Strukturdefizite kosten Menschenleben

Manuela Arand

Dyspnoe wird in der Notfallmedizin häufig noch durch vorschnelle Diagnosen verkannt. Dyspnoe wird in der Notfallmedizin häufig noch durch vorschnelle Diagnosen verkannt. © Pixel-Shot – stock.adobe.com

Dyspnoe ist als Akutsymptom mindestens so ernst zu nehmen wie Brustschmerz – das Sterberisiko liegt sogar viel höher. Experten plädieren dafür, Respiratory Care Units zu etablieren in Analogie zu den Chest Pain Units. 

Dyspnoe ist ein schwieriges Symptom. Dass sie hochgradig subjektiv und individuell unterschiedlich empfunden wird, erschwert es, eine saubere Definition zu entwickeln. Entsprechend schwammig fallen die Umschreibungen in der Literatur aus, etwa Dyspnoe als „unangenehm empfundene erschwerte Atemtätigkeit“. Eine akute Dyspnoe dauert bis zu 48 Stunden, danach spricht man von chronischer Dyspnoe, erklärte Prof. Dr. Stefan Krüger, Florence Nightingale Krankenhaus und Universitätsklinikum Düsseldorf. Die wichtigsten Ursachen finden sich in Lunge und im Herz-Kreislauf-System, sie können aber auch in anderen Organen, in Blut, Stoffwechsel, ZNS und nicht zuletzt der Psyche liegen. 

Notärzten begegnet die Dyspnoe sehr häufig als Akutsymptom. Gemäß der Daten eines großen deutschen Registers1 landete die Hälfte der Patienten, die mit diesem Symptom in die Notaufnahme kamen, auf der Normalstation. Immerhin 16 % mussten auf die Intensivstation verlegt werden. Nur jeder Vierte konnte gleich wieder nach Hause. In einer ähnlichen Analyse an der Berliner Charité2 war Dyspnoe das dritthäufigste Kardinalsymptom nach Brust- und Abdominalschmerz. Während Letztere in aller Regel auf kardiale bzw. gastrointestinale Erkrankungen zurückzuführen waren, präsentierte sich das Ursachenspektrum der Dyspnoe sehr viel bunter. 

Wirklich alarmierend ist aber, dass die Sterblichkeit von Patienten mit Dyspnoe zehnmal so hoch ausfiel wie von denjenigen mit Thoraxschmerz (9,4 % vs. 0,9 %). Knapp 20 % der Luftnotpatienten mussten auf die Intensivstation verlegt werden, fast doppelt so viele wie mit Thoraxschmerz (etwa 11 %). „Wir unterschätzen akute Luftnot als Kardinalsymptom, weil wir so fixiert sind auf Brustschmerz“, kommentierte Prof. Krüger. „Wir müssen uns dringend angewöhnen, Dyspnoe als Red Flag in der Notaufnahme zu betrachten.“ 

Dass die Dyspnoe im klinischen Alltag untergeht, liegt unter anderem daran, dass vorschnell Diagnosen gestellt werden. Oft verlässt man sich auf einzelne Befunde und sieht eine Tachypnoe als per se pulmonal verursacht an, statt den Patienten mit all seinen Komorbiditäten zu betrachten. Wer beispielsweise in einer hypertensiven Krise steckt, kann „nebenbei“ auch eine Pneumonie oder eine Lungenembolie haben. 

„Gerade die Lungenembolie ist ein Chamäleon und wird oft erst post mortem diagnostiziert“, so der Pneumologe. Der klinische Verlauf werde häufig nicht gemonitort. Respiratorisch grenzwertige Patienten warten stundenlang in der Radiologie und niemand merkt, wie sie sich verschlechtern, kritisierte der Kollege. Abnorme Vitalwerte und drohendes respiratorisches Versagen werden übersehen, weil der Patient noch eine halbwegs gute Sättigung zeigt. „Patienten bekommen Sauerstoff. Der wird dann immer noch ein bisschen aufgedreht, und irgendwann ist die Atempumpe erschöpft, sodass der Patient in kurzer Zeit intensivpflichtig wird“, schilderte Prof. Krüger eine typische Situation.

Differenzialdiagnosen bei Dyspnoe

Akut lebensbedrohlich

  • Akutes Koronarsyndrom

  • Lungenembolie

  • Aortendissektion

  • Spannungspneu

  • Perikardtamponade

  • Mediastinitis

Potenziell schwer, aber nicht akut bedrohlich

  • Infektionen (Pneumonie, COVID-19, AECOPD etc.)

