So gelingt der ambulante Entzug

Dr. Anja Braunwarth

Für viele Ärzte wären 400 Euro pro Entzug
eine Motivation. Für viele Ärzte wären 400 Euro pro Entzug eine Motivation. © Alex Bueckert– stock.adobe.com

Alkoholabhängige brauchen zum Entzug häufig medi­zinische Hilfe. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass sie in die Klinik müssen. Ein Suchtspezialist zeigt auf, wie die Entwöhnung ambulant gelingen kann.

Der Stuttgarter Allgemein- und Suchtmediziner Dr. ­Albrecht ­Ulmer und sein Team haben die in ihrem Zentrum dokumentierten Anamnesen von 539 Alkoholabhängigen analysiert und stießen dabei auf 1.651 stationäre Entzüge, durchschnittlich etwa drei pro Patient. Jeder dieser Entzüge schlug mit 3.000–4.000 Euro zu Buche. Allein die Patienten dieses Zentrums verursachten also Klinikkosten von mehr als sechs Millionen Euro. „Die meisten davon ließen sich leicht und mit einem Qualitätsgewinn einsparen“, sagt der Kollege. Würde man Ärzten dafür, dass sie den Entzug ambulant anbieten, eine Pauschale von z.B. 400 Euro zahlen, wäre das für viele eine Motivation. Außerdem ließen sich dadurch verlässliche Standards einfordern, und die Krankenkassen könnten um die 90 % der Ausgaben pro Entzug sparen. 

In der S3-Leitlinie Alkoholabhängigkeit werden nur Richtlinien für stationäre Entzüge formuliert. Dr. Ulmer weist aber darauf hin, dass es von mehreren Teams bereits gute Standards für den ambulanten Alkoholentzug gibt. 

Wie fast immer ist neben einer orientierenden Untersuchung eine sorgfältige Anamnese unabdingbar. Gefragt wird nach Vorerfahrungen mit Entzügen sowie nach weiteren Krankheiten und Risikofaktoren. Eine stationäre Einweisung ist zu erwägen, je eher 

  • frühere Entwöhnungen schwer waren oder mit Komplikationen (z.B. Delir, epileptische Anfälle) einhergingen, 
  • die gesundheitliche oder häuslich-soziale Situation instabil anmutet, 
  • es Hinweise auf mangelnde Verlässlichkeit gibt. 

Was den letzten Punkt angeht, erstaunt es laut Dr. Ulmer, zu welcher Verlässlichkeit Suchtkranke, selbst entzugsbedürftige, in der Lage sind. Man muss sie nur richtig einbinden. Allerdings müssen sie dem Arzt auch vertrauen können – umso mehr, je schlechter es ihnen geht. Gut eingeführt und begleitet gelingt es bei über 90 % derjenigen, die einen Entzug brauchen, diesen ambulant durchzuführen.

Die dabei eingesetzten Medikamente dienen in erster Linie dazu, Entzugssymptome und -gefahren zu mildern. Die beiden wichtigsten, auch in der Leitlinie genannten Substanzen sind Benzodiazepine und Clomethiazol. 

Bei Benzodiazepinen die Vorgeschichte beachten

Benzodiazepine gehen bei einer Verordnung für wenige Tage nicht mit einem nennenswerten Abhängigkeitspotenzial einher. Das gewinnt jedoch an Bedeutung, wenn im Vorfeld schon einmal eine Benzodiazepinabhängigkeit vorlag und/oder wenn sich ein körperlicher Entzug nicht in wenigen Tagen überwinden lässt, die Patienten also weiter über stärkere Unruhe und Suchtdruck klagen, und man eine Weiterverordnung der dämpfenden Medikamente in Erwägung zieht. 

Clomethiazol bietet diesbezüglich wichtige Vorteile – hat aber einen sehr schlechten Ruf. Laut Dr. Ulmer gründet der ausschließlich auf fehlerhaften Verordnungen. Ohne guten Plan ist die Substanz tatsächlich hochgefährlich. Es gab viele dramatische bis tödliche Mischintoxikationen von Clomethiazol mit Alkohol, woraufhin der Substanz 2005 die Zulassung für ambulante Verordnungen an Suchtkranke entzogen wurde. 

Dr. Ulmer und sein Team verfügten damals bereits über eine mehr als zwanzigjährige Erfahrung mit dem Medikament und hunderten von komplikationslosen Entzügen. Die Kollegen entschlossen sich daraufhin, nicht davon abzuweichen. 
So wurden nahezu alle ihrer über 1.000 ambulanten Entzugsbehandlungen clomethiazolgestützt durchgeführt. Dr. Ulmer nennt als Voraussetzungen für dieses Vorgehen eine umfassende Aufklärung, auch über den fehlenden Zulassungsstatus, sowie schriftliche Pläne und eine strukturierte Begleitung. 

Zusätzlich zu Clomethiazol setzt er Carbamazepin zur Prophylaxe gegen die im Entzug deutlich erhöhte Krampfanfallgefahr ein. Auch hierfür haben das Team ein Schema, das sich bereits stationär bewährt hat, in den ambulanten Plan übertragen. 

Qualität und Sicherheit eines ambulanten Entzugs dürfen nicht von denen eines stationären abweichen, betont der Suchtmediziner. So bildet die Formel „5 x Sprechstunde in 8 Tagen” ein Ausgangsschema, das man nur mit guter Begründung verlässt. Die Verordnung ganzer Schachteln erfolgt mit dem Zusatz: davon heute xx Kapseln (z.B. 6) ausgeben. Mit einer benachbarten Apotheke muss abgesprochen sein, dass nur die angegebene Teilmenge auszuhändigen und der Rest bis zur nächsten Freigabe zu lagern ist. Das alles ist ein etwas aufwendiger Service. Aber bei entsprechender Honorierung könnte man ihn standardisieren und würde gegenüber einem stationären Vorgehen trotzdem viel sparen, so Dr. Ulmer.

Mögliches medikamentöses Grundschema für den 
ambulanten Entzug

 

Carbamazepin 300 mg ret. 

Clomethiazol-Kapseln

Mo

0-(1)-1

0-0-1-1-1

Di

1-1-1

1-1-1-1

Mi

1-1-1

1-1-1-1

Do

1-1-1

0-1-1-1

Fr

1-0-1

0-1-1-1

Sa

1-0-1

0-0-1-1

So

0-0-1

0-0-1-1

Von diesem Schema kann je nach individuellem Verlauf in der Sprechstunde bei der täglichen Aktualisierung geringfügig nach oben oder unten abgewichen werden.

Erste Runde Clomethiazol ist Kassenleistung

Mit den genannten fünf Sprechstunden in acht Tagen imitiert man in Stuttgart ein stationäres Schema. Die Verordnung der ersten 25 Clomethiazol-Kapseln zu Lasten der Krankenkasse wurde daher angesichts des riesigen Einsparpotenzials und der dokumentierten Sicherheit für gerechtfertigt gehalten und akzeptiert. Sollte allerdings die Notwendigkeit bestehen, die Behandlung über die erste Packung hinaus fortzusetzen, handelt es sich klar um eine Off-Label-Verordnung. 

Ein ambulanter Entzug ist häufig auch eine Alternative zum Nichts-tun, erklärt Dr. Ulmer. Er erhöht die Bereitschaft, sich mehr mit der Krankheit auseinanderzusetzen – ein Gewinn für alle Beteiligten.

Bericht: Medical Tribune

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