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Treat-to-target bei alterndem Immunsystem

Gibt es Argumente dafür, Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen ab einem gewissen Alter nicht mehr nach der Regel „Treat-to-Target“ zu behandeln? Als erstes ins Feld geführt werden meist pekuniäre Gründe. In anderen Ländern ist dieser Einwand auch gerechtfertigt, bei uns in Deutschland ist das aber nicht der Fall, sagte Prof. Dr. Martin Aringer vom Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden, weshalb er diesen Punkt bei der Diskussion außen vor ließ.
Ein weiteres Argument für therapeutische Zurückhaltung sei die Annahme, entzündlich-rheumatische Krankheiten wären im Alter gutartiger. Doch die Fakten sagen etwas anderes: Die Late-onset-RA verläuft sogar eher aggressiver als die RA jüngerer Patienten, die Betroffenen haben höhere DAS28-Werte, eine schlechtere Funktion und kommen seltener in Remission, wie aktuelle Studien unterstreichen.
Alte RA-Patienten leiden also stark an ihrer Erkrankung. Doch sie profitieren auch stark von einer antirheumatischen Behandlung: Schlafstörungen werden deutlich gelindert, was einen großen Einfluss auf die Lebensqualität hat, betonte Prof. Aringer. Gemessen am SF36 bessern sich bei adäquater rheumatischer Therapie alle Parameter – von der physikalischen Funktionalität über den Schmerz bis zur mentalen Gesundheit.
Es bleibt aber die Sorge, dass man über einen T2T-Ansatz die älteren Patienten einem unkalkulierbaren oder inakzeptablen Risiko für unerwünschte Wirkungen aussetzt, fügte Prof. Aringer hinzu . „Das Ziel zu erreichen und dabei Katastrophen auszulösen, ist keine sinnvolle Variante“.
Doch offenbar ist dem nicht so, wie der Vergleich der Therapieabbruchraten von über und unter 65-Jährigen zeigt. Sowohl bei Methotrexat (MTX), als auch bei Sulfasalazin und Leflunomid gab es zwischen den beiden Gruppen keine fundamentalen Unterschiede. Es existieren auch Daten zu den Abbruchraten verschiedener gezielter Basistherapien bei über 65-jährigen RA-Patienten. Diesen zufolge sind unerwünschte Wirkungen weniger häufig ein Grund für das Absetzen einer Behandlung als die primäre und die sekundäre Ineffektivität. „Das sieht nicht so aus, als hätten wir im Alter dramatische Probleme“, betonte der Experte.
So schwächelt das alternde Immunsystem
Die Immunseneszenz im Alter verursacht eine erhöhte Infektanfälligkeit, schlechtere Impfantworten und eine verringerte Tumorabwehr. Hintergrund sind Veränderungen im adaptiven Immunsystem. Dabei sinkt nicht nur die Anzahl von T-Zellen, B-Zellen und dendritischen Zellen. T-Lymphozyten proliferieren zudem schlechter, weisen eine niedrigere Signaltransduktion auf und reagieren vermindert auf Antigene. B-Lymphozyten bilden weniger Immunglobuline (vor allem IgG) und haben häufig eine gestörte Rezeptorsignalübertragung. Bei dendritischen Zellen sinkt die Fähigkeit für die Bildung von Interleukin-12. NK-Zellen verlieren an Zytotoxizität und produzieren weniger Zytokine.
Komedikation erhöht Gefahr für MTX-Nebenwirkungen
Natürlich gibt es gefährliche unerwünschte Wirkungen, die vor allem bei Alten auftreten. Dazu gehört beispielsweise die MTX-Toxizität. Prof. Aringer erlebt in seiner Klinik etwa einen Fall im Jahr, bisher tatsächlich nur bei Patienten über 70 Jahren. Risikofaktoren für diese Nebenwirkung sind u.a. eine eingeschränkte GFR, aber auch die Komedikation mit Diuretika oder Protonenpumpenhemmern. Insgesamt fällt das Risiko der MTX-Toxizität aber sehr gering aus und sollte kein Grund für die Zurückhaltung bei der Therapie darstellen.
Glukokortikoide sind häufig die Antwort darauf, wenn man sich vor einer T2T-Therapie mit Biologika drückt, meinte Prof. Aringer. Doch unter Glukokortikoidgabe steigt das Infektionsrisiko wesentlich stärker an als durch die modernen Therapien. Glukokortikoide sind dem Experten zufolge im Alter nicht harmloser, sondern das Gegenteil und deshalb keine Alternative.
Die Abwägung von Nutzen und Risiken einer Therapie kann jedoch nicht ohne den Patienten getroffen werden. Denn diese bewerten die Situation vielleicht anders als der behandelnde Arzt. Beispielsweise kann eine Erhöhung des Risikos für schwere Infektionen um 4–8 % für den Patienten akzeptabel sein, wenn er dadurch eine deutliche Schmerzreduktion erfährt. Diese Größenordnung wird nach vorliegenden Daten nicht erreicht, schloss der Experte seine Ausführungen.
Es gibt zwei Faktoren, die die T2T-Strategie im Alter erheblich erschweren, fügte Prof. Dr. Elisabeth Märker-Herrmann, DKD Helios Klinik Wiesbaden, hinzu: die Immunseneszenz (siehe Kasten) und die altersbedingt steigende Zahl an Komorbiditäten. Entscheidend ist außerdem, ob es sich um eine immunmodulatorische (v. a. bei der RA) oder immunsuppressive (z. B. bei ANCA-Vaskulitis) Therapie handelt. Letztere ist aufgrund ihrer Toxizität häufig problematisch.
