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Unkonventionell gegen die Sucht

So manches suchterzeugende Medikament hat bereits seinen Weg in die Therapie von Abhängigkeitserkrankungen gefunden, andere wie Ketamin, Gammahydroxybuttersäure oder Psychedelika werden noch in Studien erprobt. Welche Effekte von ihnen bei diversen Suchterkrankungen zu erwarten sind, haben Dr. Bradford Martins von der Yale University in New Haven und Kollegen in einem Review zusammengestellt. Basis dafür war die Auswertung von 78 klinischen Studien, von denen allein 55 aus den letzten fünf Jahren stammten.
Alkoholkrankheit
Zur Behandlung der Alcohol Use Disorder hat man heute diverse Möglichkeiten. Nicht etablieren konnte sich bislang Baclofen aufgrund divergenter Ergebnisse. Als selektiver GABA-B-Agonist soll es das mesolimbische Belohnungssystem modulieren. Jüngeren Studien zufolge funktioniert die Substanz in höheren Dosen am besten gegen Craving sowie bei Männern mit massivem Konsum und evtl. alkoholischer Lebererkrankung. Angesichts der offenbar eingeschränkten Indikation und des Potenzials für Missbrauch und Überdosierung fällt es schwer, sich für Baclofen bei Alkoholkranken auszusprechen, schreiben die Reviewautoren.
Bei Gabapentinoiden überwiegt der positive Effekt
Dagegen sprechen die vorhandenen Daten für den Einsatz von Gabapentin. Es wird üblicherweise gut vertragen, hilft gegen Schlafstörungen und zeigt positive Effekte im Hinblick auf Entzugssymptome und Angst. Ähnliches gilt für Pregabalin, das sogar hochdosiert (600 mg/d) kaum Nebenwirkungen auslöst, am ehesten noch eine vermehrte Müdigkeit. Eine missbräuchliche Anwendung ist bei beiden Wirkstoffen möglich, doch ihr Nutzen überwiegt nach Einschätzung der Autoren klar den potenziellen Schaden.
Als vielversprechend zur Therapie bei Alkoholabusus gelten auch Ketamin und die als Partydroge bekannte Gammahydroxybuttersäure. Beide Substanzen verringern Craving und Konsum und erleichtern so die Abstinenz. Sie wirken besonders gut bei Patienten mit anamnestisch starken Entzugssymptomen. Da unsachgemäßer Gebrauch zu gravierende Nebenwirkungen bis hin zu Todesfällen führt, müssten standardisierte Protokolle für ihre Anwendung entwickelt werden.
LSD, Ecstasy und Psilocybin haben Therapiepotenzial
Psychedelika wie LSD, Ecstasy (MDMA, Methylendioxymethylamphetamin) und Psilocybin fördern möglicherweise ebenfalls die Alkoholabstinenz und wirken weniger suchterzeugend als Ketamin und GHB. Ihr Potenzial sollte unbedingt in weiteren Studien erforscht werden, fordern Dr. Martins und Kollegen. Allerdings sei ein verblindeter Wirknachweis wegen des halluzinogenen Effekts kaum möglich.
Cannabisabhängigkeit
Die bisherige Evidenz spricht dafür, dass synthetisch hergestellte Cannabinoidagonisten wie Dronabinol und Nabilon Entzugserscheinungen lindern und den Cannabiskonsum verringern. Bisher gibt es jedoch keinen Beleg dafür, dass sie auch die Abstinenz erleichtern.
Auf pflanzlicher Basis hergestellte Cannabinoide reduzieren ersten Ergebnissen zufolge ebenfalls den Cannabiskonsum. Eine Förderung der Abstinenz ließ sich aber auch für sie nicht eruieren. Die sogenannten Nabiximole sind besser verträglich und bergen wahrscheinlich ein geringeres Missbrauchspotenzial.
Präliminäre Daten deuten zudem darauf hin, dass Gabapentin die Entzugssymptome und die damit verbundenen Schlafstörungen lindert. Zudem verleitet es wahrscheinlich weniger zum Missbrauch als die Cannabinoidagonisten. Auch Ketamin kann in Kombination mit einer Verhaltenstherapie eventuell den Hanfdrogenabusus mindern.
Kokainsucht
Zum Einsatz von Baclofen bei Patienten mit Kokainabusus existieren widersprüchliche Daten. Neuere Studien sprechen für einen Nutzen. Verordnende Ärzte sollten sich jedoch über das Fehlgebrauchsrisiko im Klaren sein, mahnen die Reviewautoren.
Eine Wirkung von Gabapentin beim Kokainmissbrauch wurde bisher nicht belegt. Aber die Kombination von subjektivem Benefit, guter Verträglichkeit, geringer Nebenwirkungsrate und positivem Einfluss auf die Schlafarchitektur spricht nach Einschätzung der Kollegen für einen Therapieversuch trotz des Risikos der Gewöhnung.
Arbeiten zu Bupropion und Modafinil ermittelten einen verringerten Kokainkonsum. Aber keiner der beiden Wirkstoffe reduzierte das Verlangen nach der Droge und das Rückfallrisiko nach erreichter Abstinenz.
Nicht kokainhaltige Stimulanzien wie die Amphetamine scheinen den Suchtdruck zu verringern und die Abstinenzzeiten zu verlängern. Besonders gut wirken sie wohl bei Patienten, die zusätzlich zum Drogenabusus an einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätstörung (ADHS) leiden, was nicht selten vorkommt. Beweiskräftige Studien stehen aber noch aus. Zudem besteht auch für sie ein Missbrauchsrisiko, das zu einer zurückhaltenden Verordnung Anlass geben sollte.
Opioidabhängigkeit
In der Behandlung der Opioid Use Disorder scheint erneut Ketamin einen Nutzen zu bieten, was Craving und (längerfristige) Abstinenz angeht. Aufgrund seiner neuroplastischen Wirkung könnte die Substanz den Effekt psychotherapeutischer Interventionen steigern. Vorläufige Daten deuten darauf hin, dass sich außerdem psychedelisch wirkende Substanzen – insbesondere Ibogain – zur Therapie von Patienten mit Opioidabusus eignen könnten. In einer kleinen Arbeit blieb die Hälfte der Behandelten einen Monat lang abstinent, 23 % schafften sogar zwölf Monate. Außerdem konnte gezeigt werden, dass Psychedelika unter einer Opioidbehandlung Suizidgedanken und -versuche reduziert.
Quelle: Martins B et al. Springer Nature 2022; DOI: 10.1007/s40429-022-00432-9
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