Stellungnahme zu Inkretinmimetika präkonzeptionell und in der Schwangerschaft

Prof. Dr. Ute Schäfer-Graf

Es gibt keine kontrollierten Studien, die die Anwendung von GLP1-RA in der Schwangerschaft beim Menschen untersucht haben. Es gibt keine kontrollierten Studien, die die Anwendung von GLP1-RA in der Schwangerschaft beim Menschen untersucht haben. © stock.adobe.com - Valentina Shilkina

Wie wirkt sich die Behandlung mit Inkretinmimetika auf Fertilität und Konzeption aus? Dazu gibt es eine einordnende Stellungnahme der AG Diabetes & Schwangerschaft der DDG. 

GLP1-Rezeptoragonisten (GLP1-RA) sind Inkretinmimetika und gehören einer Klasse von neueren Antidiabetika an, die zunehmend nicht nur zur Behandlung von Typ-2-Diabetes, sondern auch zur Gewichtsreduktion bei Adipositas eingesetzt werden. Das trifft auch auf junge adipöse Frauen im Reproduktionsalter zu. Durch die Gewichtsreduktion mit konsekutiver Verringerung der Insulinresistenz kann es zur ungeplanten Konzeption kommen, da sich die Fertilität verbessert. Bereits 5 bis 10 % Gewichtsabnahme kann zu einer Normalisierung der Ovulation führen. Eine rapide Verbesserung der Amenorrhoe wird bei einigen Frauen mit Adipositas auch nach bariatrischen Operationen beobachtet. Es ist anzunehmen, dass die Anzahl von Frauen mit ungeplanten oder geplanten Schwangerschaften, die mit dieser Wirkstoffgruppe behandelt wird, zunimmt. 

Zudem wird diskutiert, ob durch Nebenwirkungen wie Erbrechen, Durchfall und verzögerte Magenentleerung die Wirkung der Pille abgeschwächt wird. Eine weitere Problematik ist der Rebound-Effekt nach Absetzen der GLP1-RA. Es kann zu übermäßiger Gewichtszunahme in der Schwangerschaft kommen, was insbesondere bei adipösen Schwangeren die Komplikationsrate deutlich erhöht. Berichtet wurde auch, dass einzelne Frauen nach Eintritt der Schwangerschaft wegen dieses Effektes das Medikament Ozempic nicht absetzen wollten. 

Gezielter Einsatz von GLP1-RA bei Infertilität

GLP1-RA werden gezielt als neue Option bei Infertilität eingesetzt.1 Übergewicht, Adipositas und Insulinresistenz spielen eine wichtige Rolle im Pathogenesezyklus des polyzystischen Ovarialsyndroms (PCOS). Die übermäßige Androgenproduktion kann zur gesteigerten Bildung von Fettzellen und zur Sekretion von Cytokinen führen, die sich negativ auf den Glukosetransport in die Zellen auswirken. Die steigende Insulinresistenz stimuliert wiederum die ovarielle Produktion von Androgenen. Bei Frauen mit PCOS wird in klinischen Studien bereits seit Jahren der Effekt von GLP1-RA untersucht. In einer Metaanalyse niedriger Evidenz von sieben randomisiert-kontrollierten Studien erwiesen sich diese als effektiver als Metformin in Bezug auf Gewichtsabnahme und Verbesserung der Insulinsensitivität.2 

Auswirkungen von GLP1-RA bei Konzeption

Wie wirken sich GLP1-RA bei Konzeption aus? Sollten diese nicht nur Frauen mit sicherer Kontrazeption verordnet werden? In den USA steigt die Zahl der Schwangerschaften mit perikonzeptioneller Einnahme (295/100.000). Es gibt keine kontrollierten Studien, die die Anwendung von GLP1-RA in der Schwangerschaft beim Menschen untersucht haben. Schwangere mit Kinderwunsch wurden in den Entwicklungsstudien für GLP1-RA ausgeschlossen bzw. die Therapie bei Konzeption abgebrochen. Festzuhalten ist, dass die Verfügbarkeit von Tier- und Humanstudien begrenzt ist. Ein systematisches Review zeigte, dass in Tierstudien GLP1-RA zu einem reduzierten fetalen Überleben, einer Zunahme schwerer kongenitaler Anomalien, einem verringerten fetalen Gewicht/Wachstum, einer verzögerten und irregulären Ossifikation sowie generellen Skelettanomalien führten, assoziiert mit der Reduktion des maternalen Gewichtes und Nahrungsaufnahme. Veränderungen der Magenentleerung und der Appetitkontrolle könnten zudem die Nährstoffversorgung des Fötus beeinflussen. Liraglutide (eine Fallbeschreibung) und Exenatide (Mausmodell) scheinen nicht die Plazentaschranke zu überwinden. In Tierstudien gingen GLP1-RA in die Muttermilch über und verursachten ein vermindertes Wachstum, humane Daten stehen nicht zur Verfügung.3 

