Pillen statt Alkohol: Drei Substanzen sollen die Abstinenz unterstützen

Dr. Andrea Wülker

Es gibt einige Medikamente, die den Weg zur Abstinenz einfacher machen können. Es gibt einige Medikamente, die den Weg zur Abstinenz einfacher machen können. © iStock/Marcos Calvo

Trotz verfügbarer psychosozialer und pharmakologischer Therapien bleibt ein Alkoholabusus oft unbehandelt. Dabei spricht die Evidenz durchaus dafür, Abstinenzwilligen medikamentös unter die Arme zu greifen.

Mehr als zwei Milliarden Betroffene weltweit, verantwortlich für rund 6 % aller Todesfälle: Die Bilanz des pathologischen Alkoholkonsums fällt verheerend aus. Dabei lässt sich ein Abusus, genauso wie viele andere chronische Erkrankungen, verhindern bzw. behandeln. Doch gerade Letzteres scheint nur in wenigen Fällen zu passieren, kritisieren Dr. Jeremiah­ Fairbanks­ vom Department of Family Medicine and Community Health der University of Minnesota in Mankato und Kollegen. Nicht einmal jeder zehnte Abhängige erhält eine Therapie und nur ein Bruchteil von ihnen eine medikamentöse.

Euphorisch in die Abhängigkeit

Wie andere multifaktorielle chronische Erkrankungen ist auch die Alkoholabhängigkeit zu etwa 50 % durch genetische Faktoren bedingt. Die übrigen 50 % sind entsprechend auf Umweltfaktoren zurückzuführen. Alkohol induziert u.a. eine Freisetzung von Gamma-Aminobuttersäure (GABA) und eine Unterdrückung von Glutamat in der Amygdala, was beruhigend wirkt und das Verlangen nach Alkohol erhöhen kann. Dieses euphorische Gefühl plus weitere neurochemische Veränderungen, die durch einen anhaltenden Konsum angestoßenwerden, führen schließlich zur Abhängigkeit.

Psychiatrische Komorbiditäten immer mitbehandeln

In der Behandlung Alkoholabhängiger spielen psychosoziale Interventionen eine wichtige Rolle. Neben motivationalen und behavioralen Therapiebausteinen sollen Craving und Konsum vor allem durch Elemente aus der kognitiven Verhaltenstherapie reduziert werden. Um den erlernten günstigen Umgang mit Alkohol möglichst lang aufrechtzuerhalten, müssen zudem komorbide psychiatrische Erkrankungen wie Depressionen, Ängste oder eine ADHS angegangen werden. Auch eine Pharmakotherapie soll dabei helfen, den pathologischen Konsum zu minimieren und ggf. eine Abstinenz zu erreichen. Hierzulande können Ärzte dafür auf drei Medikamente zurückgreifen: Nal­trexon, Acamprosat und Nalmefen. In anderen Ländern wie den USA ist zudem Disulfiram zugelassen (s. Kasten).

Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen – abstinent?

Anders als in den USA ist Disulfiram hierzulande nicht zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit zugelassen. Die Substanz blockiert die Aldehyd-Dehydrogenase 2 in Leber und Gehirn und greift dadurch in den Abbau von Alkohol ein. Wer zur Pulle greift, erhöht so die Acetaldehydspiegel – und provoziert beispielsweise Übelkeit, Erbrechen und Kopfschmerzen. Solche unliebsamen Effekte sollen den Betroffenen das Weitertrinken vermiesen. Disulfiram zeigt in der Rückfallprävention mäßige Effekte, wenn die Therapieadhärenz sichergestellt wird.

Unter Naltrexon regelmäßig die Leberwerte kontrollieren

Naltrexon wirkt als nicht-selektiver Antagonist an den körpereigenen Opioidrezeptoren. Indem es deren übliche Aktivität blockiert, kann die Substanz den Belohnungseffekt dämpfen, den Alkoholabhängige beim Trinken üblicherweise erleben. In der Folge reduziert sich dann hoffentlich auch der Alkoholkonsum. In systematischen Reviews zur Wirksamkeit von Naltrexon liegt die Number Needed to Treat bei 12 bzw. 20, um ein schweres Trinkverhalten zu reduzieren, respektive eine Abstinenz zu erreichen. Das Präparat kann mit 50 mg einmal täglich oral eingenommen oder in Dosen von 380 mg einmal monatlich intramuskulär injiziert werden. Eine bedeutsame Leberinsuffizienz sowie die Einnahme von Opioiden gelten als Kontraindikationen. Unter der Behandlung sollten zudem die Leberwerte regelmäßig kontrolliert werden. Acamprosat wirkt antagonistisch vor allem an GABAA-Rezeptoren, etwas schwächer an N-Methyl-D-Aspartat- sowie metabotropen Glutamatrezeptoren. Zielgruppe der Therapie sind vorrangig Patienten, die sich bereits von der Flasche losreißen konnten und ihre Abstinenz aufrechterhalten wollen. Doch Achtung, es darf keine schwere Einschränkung der Nierenfunktion vorliegen! Pluspunkt: Anders als Naltrexon beeinflusst es die Leber nicht und kann daher auch bei entsprechenden Vorerkrankungen eingesetzt werden. Patienten schlucken das Medikament üblicherweise dreimal täglich in Dosen von 666 mg. Bei gastrointestinalen Beschwerden kann auch mit 3 x 333 mg begonnen werden. Ein Cochrane-Review konstatierte der Acamprosattherapie eine Number Needed to Treat von 9 bzgl. des Risikos für einen Rückfall. Nalmefen wirkt wie Naltrexon an den Opioidrezeptoren, hat jedoch eine längere Halbwertszeit. Dafür wurde es bisher nicht mit ungüns­tigen Effekten auf die Leberfunktion in Verbindung gebracht. Interessant ist Nalmefen für all jene, die ihren Konsum zwar reduzieren, aber nicht komplett auf Alkohol verzichten wollen. In Verbindung mit der Einnahme hatten sich die Tage schweren Alkoholkonsums in einer Metaanalyse im Schnitt um 1,65 Tage binnen sechs Monaten reduziert gegenüber Placebo. Nach Bedarf nehmen die Patienten Tabletten mit 18 mg pro Tag, idealerweise ein bis zwei Stunden vor dem nächsten Schluck. Rechnen müssen sie mit Übelkeit, Kopfschmerzen und Schlafproblemen. Abseits dieser drei Medikamente zeigen auch Gabapentin, Baclofen, Topiramat und Odansetron Effekte in der Behandlung einer Alkoholabhängigkeit. Allerdings handelt es sich dabei jeweils um Off-Label-Einsätze, betonen die Autoren. Die Wahl der Medikation sollte stets leitlinienbasiert erfolgen, wobei die Begleiterkrankungen und die Therapieziele der Patienten zu berücksichtigen sind.

Quelle: Fairbanks J et al. Mayo Clin Proc 2020; DOI: 10.1016/j.mayocp.2020.01.030

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