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Syphilis im falschen Gewand führte Ärzte in die Irre

Zunächst hatte der etwa 70-jährige Patient nur unter einem Visusverlust des linken Auges gelitten. Ultraschall und klinische Untersuchung der Temporalarterie waren unauffällig und die Kollegen stellten die Verdachtsdiagnose anteriore ischämische Optikusneuropathie (AION). Einige Wochen später wurde der Mann aufgrund einer BSG von 70 mm/h, Gewichtsverlust, Schwindel und Balancestörungen zum Internisten überwiesen. Dort vermutete man aufgrund der fehlenden Pulsation der linken Temporalarterie und einem hohen CRP-Wert eine Riesenzellarteriitis (RZA) und veranlasste eine Temporalarterienbiopsie. Der Befund bescheinigte entzündliche Wandveränderungen im Sinne einer RZA. Mit der Diagnose Arteriits temporalis bekam der Mann nun Prednisolon (1 mg/kgKG) verordnet.
Panuveitis mit Visusverlust deutete auf Infektion hin
Doch die Glukokortikoide zeigten keinerlei Wirkung. Drei Wochen nach Beginn der Einnahme sank der Visus beider Augen plötzlich rapide ab. Mit der Verdachtsdiagnose AION landete der Mann als Notfall in der Augenambulanz. Dort stellte sich heraus, dass er zwar keine AION, überraschenderweise aber eine Panuveitis hatte. Nun drängten sich neue Differenzialdiagnosen auf, weshalb die Kollegen Blut und Liquor auf eine breite Palette von Infektionskrankheiten testeten. Und siehe da, sie wurden fündig: Der Mann hatte eine sekundäre Syphilis (RPR*-Titer 1:128, TPHA**-Titer 1:1.024). Passend dazu entwickelte er während der diagnostischen Bemühungen eine sensorische Ataxie, Gefühlsstörungen und eine Fußheberparese rechts.
Mit der richtigen Diagnose Neurosyphilis konnte dem Mann jetzt endlich geholfen werden. Er bekam Benzylpenicillin (18 Mio IU/d), das Prednisolon wurde ausgeschlichen. Innerhalb weniger Tage verbesserte sich der Visus dramatisch, auch die neurologischen Probleme verschwanden.
Patient lebte angeblich jahrzehntelang monogam
Wo seine Geschlechtskrankheit herkam, blieb allerdings unklar. Er gab an, seit Jahrzehnten monogam zu leben und in den letzten zehn Jahren keine sexuellen Kontakte außerhalb der Beziehung gehabt zu haben. Seine Partnerin lehnte einen Syphilistest ab. Unglücklicherweise entwickelte der alte Mann drei Wochen nach Beginn der Antibiotikatherapie eine schwere beidseitige Pneumonie. Bei negativen Tests auf SARS-CoV-2 vermuteten die Kollegen eine Pneumocystis-jirovecii-Infektion (früher: P. carinii). Trotz hoher Dosen von Cotrimoxazol und Cefuroxim starb der Patient an Lungenversagen.
Die bei diesem Patienten aufgetretene meningovaskuläre Syphilis ist die häufigste Form der Neurosyphilis bei HIV-negativen Patienten. Dass die Syphilis dabei sowohl klinisch als auch mikroskopisch eine RZA imitiert, ist zuvor nur ein einziges Mal beschrieben worden. Aus dieser Kasuistik seien in jedem Fall einige Lehren zu ziehen, so NIELS VAN RUITENBEEK vom Elisabeth-TweeSteden Ziekenhuis in Tilburg und Kollegen.
Zum einen darf bei entzündlichen Veränderungen der Temporalarterie nicht vergessen werden, dass dafür neben der RZA auch andere autoimmune oder infektiöse Erkrankungen verantwortlich sein können. Außerdem muss die Syphilis auch bei Patienten in Betracht gezogen werden, die nicht zu den klassischen Risikogruppen gehören. Immerhin kann sie erst Dekaden nach der Infektion in Erscheinung treten. Last, but not least darf man auch der monogamen Sexualanamnese von Patienten nicht blind vertrauen und deshalb auf einen Test auf sexuell übertragbare Erkrankungen verzichten. Seitensprünge gehören zu den Dingen, die von Patienten in den meisten Fällen lieber verschwiegen werden.
* rapid plasma reagin
** Treponema pallidum haemagglutination assay
Quelle: van Ruitenbeek N et al. BMJ Case Rep 2022; 15: e247642; DOI: 10.1136/bcr-2021-247642
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