Über 30 Medikamente: Welcher Patient soll das denn aushalten?

Dr. Sascha Bock, Foto: Dr. Olaf Krause

Manch älterer Patient wird mit Tabletten regelrecht zugeschüttet. Manch älterer Patient wird mit Tabletten regelrecht zugeschüttet. © Pixabay

Manch älterer Patient wird mit Tabletten regelrecht zugeschüttet. Da kann es sich lohnen, mit dem Rotstift an die Medikamentenliste zu gehen. Aber ausgerechnet bei Herz-Kreislauf-Präparaten?

In Deutschland nimmt jeder dritte über 65-Jährige fünf oder mehr verschiedene Wirkstoffe ein. In Pflegeheimen liegt der Polypharmazie-Anteil sogar bei 70 %, informierte Dr. Olaf Krause von der Medizinischen Hochschule Hannover.

Ginge es nach aktuellen Studien, müsste man bei einigen Hypertonie-Patienten sogar noch das ein oder andere Präparat mehr verordnen. Doch macht dies auch Sinn? Zwar gelang es in der HYVET*-Studie, den Blutdruck von über 80-Jährigen im Mittel um 15/6 mmHg zu senken und damit auch kardiovaskuläre Ereignisse zu reduzieren. Die Number needed to treat (NNT) lag aber bei 94. "Das heißt, 93 Patienten leiden eventuell unnötigerweise unter Nebenwirkungen der Therapie", so Dr. Krause. Dass es nicht schaden kann, die Dauermedikation zu überdenken, zeigen vier Beispiele aus der Klinik.

Die verwirrte 87-jährige Patientin wurde vom Rettungsdienst mit dem Verdacht "intrakranielle Sickerblutung unter Phenprocoumon DD Meningitis" in die Notaufnahme gebracht. Seit einer Woche klagte die Frau über Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen sowie Sehstörungen. Auch optische, szenische Halluzinationen waren aufgetreten. Der Blutdruck lag bei 115/65 mmHg, der Barthel-Index zum Zeitpunkt der Aufnahme bei 55/100 Punkten.

Schließlich entlarvte die Labor­analyse eine schwere Hyponatriämie von 113 mmol/l als Ursache. Unter den Arzneien fand sich ein Kombinationspräparat mit Hydro­chlorothiazid (HCT). "Auch wenn HCT ein gutes Blutdruckmedikament ist, sehen wir diese Nebenwirkung bei Älteren sehr häufig", so die Erfahrung des Kollegen.

Der Natriumspiegel dieser Patientin war mit 119 mmol/l ebenfalls weit weg vom Normbereich. Die Frau litt unter starkem Schwindel und wurde Dr. Krause nach der Versorgung eines Beckenbruchs zugewiesen. Im Arztbrief der unfall­chirurgischen Kollegen stand erneut das für Senioren kritische Thiaziddiuretikum.

Die Elektrolytentgleisung tritt vor allem bei älteren Frauen mit niedrigem Körpergewicht auf. "Sobald es unter HCT einmal zu einer Hyponatriämie gekommen ist, sollten Sie es auf keinen Fall wieder einsetzen", appellierte der Referent. Das Gleiche gelte auch für verwandte Diuretika wie Xipamid.

Hypertensive Entgleisung – hieß es bei der älteren schlanken Dame, die wegen Schwindels aufgenommen wurde. Dabei nahm sie bereits folgende Vierfachkombination ein: Ramipril 5 mg (1-0-1), Clonidin 0,3 mg (1-0-1), Doxazosin 8 mg (1-0-0), Amlodipin 5 mg (1-0-1).

Immer wieder fühlte sich die Frau sehr schwindelig, besonders beim Aufstehen. Die 24-Stunden-Blutdruckmessung ergab ein systolisches Maximum von 167 mmHg. Viel mehr fiel allerdings der minimale diastolische Wert von 37 mmHg ins Auge. Ein Schellong-Test bestätigte die gestörte Orthostase-Reaktion. Gerade bei Senioren muss man unbedingt auch an die Orthostase denken, erinnerte Dr. Krause.

Bei seiner Patientin orientierte sich der Kollege an der PRISCUS-Liste** potenziell inadäquater Medikation für ältere Menschen und verzichtete fortan auf Clonidin und Doxazosin. Mit nur noch zwei Präparaten und stabilem Blutdruck wurde die Frau entlassen.

Der Anteil an Patienten, die nach dem Absetzen im Normbereich bleiben, schwankt jedoch zwischen 20 % und 85 %, gab Dr. Krause zu bedenken. Gute Chancen bestehen vor allem bei schlanken Damen und Herren, die unter der aktuellen Therapie niedrig normale Blutdruckwerte haben.

Bei der vierten vorgestellten Patientin, einer überwiegend bettlägerigen 89-Jährigen, bestand eine Herzinsuffizienz mit Z.n. schwerer Dekompensation vor einem Jahr. Aufgenommen wurde die Frau wegen einer Exsikkose. An Medikamenten nahm sie u.a. Ramipril, Valsartan, Metoprolol, Furosemid, Spironolacton und Digoxin.

Wie gingen die Kollegen in diesem Fall nun vor? Für ältere Herzinsuffiziente gibt es ein paar einfache Tipps hinsichtlich der Pharmakotherapie, erinnerte der Referent. Ganz pragmatisch beendeten die behandelnden Ärzte die Kombination aus ACE-Hemmer und Sartan, die Dosierungen von Spironolacton. Digoxin und Furosemid wurden reduziert.


* Hypertension in the Very Elderly Trial
**http://priscus.net/download/PRISCUS- Liste_PRISCUS-TP3_2011.pdf



Quelle: 122. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin

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Manch älterer Patient wird mit Tabletten regelrecht zugeschüttet. Manch älterer Patient wird mit Tabletten regelrecht zugeschüttet. © Pixabay