden und auch übergreifend in alle Versorgungsleitlinien – internationale und jetzt auch nationale – aufgenommen worden. Dies mit relativ homogener Sprache, also ohne Dissens. Die Daten sind für die regulatorischen Behörden demnach ziemlich eindeutig.
Vor knapp anderthalb Jahren musste die EMPA-KIDNEY-Studie aufgrund ihrer positiven Ergebnisse bei einer breiten Population vorzeitig beendet werden (wir berichteten in der dz 11/22). In einem Follow-up wurden die Patient*innen nun weitere zwei Jahre nachbeobachtet. Gibt es inzwischen eine verlässliche Einschätzung der Wirkung von Empagliflozin auf den renalen Erkrankungsfortschritt, die kardiovaskuläre Sterblichkeit und andere klinische Endpunkte?
Prof. Wanner: Die Ergebnisse der Follow-up-Studien werden voraussichtlich beim europäischen Kardiologenkongress Ende August in London präsentiert. Die Studien sind aber quasi als ein „Zusatzbonbon“ zum Verlauf zu werten, denn sie werden die Grundeinstellungen zu diesen Therapien vermutlich nicht verändern.
Die EMPA-KIDNEY-Studie hat gezeigt, dass man auch nicht-diabetische und chronische Glomerulonephritiden, also seltene Nierenerkrankungen, überzeugend mit dem Wirkmechanismus der hämodynamischen Wirkung auf die Niere behandeln kann.
Daher setzen Nephrolog*innen bei Patient*innen mit seltenen Nierenerkrankungen wie einer Glomerulonephritis die SGLT2-Hemmer jetzt sehr breit ein. Das bedeutet nicht, dass man nicht noch spezifische Therapien braucht. Man kann nun aber die Progression der chronischen Nierenerkrankung in jedem Stadium bis zu einer glomerulären Filtrationsrate von 20 ml/min pro 1,73 m2, also einer Nierenleistung von 20 %, gut verzögern und den Menschen Zeit schenken vor der Dialyse – ob mit oder ohne eine Diabeteserkrankung.
Wir sind jetzt so optimistisch, dass wir schon einen Schritt weitergehen und darüber nachdenken: Wie früh kann man diese Behandlung einsetzen, damit man nicht erst spät auf eine Progressionsverzögerung reagiert und erst dann die Nierenfunktion stabilisieren kann. Hier brauchen die Nephrolog*innen die Hilfe der Internist*innen, da bei ihnen der Großteil der Menschen mit Diabetes vor einer Nierenfunktionsverschlechterung behandelt wird.
Für Diabetespatient*innen mit chronischer Nierenkrankheit gibt es neuerdings als dritte Therapiesäule – neben ACE-Hemmern bzw. AT1-Rezeptor-Blockern und SGLT2-Inhibitoren – den nicht steroidalen Mineralkortikoidrezeptorantagonisten Finerenon. Um ihn rechtzeitig einzusetzen, muss die CKD bei Diabetes jedoch früh erkannt werden. Wie gut lässt sich das in der Praxis realisieren und was macht diese Therapie so vielversprechend?
Prof. Wanner: Hier geht man einen ganz anderen Mechanismus an. Während man mit SGLT2-Hemmern den Druck in der Niere im Glomerulus und die Hyperfiltration behandelt, geht man mit diesem steroidalen Mineralkortikoidrezeptorantagonisten (nsMRA) die Fibrose an, also die entzündliche Komponente einer diabetischen Nierenerkrankung. Damit eröffnen sich uns viele neue Möglichkeiten: Wir brauchen alle drei Therapieprinzipien.
Wie kombiniert man diese Therapien dann am besten?