Welche Faktoren das Risiko für unerwünschte Wirkungen bei einer definierten T2T-Behandlung über 60-Jähriger mit Erstmanifestation einer RA beeinflussen, zeigt die japanische CRANE-Kohorte. Assoziiert mit schweren unerwünschten Ereignissen waren Glukokortikoidgabe sowie Lungenerkrankung, KHK oder Malignom zu Therapiebeginn. Aber auch ein Alter über 75 Jahre erhöhte das Risiko für schwere Nebenwirkungen. Steigerte man das MTX nach Protokoll (mittlere Dosis 9,9 mg/Woche), gab es innerhalb von drei Jahren bei 60 % der Patienten unerwünschte MTX-assoziierte Effekte. Immerhin blieben diese nach Absetzen nicht bestehen.
Biologika sind verträglicher, weil Niere und Leber nicht im Spiel sind, sagte Prof. Märker-Herrmann. In einer portugiesischen Studie war die Rate schwerer unerwünschter Wirkungen (vor allem Infektionen) bei älteren RA-Patienten unter Biologika dennoch erhöht. Sie betrug bei Patienten
- unter 65 Jahren 1,03/100 Personenjahre (PJ),
- im Alter zwischen 65 und 74 Jahren 1,94/100 PJ und
- bei über 75-Jährigen 4,29/100 PJ.
JAK-Inhibitoren scheinen das Infektionsrisiko im Alter ebenfalls zu steigern.
Prof. Märker-Herrmann fasste zusammen: Bei der immunmodulierenden Therapie von RA-Patienten über 65 Jahren sollte man sich auf jeden Fall an der Remission orientieren. Allerdings müssen dabei Komorbiditäten kritisch gewürdigt werden. Steroide sollten man so weit wie möglich reduzieren, zu erwägen ist eine Dosisreduktion von MTX. Auch. JAK-Inhibitoren setzt man bei diesen Patienten am besten nur nach kritischer Abwägung und in reduzierter Dosierung ein. TNF-Blocker und IL6-Inhibitoren sind weniger riskant, was Niere und Herz betrifft. Immer zu beachten ist das Infektionsrisiko.
Das Alter ist bei ANCA ein wichtiger Prognosefaktor
Als Beispiel für die Behandlung mit Immunsuppressiva führte Prof. Märker-Herrmann die ANCA-assoziierte Vaskulitis an. Diese tritt gehäuft im Alter auf. Wichtigster Prognosefaktor hinsichtlich des Überlebens sind das Alter, das maximale Kreatinin bei Beginn der Erkrankung und das Vorliegen von PR3-Antikörpern.
Ob man die immunsuppressiv bedingte Toxizität der Induktionstherapie (Glukokortikoide und Cyclophosphamid) reduzieren kann, wurde an 104 Patienten über 65 Jahren geprüft. Alle litten an einer systemischen nekrotisierenden Vaskulitis. Die eine Gruppe erhielt die Standardtherapie, die andere eine Behandlung mit deutlich reduzierten Glukokortikoid- und Cyclophosphamiddosen. Bei gleichem klinischem Outcome gab es unter der reduzierten Dosis signifikant weniger schwere unerwünschte Nebenwirkungen, berichtete die Expertin.
Was ist T2T?
Bei der Treat-to-Target-Behandlung spielen drei Faktoren eine Rolle:
- definiertes Behandlungsziel (Remission oder niedrige Krankheitsaktivität)
- engmaschige Kontrollen, um dieses Ziel zu erreichen
- Strategie folgt einem Protokoll.
PJP-Prophylaxe mit Cotrimoxazol nicht vergessen
Für sie ist deshalb klar: Die initiale Therapie der ANCA-Vaskulitis bei über 65-Jährigen sollte mit einer reduzierten Cyclophosphamiddosis erfolgen (i.v.-Pulstherapie fix dosiert mit 500 mg statt 500 mg/m2). Rituximab kann ebenfalls reduziert werden. Nicht zu vergessen dabei ist die konsequente PJP-Prophylaxe mit Cotrimoxazol.
Insgesamt steht auch Prof. Märker-Herrmann der T2T-Strategie im Alter positiv gegenüber. Allerdings schlägt sie eine Modifikation vor:
- Das Behandlungsziel immer unter Berücksichtigung der Komorbiditäten formulieren.
- Die engmaschigen Kontrollen nicht nur dafür nutzen, dass das Ziel erreicht wird. Sondern insbesondere ein Augenmerk auf unerwünschte Nebenwirkungen haben und diese frühzeitig erkennen.
- Das Behandlungsziel unter besonderem Hinweis auf unerwünschte Wirkungen vereinbaren.
- Bei der Therapie den älteren, immunoseneszenten und komorbiden Menschen individuell berücksichtigen und weniger streng dem Protokoll folgen.
Prof. Aringer tat sich schwer mit dem Punkt, das Behandlungsziel an die Komorbiditäten anzupassen. Er plädierte dafür, nicht das Ziel, sondern den Weg dorthin zu variieren. Seine Frage an seine Kollegin: Würde sie bei einem Patienten, der Komorbiditäten aufweist, mit einem moderaten Ansprechen zufrieden sein? „Das Ziel einer Remission, also einer Funktionalität und einer Schmerzfreiheit, ist bei sehr alten Patienten generell schwierig zu erreichen“, begann Prof. Märker-Herrmann ihre Antwort. Der HAQ wird bei Menschen mit Arthrose und schweren Rückenschmerzen nie in einem guten Bereich landen. Jemandem daher Beschwerdefreiheit als Therapieziel anzubieten, sei im Alter fast nicht möglich. Sie blieb dabei, dass es durchaus Sinn macht, das Ziel bei alten Patienten anzupassen.
Quelle: Kongressbericht 130. Kongress der DGIM
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