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Tödliche Therapiefolge

Zur Vorgeschichte: Im Oktober 2020 war bei einer 78-Jährigen eine mikroskopische Polyangiitis diagnostiziert worden. Der ANCA-Titer betrug 1:320, die MPO-Antikörper waren positiv. Die Frau entwickelte im Verlauf neben einer Lungenbeteiligung eine chronische Niereninsuffizienz Stadium 4 und wurde intensivpflichtig. Über zwei Monate bekam sie hoch dosiert Glukokortikoide. Durch vier Mal Rituximab (insgesamt 618,75 mg) und die Gabe von Immunglobulinen i.v. über sechs Tage ließ sich die Patientin stabilisieren und man konnte sie entlassen, berichtete Dr. Franziska Fieber, Klinik für Innere Medizin II am Klinikum Südstadt in Rostock.
Ein halbes Jahr später wurde die Frau mit deutlich verschlechtertem Allgemeinzustand erneut stationär aufgenommen. Sie klagte über Schmerzen und schon seit Wochen anhaltende kognitive Defizite. Bei der Eingangsuntersuchung fielen eine deutlich beeinträchtigte Aufmerksamkeit und eine Zeitgitterstörung auf. Neurologisch zeigte sie eine leichte Apraxie mit Schweregefühl im linken Arm beim Armvorhalteversuch. Beim Beinhalteversuch sank das linke Bein etwas ab.
Um Raumforderung und Schlaganfall auszuschließen, veranlassten die behandelnden Ärzte eine Schädel-CT, die jedoch unauffällig blieb. In der cMRT, zwei Tage später, konnte man temporal und parietal multiple hyperintense kortikale Läsionen erkennen, periventrikulär subkortikal zeigten sich hyperintense Signalalterationen. Nach Kontrastmittelgabe erschienen die Läsionen hypointens, nur temporal ließ sich eine geringe KM-Anreicherung nachweisen.
Es folgte eine Lumbalpunktion. Zellzahl und Gesamteiweiß im Liquor waren unauffällig. Mit 4.820 IU/ml erwies sich jedoch die Virus-PCR für das humane Polyomavirus 2 als hoch positiv (Nachweisgrenze 31 IU/ml). Damit war die Diagnose klar. Die Frau litt an einer progressiven multifokalen Leukoenzephalopathie (PML) unter der Therapie mit Rituximab. Das EEG ergab mittel- bis schwergradige Allgemeinveränderungen und es fielen zwei zusätzliche Herde auf. Sowohl EEG als auch die Ergebnisse der Bildgebung passen zu dieser Diagnose, erklärte Dr. Fieber.
Die PML ist eine schnell fortschreitende demyelinisierende Erkrankung des zentralen Nervensystems. Sie entsteht durch Reaktivierung einer latenten Infektion mit dem humanen Polyomavirus 2, auch JC*-Virus genannt. Die Durchseuchung in der Bevölkerung beträgt 50–80 %, die Primärinfektion erfolgt durch fäkal-orale Übertragung im Kinder- oder jungen Erwachsenenalter. Danach nistet sich das Virus in Nierenepithelien, Lymphorganen, Gehirn und im Knochenmark ein.
Verschiedene immunsupprimierende Faktoren fördern eine Reaktivierung des Virus. Dazu gehören AIDS und lymphoproliferative Erkrankungen, aber auch die Therapie mit Immunsuppressiva. Die ersten Fälle mit Rituximab wurden 2008 registriert. Derzeit beobachten Experten einen Anstieg der iatrogenen PML-Fälle aufgrund steigender Verordnungszahlen von Immunmodulatoren.