Prof. Wanner: Ich sehe die SGLT2-Hemmer und den neuen Wirkstoff jedenfalls nicht in Konkurrenz, sondern da man diese Medikamente als komplementär betrachtet, wird versucht, sie in einer relativ überschaubaren Zeit von etwa drei Monaten mit diabetischer Nierenerkrankung in Kombination mit SGLT2-Hemmern zu implementieren. Wir brauchen die drei Säulen, um die Patient*innen vor der Dialyse zu bewahren: Man kann beispielsweise über eine Polypille die Hypertonie einstellen und die organprotektiven Therapien dann alle unterbringen. Das ist auch die Vorstellung von internationalen Expert*innen. Die Hausärzt*innen sehen das natürlich anders, da sie die Realität des täglichen Lebens ihrer Patient*innen kennen. Science ist global, die Implementierung ist lokal. In Deutschland haben wir aber ganz gute Bedingungen: Diese Medikamente werden erstattet.
Ein großes Thema in der Therapie des Typ-2-Diabetes ist ja auch die Gewichtsabnahme bzw. Adipositas. In aller Munde ist das GLP1-Analogon Semaglutid. Was bedeutet diese Entwicklung für die Behandlung von Menschen mit Typ-2-Diabetes, die kardiovaskuläre Komplikationen bzw. eine Nierenschwäche haben?
Prof. Wanner: Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) hat 2023 neue Leitlinien herausgegeben, bei denen die drei genannten Säulen entsprechend der führenden Komorbidität der Klasse 1 eingestuft wurden. Bei manchen hochmorbiden Patient*innen brauchen wir alle drei Säulen. Bei der Gewichtsabnahme eröffnen sich nun aber sehr viele neue Möglichkeiten, wenn man GLP-1-RA einsetzt.
Semaglutid, das bei Menschen mit Übergewicht oder Adipositas bereits eine herzschützende Wirkung zeigt, wird vermutlich am 24. Mai 2024 als vierte Säule für die Nierenerkrankungen in die Leitlinien aufgenommen. Zu diesem Termin wird auch die FlOW-Studie publiziert. Sie untersucht die renalen Outcomes unter einmal wöchentlich verabreichtem Semaglutid bei Menschen mit Typ-2-Diabetes und chronischer Nierenerkrankung. Diese Studie wurde aufgrund einer 24-prozentigen Reduktion des primären Endpunktes abgebrochen.
Ein ganzes Bündel an neuen medikamentösen Maßnahmen. Was sagen die Hausärzt*innen dazu?
Prof. Wanner: Diese Ansätze machen es nicht einfacher, die Therapien umzusetzen. Denn es kommt – neben den drei genannten Säulen – eine weitere (bei Typ-2-Diabetes ggf. neben der Insulintherapie) Injektion mit einem Pen auf die Patient*innen zu. Es wird dauern, dies in der hausärztlichen Praxis zu implementieren.
Wie sieht es mit dem präventiven Ansatz in der hausärztlichen Praxis derzeit aus?
Prof. Wanner: Über die glomeruläre Filtrationsrate und das Kreatinin wird in den Hausarztpraxen die Nierenfunktion bereits ganz gut bestimmt. Es fehlt jedoch weiter an der Albuminuriebestimmung. Die „DEGAM-Leitlinie zur Versorgung von Patient*innen mit nicht-dialysepflichtiger Nierenerkrankung in der Hausarztpraxis”, deren Überarbeitung im Juni 2024 fertiggestellt sein soll, enthält dann die Kategorien zur Albuminuriebestimmung (Albumin/Kreatinin-Quotient).
Diabetespatient*innen sollte spätestens ab einer Nierenleistung von 30 ml/ min/1,73 m² an die Nephrologie überwiesen werden. Alle Disziplinen müssen Hand in Hand arbeiten: Kardiologie und Diabetologie, Nephrologie und Allgemeinmedizin. Ich habe es neulich so formuliert: Wenn Hausärzt*innen mit Diabetolog*innen und Endo-krinolog*innen zusammenarbeiten, braucht man vielleicht keine Nephrolog*innen mehr. Die Nierenfachärzt*innen sehen diese Aussage eher gelassen: Ihnen bleibt auch so noch sehr viel Arbeit.
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