Orthostatische Intoleranz vom klassischen Orthostase-Syndrom unterscheiden

Dr. Sascha Bock

Vor allem junge Frauen sind vom posturalen orthostatischen Tachykardiesyndrom (POTS) betroffen. Vor allem junge Frauen sind vom posturalen orthostatischen Tachykardiesyndrom (POTS) betroffen. © iStock.com/Klebercordeiro

Die meisten verbinden orthostatische Probleme wohl mit einem abrupten Blutdruckabfall im Stehen. Allerdings gibt es die Intoleranz auch in Form einer Tachykardie ohne Hypotonie. Betroffene leiden mitunter enorm und die Diagnose wird oft erst nach Jahren gestellt.

Weiblich, 25 Jahre alt, seit zehn Jahren häufig Herzrasen im Stehen – diese Patientin ist eine klassische Kandidatin für die Diagnose eines posturalen orthostatischen Tachykardiesyndroms (POTS). Betroffene schaffen es aufgrund ihrer Beschwerden nicht, den Körper dauerhaft aufrecht zu halten, sogar längeres Sitzen fällt einigen schwer. Obwohl im klinischen Alltag durchaus präsent, zählt die Erkrankung eher zu den unbekannteren kardiovaskulären autonomen Störungen.

Auch Bauchschmerzen gehören zu den Beschwerden

An Herz-Kreislauf-Symptomen treten neben der Tachykardie meist Palpitationen, Schwindel, Dyspnoe und (Prä-)Synkopen während des Stehens auf. 30–50 % aller Patienten kollabieren. Unter bestimmten Begleitumständen verschlimmert sich die orthostatische Intoleranz (s. Kasten). Hinzu kommen allgemeine Beschwerden, die nicht unmittelbar mit der Hämodynamik zusammenhängen. Bauchschmerzen, Cephalgien, chronische Fatigue und eingeschränkte körperliche Belastbarkeit bilden nur einen Bruchteil der möglichen Manifestationen ab.

Vorsicht, Exazerbation!

Diese Umstände können die orthostatische Intoleranz verschlimmern:
  • hohe Umgebungstemperaturen und hohe Luftfeuchtigkeit
  • unzureichende Flüssigkeitszufuhr/Dehydratation
  • körperliche Belastung
  • Morgenstunden

Zwei Drittel der Betroffenen klagen über mindestens zehn verschiedene Symptome. Die Konsequenz ist, dass so mancher Patient zunächst in der Psycho-Schublade landet und es bis zur korrekten Diagnose im Schnitt vier Jahre dauert, schreibt Professor Dr. Artur­ Fedorowski­ von der Abteilung für Kardiologie am Skåne University Hospital in Malmö. Mit einem Anteil von ungefähr 80 % betrifft das POTS vor allem Frauen. Die Altersspanne reicht von 15 bis 45 Jahren, die geschätzte Prävalenz liegt bei 0,2–1 %. Der Erkrankung können immunologische Stressoren vorausgehen, z.B. ein viraler Infekt, eine Schwangerschaft oder psychosozialer Stress. Allerdings fehlen derartige Trigger oft und viele Patienten berichten über eine langsame Progression der Symptome.

Aktiver Stehtest liefert erste diagnostische Hinweise

Bezüglich der Ätiologie existieren bislang nur Hypothesen. In den letzten Jahren haben sich drei etabliert:
  • Autoimmunerkrankung: Einige Merkmale wie die Triggerfaktoren stützen diese Theorie. Darüber hinaus fanden sich diverse Autoantikörper – beispielsweise gegen adrenerge G-Protein-gekoppelte Rezeptoren –, die eine Rolle in der Pathogenese spielen könnten.
  • Eine Sympathikus-Überaktivierung erklärt die inadäquate Sinustachykardie ebenfalls. Auch wurde ein hyperadrenerger Subtyp beschrieben, bei dem während der Orthostase der Noradrenalinspiegel steigt. Daraus resultieren Beschwerden wie Tremor, Angst und Brustschmerzen.
  • Eine periphere sympathische Neuropathie führt über venöses Pooling mit konsekutiver Vorlastsenkung zur Reflextachykardie. Zudem gibt es POTS-Patienten mit gestörtem Renin-Angiotensin-­Aldosteron-System, was ebenfalls eine Hypovolämie nach sich zieht.
Erste diagnostische Hinweise auf eine orthostatische Intoleranz liefert bereits der aktive Stehtest. Als Goldstandard gilt jedoch der Kipptisch-Versuch. Während beider Tests zeigt sich beim POTS binnen zehn Minuten ein progredienter Anstieg der Herzfrequenz um mindestens 30/min oder auf über 120/min. Ein pathologischer Blutdruckabfall um systolisch mehr als 20 mmHg bleibt definitionsgemäß aus. Außerdem müssen sich die auftretenden Symptome reproduzieren lassen.

Spontanremission in ca. 50 % der Fälle

Weitere Untersuchungen bieten sich zur Differenzialdiagnostik oder zur „Typisierung“ der Dysfunktion an. Eine Überlappung mit anderen Krankheiten, darunter orthostatische Hypotonie, vasovagale Synkope oder Panikstörung, halten Experten derzeit durchaus für möglich. Prof. Fedorowski hebt besonders das häufig gleichzeitige Vorliegen von POTS und Chronic-Fatigue-Syndrom bzw. Ehlers-Danlos-Syndrom hervor.

Nicht-pharmakologische Therapiemaßnahmen

  • Patientenedukation (essenziell, am besten inkl. Broschüren o.Ä.): Verständnis über die Pathophysiologie des POTS und Erlernen physikalischer Gegenmanöver; Immobilisierung und langes Liegen vermeiden ebenso wie langes Stehen; langsames Aufstehen, vor allem morgens, nach Mahlzeiten und nach dem Toilettengang; statt großer Mahlzeiten häufigere kleinere einnehmen
  • Körperliches Training: bevorzugt stufenweise und regelmäßig unter Supervision (anfangs aufrechte Position meiden); später mildes bis moderates Ausdauertraining; Rudergeräte, Liegendfahrrad und Schwimmen als mögliche Optionen
  • Je nach Subtyp (z.B. „hypovolämisch“) erhöhte Salz- und Flüssigkeitsaufnahme (Nahrung > 10 g Natrium pro Tag) sowie Kompressionsstrümpfe erwägen

Solange die Pathophysiologie nicht wirklich verstanden ist, beschränkt sich die Therapie vor allem auf die Symptomlinderung (s. Kas­ten oben). Immerhin: Schätzungsweise bei jedem Zweiten verschwindet die Störung nach 1–3 Jahren wieder. Für schwere Fälle stehen zwar diverse Medikamente zur Verfügung (Betablocker, Midorin, Fludrocortison, Pyridostigmin etc.), diese erzielen insgesamt aber eher moderate Effekte.

Quelle: Fedorowski A. J Intern Med 2018; online first

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Vor allem junge Frauen sind vom posturalen orthostatischen Tachykardiesyndrom (POTS) betroffen. Vor allem junge Frauen sind vom posturalen orthostatischen Tachykardiesyndrom (POTS) betroffen. © iStock.com/Klebercordeiro