Immunsuppressiva als PML-Auslöser | |
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Indikation | Wirkstoffe (Auswahl) |
entzündlich-rheumatische Erkrankungen | Belimumab, Ciclosporin, Mycophenolat-Mofetil (MMF), Rituximab, Vedolizumab |
Hämatologie-Onkologie | Brentuximab-Vedotin, Ibrutinib, Obinutuzumab, Ofatumumab |
Z.n. Transplantation | Tacrolimus, Sirolimus, (MMF) |
Multiple Sklerose | Fingolimod und Natalizumab |
Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn | Vedolizumab |
Myelofibrose | Ruxolitinib |
Egal durch welchen Auslöser: Die Reaktivierung der verborgenen Viren kurbelt deren Replikation an. Wie die Erreger in das ZNS eintreten, ist noch unklar. Am Ende führt die lytische Infektion von Gliazellen und Nervenzellen zur Entwicklung der PML. Deren Leitsymptome sind
- fortschreitende Demenz, Wesensveränderung
- Mono- und Hemiparesen
- Ataxie, Sensibilitätsstörungen
- Sehstörungen, Sprach- und Sprechstörungen
- Kopfschmerzen, Schwindel, Sensibilitätsstörungen
Auch bei der genannten Patientin schritten die kognitiven Defizite innerhalb kürzester Zeit fort. Ihre Vigilanz verminderte sich und es stellten sich Myoklonien ein. Sie starb nur fünf Tage nach der diagnostisch wegweisenden Lumbalpunktion.
Sonderformen der PML
Bei der häufigsten Form der PML dominieren rasch fortschreitende Demenz und Wesensänderung, Herdzeichen, Mono- und Hemiparesen sowie Kopfschmerzen und Schwindel.
Es gibt aber auch Einzelfallberichte über Sonderformen:
- rein kortikale PML mit rasch fortschreitender Demenz und Aphasie, aber ohne andere neurologische Befunde. Der Pathologe findet post mortem oft diffuse kortikale Läsionen an der Grenze zur weißen Substanz,
- rein zerebelläre PML mit zerebellärer Atrophie und Herden ausschließlich in Kleinhirn und Hirnstamm,
- rein spinale PML,
- aseptische Meningitis und Hydrozephalus.
Insgesamt hat die PML eine schlechte Prognose. Als Rituximab-assoziierte Form ist ihre Mortalität am höchsten: Von zehn Patienten sterben neun innerhalb von zwei Monaten. Die therapeutischen Möglichkeiten sind bei der PML äußerst dürftig, erläuterte Dr. Fieber. Eine wirksame antivirale Therapie gibt es nicht, essenziell für das Überleben ist das zeitnahe Ende der Immunsuppression. Im Fall von Rituximab ist das aber schwierig, da die B-Zell-Depletion oft bis zu einem halben Jahr nach Absetzen anhält.
Bei einer PML durch den u.a. bei multipler Sklerose eingesetzten Antikörper Natalizumab werden neben dem Absetzen der auslösenden Medikation auch Plasmaaustausch und Immunadsorption diskutiert, ihr Nutzen ist allerdings umstritten. Tritt die PML im Rahmen einer HIV-bedingten Immunschwäche auf, kann eine CAR-T-Zell-Therapie erfolgreich sein. Einzelne Fallberichte lassen eine Wirkung von Mefloquin und Mirtazapin bei PML vermuten. Checkpoint-Inhibitoren könnten für Patienten ohne Immunsuppression und im Frühstadium der Erkrankung vielversprechend sein. Die bisher publizierten Fälle mit dem PD1-Blocker Pembrolizumab konnten jedoch in Summe noch keinen eindeutigen Nutzen belegen.
Neue Therapieansätze beruhen auf einer allogenen virusspezifischen T-Zell-Therapie. In Deutschland ist darin die Medizinische Hochschule Hannover führend. Weltweit gibt es dazu 29 publizierte Fälle. Bei 13 dieser Patienten besserten sich durch Gabe virusspezifischer T-Zellen die Symptome, bei sieben stabilisierte sich der Zustand, die übrigen neun Patienten starben aber trotz Therapie.
* JC sind die Initialen John Cunninghams, des Patienten, aus dem das Virus 1971 erstmals isoliert wurde
Kongressbericht: 129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin
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