Wenige Beobachtungsstudien aus Schwangerschaften

Bis jetzt gab es nur wenige Beobachtungen aus Schwangerschaften. 2024 wurden gleich zwei Studien veröffentlicht, was auch die steigenden Fallzahlen und die zunehmende Bedeutung der Problematik verdeutlicht. Eine Case-Control-Studie verglich die Rate von schweren kongenitalen Fehlbildungen (MCM) in Schwangerschaften von Frauen mit Typ-2-Diabetes, denen perikonzeptionell zusätzlich zu Metformin entweder Insulin oder OADs verordnet wurden.4 GLP1-RA nahmen 6 % (n = 938) der Frauen, die MCM-Rate war mit 8,3 % nur wenig höher als bei Insulin (7,8 %). Da die Rate an MCM insgesamt sehr hoch war, ist die Übertragbarkeit auf Schwangere mit Diabetes fraglich. Es gibt nur bei einer Subgruppe Angaben über den HbA1c-Wert bei Konzeption: Er war am höchsten bei den Schwangeren, die unter Insulin oder DPP4- und SGLT2-Inhibitoren schwanger wurden. Über den sonstigen Verlauf der Schwangerschaften wurde nichts berichtet. 

Eine prospektive multizentrische Beobachtungsstudie wertete die Daten aus sechs Beratungszentren des European Network of Teratology Information Services aus (Zentren aus Deutschland, Israel, Italien, der Schweiz, dem Vereinigten Königreich). Da alle Fälle entweder von den Schwangeren oder den behandelnden Ärzt*innen gemeldet wurden, ist eine positive Selektion von Patient*innen nicht auszuschließen. Ausgewertet wurden insgesamt 168 Fälle mit Anwendung eines GLP1-RA im ersten Trimester der Schwangerschaft: Liraglutid (n = 99), Semaglutid (n = 51), Dulaglutid (n = 11) und Exenatid (n = 7). Als Referenzkohorten dienten 156 schwangere Frauen mit Diabetes mellitus, die im ersten Trimester der Schwangerschaft mit mindestens einem Antidiabetikum behandelt wurden (außer GLP1-RA), und 163 schwangere Frauen mit Übergewicht (BMI 25 kg/m2) oder Adipositas (BMI ≥ 30 kg/m2) ohne Typ-2-Diabetes. Letztere Kohorte ist wichtig, um das bei Adipositas per se erhöhte Risiko für MCM zu differenzieren vom potenziellen Einfluss der GLP1-RA. 

Das Risiko für MCM war in allen drei Gruppen vergleichbar: 2,6 % bei GLP1-RA, 2,3 % bei Typ-2-Diabetes und 3,9 % bei Übergewicht/Adipositas. Das galt auch für Lebendgeburten, Spontanaborte und intrauterinen Tod. Beide Studien weisen darauf hin, dass GLP1-RA in vivo per se nicht teratogen sind, jedoch weisen beide Arbeiten methodische Probleme auf.5 

Das Wichtigste in Kürze – ein Fazit

  • Frauen sollten bei Anwendung von Inkretinmimetika über den Einfluss auf die Fertilität informiert und ihnen eine sichere Kontrazeption empfohlen werden. Die Wirkung oraler Kontrazeptiva könnte eingeschränkt sein.
  • Nach den vorliegenden Studien scheint die Einnahme von GLP1-RA nicht mit einem höheren Risiko für kongenitale Fehlbildungen assoziiert zu sein. Da die Datenlage jedoch begrenzt ist, wird angeraten, GLP1-RA bei Kinderwunsch zwei Monate vor dem Versuch, schwanger zu werden, abzusetzen, bei langwirksamen GLP1-RA und GLP1/GIP-Koagonisten wegen der langen Washout-Phase drei Monate vorher. Zu weiteren Risiken wie metabolischen Erkrankungen oder Wachstumsstörungen bei den Kindern gibt es bisher keine Daten.
  • Als möglicherweise problematisch kann sich beim Einsatz von Inkretinmimetika im Rahmen der Reproduktionsmedizin zudem der Rebound-Effekt nach Absetzen erweisen. Das Unternehmen Novo Nordisk wurde von der FDA aufgefordert, ein Register über Schwangerschaften unter Semaglutid einzuführen und eine Studie durchzuführen.
  • Da die Menge der verfügbaren Daten gering ist und sich meist auf Tierstudien beschränkt, sollten Fälle von Anwendung von Inkretinmimetika bei Konzeption an das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité-Universitätsmedizin gemeldet werden (embryotox.de), das aus den gemeldeten Beobachtungen Übersichten und Empfehlungen zusammenstellt.

Quellen:

1. Cena H et al. Endocrinol Metab 2020 Aug 1; 105 (8): e2695–709; DOI: 10.1210/clinem/dgaa285 

2. Ma R et al. Medicine (Baltimore) 2021 Jun 11; 100 (23): e26295; DOI: 10.1097/MD.0000000000026295

3. Muller DRP et al. Front Endocrinol 2023; Oct 10; 14: 1215356; DOI: 10.3389/fendo.2023.1215356

4. Cesta CE et al. JAMA Intern Med 2024; 184 (2):144–152; DOI:10.1001/jamainternmed.2023.6663 

5. Dao et al. BMJ Open 2024;14(4): e083550; DOI: 10.1136/bmjopen-2023-083550

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