  • kardiale Ursachen wie dekompensierte Herzinsuffizienz, Vitium, Blutdruckkrise

  • gastrointestinale Ursachen 

  • muskuloskelettale Probleme

  • psychische Erkrankungen

In Kliniken fehlen oft Standards und Strukturen für das Prozedere bei Atemnot, zudem gibt es keine einzige Leitlinie für das Management der Dyspnoe. Prof. Krüger forderte für Patienten mit akuter Luftnot eine Versorgung, die pneumologische und kardiologische Expertise in der Notaufnahme kombiniert, um es nicht dem Triage-Zufall zu überlassen, wo die Kranken landen.

Zusammen mit Kollegen hat er das Konzept RCU entwickelt.3 Es soll gewährleis­ten, dass akute Dyspnoe effektiv und ohne Zeitverlust abgeklärt und ohne Verzug die Therapie eingeleitet wird. Das könnte Intensivstationen entlasten, weil Patienten stabilisiert und gar nicht erst intensivpflichtig werden. 

Die Diagnostik auf der RCU ist überschaubar: Blutgasanalyse, EKG, Echo und Thoraxsono, Röntgen und CT sowie das „Dyspnoe-Labor“, zu dem u.a. Entzündungswerte, Troponin und BNP gehören. Im Verlauf reichen Pulsoxymetrie und Atemfrequenzmonitoring. Auch therapeutisch muss nicht viel vorgehalten werden. Neben nichtinvasiver Beatmung und nasalem High Flow sollte rasch eine antiinfektive Therapie verfügbar sein sowie natürlich Sauerstoff. „Nicht einfach Sauerstoff aufschreiben, sondern ein Therapieziel formulieren“, mahnte Prof. Krüger. Die Devise „je höher, desto besser“ gilt beim Sauerstoff nicht. Die Sättigung über 92 % zu bringen, ist sinnvoll, Ziele von 96 % oder gar 98 % sind es nicht. 

Die Kliniken von Prof. Krüger haben eine Standard Operating Procedure (SOP) Atem-Notfall entwickelt, die an beiden Häusern gilt. Sie sieht eine Risikostratifizierung in zwei Schritten vor, wobei der erste Schritt die intensivpflichtigen Notfälle aussortiert, charakterisiert durch Intubation, maschinelle Beatmung oder Katecholaminbedarf. Im zweiten Schritt folgen die „weichen“ Risikoparameter: 

  • Atemfrequenz > 30/min

  • pO2 bei Raumluft < 55 mmHg

  • pCO2>50 mmHg plus pH < 7,3

  • neue Bewusstseinsstörung

  • RR < 90/60 mmHg

  • akutes Nierenversagen

  • Laktat ≥ 2 mmol

  • dekompensierte Komorbidität

Ein bis zwei weiche Kriterien qualifizieren für die stationäre Aufnahme, mehr als zwei für die Intensivstation. „Oft werden die Nebenkriterien vergessen oder als unproblematisch angesehen, das sind sie aber nicht“, betonte Prof. Krüger. Geplant sei die Anschaffung kleiner Point-of-Care-Spirometer, um die Lungenfunktion ins Notfallpanel zu integrieren. Das scheitere momentan noch an der Vernetzung mit dem Krankenhausinformationssystem.

Ein derart strukturiertes Prozedere verbessert die Prognose der Patienten, wie eine italienische Studie an knapp 2.400 Patienten beweist.4 Diejenigen, die auf der RCU betreut wurden, hatten eine signifikant bessere Überlebenschance (Odds Ratio 2,65 bis 5,78) und mussten sehr viel seltener auf der Intensivstation behandelt werden. Prof. Krüger: „Es gibt kein Medikament, das das schafft, aber es gibt Strukturen, die schwer kranke Patienten früh erkennen und am Leben erhalten.“ Eine frühere antibiotische Therapie, mehr nichtinvasive und frühere Beatmung, mehr Steroide, Physiotherapie und Blutgasanalysen machten den Unterschied.

Quelle: Kongressbericht der WDGP* 2023

*  Westdeutsche Gesellschaft für Pneumologie

1. Greiner F et al. Med Klin Intensivmed Notfmed 2018; 113: 115-123; DOI: 10.1007/s00063-017-0286-9
2. Möckel M et al. Eur J Emerg Med 2013; 20: 103-108; DOI: 10.1097/MEJ.0b013e328351e609
3. Bernhard M et al. DMW 2023; im Druck
4. Confalonieri M et al. Respiration 2015; 90: 235-242; DOI: 10.1159/000433557

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