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Social-Media-Kanäle können zur ADHS-Aufklärung beitragen, bergen aber auch Risiken
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Expertinnen und Experten sehen dennoch sowohl Chancen als auch Risiken von Social Media für Aufklärung und Entstigmatisierung.
Prominente oder Influencerinnen und Influencer, die sich zu ihrer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bekennen, können zu einer besseren Aufklärung und zur Entstigmatisierung dieser psychischen Erkrankung beitragen. Dasselbe gelte für Social-Media-Kanäle, die Betroffenen einen Austausch ermöglichen, berichtete Olaf Just, Kommunikationsberater aus Freiburg und selbst von ADHS betroffen.
Die Darstellungen im Netz können aber auch ins Gegenteil umschlagen: Da wird beispielsweise ADHS als „Superkraft“ dargestellt, ohne die Beeinträchtigungen der Erkrankten zu thematisieren. Der Leidensdruck wird relativiert, die Störung womöglich nicht mehr ernst genommen. Statt der gewünschten Entstigmatisierung komme es so zu einer erneuten Stigmatisierung, befürchtete Just. Es stört ihn auch, dass viele Social-Media-Kanäle zu ADHS Werbung für Hilfsangebote aller Art enthalten. Zudem gebe es eine regelrechte Selbstdiagnosekultur.
Die Folgen davon erlebt auch Dr. Astrid Neuy-Lobkowicz, niedergelassene Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie aus München. Zu ihr kommen immer mehr Patientinnen und Patienten, weil sie auf YouTube oder TikTok Videos zu ADHS gesehen haben und sich darin wiederzuerkennen glauben. Viele von ihnen würden zwar tatsächlich später diagnostiziert, so Dr. Neuy-Lobkowicz. Die oft starke Fixierung darauf, die Erkrankung zu haben, hält sie aber für bemerkenswert. Sie vermutet, dass die Diagnose für manche auch eine willkommene Erklärung für persönliches Scheitern und Lebensprobleme liefert: Eine ADHS-Diagnose könne entlastend wirken, die Betroffenen neigten aber auch dazu, alles in ihrem Leben mit der ADHS zu erklären, so die Psychiaterin.
Zudem beobachtet Dr. Neuy-Lobkowicz eine zunehmende Anspruchshaltung. Selbst bei mäßig ausgeprägten Symptomen werde über den Grad der Behinderung diskutiert, eine Haushaltshilfe oder eine Frühberentung gefordert. Offensichtlich erfolgt über Social Media ein Abgleich über zu fordernde soziale Maßnahmen.
Informationsangebote von Gesundheitsprofis in sozialen Netzwerken sind wesentlich häufiger evidenzbasiert als die von Laien, berichtete Prof. Dr. Alexandra Philipsen von der psychiatrischen Universitätsklinik in Bonn. Das nützt allerdings wenig: Diese Seiten werden viel seltener angeschaut, mit „Likes“ versehen und geteilt als die Seiten von Influencerinnen und Influencern, die nicht aus dem Gesundheitsbereich stammen. Evidenzbasierung kommt nicht an.
Das trifft auch auf Selbstdiagnose-Tools zu. Nur 8 % der am häufigsten angesehenen Videos zur ADHS-Selbstdiagnose sind nach einer aktuellen Analyse wirklich nützlich, 92 % irreführend. Das Kriterium war, dass in den Videos mindestens vier von sechs Items der Adult ADHD Self-Report Scale aufgegriffen werden mussten. Die Videos, die als sinnvoll eingestuft wurden, führten zudem noch zu unterproportional wenig Interaktionen mit Userinnen und Usern: Sie erhielten nur 4 % aller „Likes“ und nur 1 % aller Kommentare. Es wäre daher wünschenswert, dass sich die an der Versorgung von Menschen mit ADHS beteiligten Gesundheitsberufe stärker selbst auf sozialen Medien engagieren, regte Prof. Philipsen an.
Quelle: DGPPN-Kongress 2024 | Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde
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