Stocksteif vom Fentanyl-Pflaster

Dr. Dorothea Ranft

Der Ehemann hatte seiner Frau vor mehreren Stunden erstmals ein Fentanyl-Pflaster aufgeklebt – aus seinem eigenen Vorrat. Der Ehemann hatte seiner Frau vor mehreren Stunden erstmals ein Fentanyl-Pflaster aufgeklebt – aus seinem eigenen Vorrat. © iStock/huettenhoelscher

Soporös und mit starrer Muskulatur auf dem Sofa liegend – so wurde eine 89-Jährige frühmorgens von ihrem Gatten aufgefunden. Dass er den unglückseligen Zustand seiner Frau selbst hervorgerufen hatte, war ihm nicht bewusst.

Dem herbeigerufenen Notarzt berichtete der Mann, seine Frau habe unter starken Schmerzen gelitten, die sich am Vortag noch verschlimmert hatten. Einen Sturz verneinte er. Neben der Muskelsteifigkeit fanden sich eine Miosis und eine unregelmäßige Atmung. Dies kombiniert mit dem hohem Alter lenkte den Verdacht auf eine medikamentös-toxische Ursache. Doch die Arzneimittelanamnese schien zunächst unverdächtig. Aufgrund der unklaren Situation sollte die alte Dame stationär eingeliefert werden. Beim Abtransport gab es endlich den entscheidenden Hinweis: Jetzt erwähnte der Ehemann beiläufig, er habe seiner Frau vor mehreren Stunden erstmals ein Fentanyl-Pflaster aufgeklebt – aus seinem eigenen Vorrat.

Nach zwei Tagen auf Station wurde die Frau entlassen

Im vorgewärmten Rettungswagen entkleidete man die alte Dame und befreite sie von dem Pflaster. Nach intravenöser Behandlung mit Naloxon wurde sie unverzüglich wacher und ihre Muskelsteifigkeit verschwand – was die Vermutung einer Opioidintoxikation bestätigte. In der Klinik entwickelte die Patientin allerdings erneut eine Somnolenz mit Atempausen, ein typisches Reboundphänomen aufgrund der unterschiedlichen Halbwertszeiten von Naloxon und Fentanyl (45 Minuten vs. 17 Stunden). Die wiederholte Applikation des Opiatantagonisten führte schließlich zur vollständigen Restitution. Nach zwei Tagen im Krankenhaus konnte die fast 90-Jährige in ihr häusliches Umfeld entlassen werden.

Bisher war ein erhöhter Tonus der quergestreiften Muskulatur nur von der intravenösen Opiatanwendung bekannt, schreiben Dr. Mathias Friebe vom Allgemeinen Krankenhaus Viersen und Johanna Coenen vom Evangelischen Krankenhaus Oberhausen. Offenbar ist diese Nebenwirkung auch unter transdermaler Applikation möglich. In diesem Fall wurde sie durch die hoch dosierte akzidentelle Applikation bei einer therapienaiven betagten Patientin begünstigt. Eine wichtige Rolle spielten wahrscheinlich die komorbide Niereninsuffizienz (GFR 39 ml/min) sowie das geringe Verteilungsvolumen durch Exsikkose und magere Konstitution.

Auch bei vermeintlich verzögerter Resorption durch spezielle Applikationsformen muss man mit dem kompletten Nebenwirkungsspektrum der Opioide rechnen, warnen die Autoren. Sie empfehlen, bei einer Fremdanamnese wegen Bewusstseinstrübungen immer nach sämtlichen im Haushalt vorhandenen Medikamenten zu fragen – auch solchen, die andere Personen nutzen oder die fälschlich angewandt wurden.

Außerdem sollte bei der klinischen Untersuchung immer die gesamte Körperoberfläche sorgfältig inspiziert werden, um kein verstecktes oder durchsichtiges transdermales System zu übersehen. Dabei ist auch auf Kleberreste zu achten, die von einem bereits entfernten Pflaster zeugen. Wichtig bei der Verordnung ist zudem der Hinweis auf mögliche Fehlanwendungen oder Missbrauch – auch durch Unbefugte. Dies gilt insbesondere für Produkte, die für Laien eventuell so harmlos wirken wie ein Schmerzpflaster.

Quelle: Friebe M, Coenen J. Dtsch Med Wochenschr 2021; 146: 1207-1210; DOI: 10.1055/a-1546-4686

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Der Ehemann hatte seiner Frau vor mehreren Stunden erstmals ein Fentanyl-Pflaster aufgeklebt – aus seinem eigenen Vorrat. Der Ehemann hatte seiner Frau vor mehreren Stunden erstmals ein Fentanyl-Pflaster aufgeklebt – aus seinem eigenen Vorrat. © iStock/huettenhoelscher