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Vor- und Nachteile der Therapie sind am Lebensende kritisch abzuwägen

Mehr als jeder zweite Mensch, der am Ende seines Lebens steht, erhält Antibiotika. Angesichts der Tatsache, dass die Häufigkeit von Infektionen in dieser Phase zunimmt, erscheint dies sinnvoll. Doch nicht selten werden nicht-infektiöse Entzündungszustände als Infektion fehlgedeutet (s. unten). Zu den Gründen, aus denen Antibiotika im palliativen Setting eingesetzt werden, zählt die Hoffnung auf eine verbesserte Symptomkontrolle und eine verlängerte Lebensdauer.
Selektion resistenter Erreger vermeiden
Dieser Nutzen ist allerdings bislang nicht hinreichend belegt. Demgegenüber stehen mögliche Nebenwirkungen, die die Lebensqualität der Betroffenen einschränken können, sowie die Begünstigung von Pilz- oder Clostridioides-difficile-Infektionen. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die Selektion resistenter Erreger durch den Einsatz von Antibiotika gefördert wird.
Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe hat sich im Rahmen des Antibiotic-Stewardship-Programms am Kantonsspital St. Gallen eingehend mit dem Thema Infektionen am Lebensende auseinandergesetzt. Die dabei gewonnen Erkenntnisse sind in einen Leitfaden zum rationalen Einsatz von Antibiotika bei Patientinnen und Patienten am Lebensende eingeflossen, den ein Team um Dr. Susanne Rüfenacht erstellt hat.
In dem Leitfaden empfehlen die Mitwirkenden, das Therapieziel frühzeitig und individuell zu setzen, um unnötige oder im Gesamtkontext nicht sinnvolle Antibiotikatherapien zu vermeiden. Sie regen an, mit den Patientinnen und Patienten im Sinne eines Shared Decision Making zu besprechen, wie bei wiederkehrenden Infektionen vorgegangen werden soll. Außerdem halten sie es für unabdingbar, bei jeder Therapiezielsetzung die Hausärztin oder den Hausarzt einzubeziehen.
Das Autorenteam des Leitfadens beklagt, dass bei Fieber- und Entzündungszuständen, die durch die Grunderkrankung oder eine Therapie (z. B. Tumorfieber, drug fever) bedingt sind, häufig unnötigerweise Antibiotika gegeben werden. Falls eine Infektionsdiagnostik und -therapie noch gewünscht wird, kann es deshalb sinnvoll sein, das Behandlungskonzept interdisziplinär festzulegen. Dafür bietet sich eine Zusammenarbeit an zwischen der fachspezifischen Disziplin, in der die Grunderkrankung angesiedelt ist, der Palliativmedizin, der Infektiologie und gegebenenfalls der Chirurgie.
Zu den klinischen Anzeichen für eine Infektion zählen u. a.:
- instabile hämodynamische und/oder respiratorische Situation
- febrile bis hochfebrile Temperatur
- Auftreten einer neuen Symptomatik
- akute bzw. rasche Verschlechterung
- Ansprechen auf die probatorische Gabe von Antibiotika binnen 72 h
Laborergebnisse wie eine Neutropenie, Hinweise auf Toxizität im Blutbild oder eine Zunahme des C-reaktiven Proteins lassen eine Infektion vermuten.
Gegen eine Infektion spricht unter anderem eine Eosinophilie als Hinweis auf eine Arzneimittelreaktion. Bei Tumorpatientinnen und -patienten deutet der Nachweis von malignen Zellen im Aszites oder Pleuraerguss eher auf einen Tumorprogress als auf eine Infektion hin. Weiterhin sprechen im Falle eines malignen Aszites oder Pleuraergusses eine Leukozytenzahl von unter 1.500/μl und ein Granulozytenanteil von unter 70 % eher gegen ein infektiöses Geschehen.
Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie ist zunächst die Sanierung des Infektionsherds, beispielsweise mittels Drainage oder Ausräumung von Abszessformationen. Wenn dies nicht möglich oder gewünscht ist, kann eine antibiotische Suppressionstherapie in Betracht gezogen werden. Diese Form der Therapie dient unter anderem dazu, den Betroffenen das Erreichen eines konkreten Lebensziels zu ermöglichen (z. B. Reise, Abschiednehmen). Auch einer Versserung ihrer Lebensqualität kann dadurch erreicht werden (z. B. Metronidazol bei unangenehm riechenden Wunden).
Antibiotische Prophylaxe bei rezidivierenden Infektionen
Auch eine antibiotische Prophylaxe kann bei Patientinnen und Patienten in der Palliativsituation unter Umständen sinnvoll sein. Indikationen hierfür sind beispielsweise rezidivierende Infektionen infolge von Tumorobstruktion oder -kompression oder wiederholte Krankenhausaufenthalte aufgrund von Harnwegsinfekten.
Quelle: Rüfenacht S et al. Swiss Med Forum 2024; 24: 394-398; DOI: 10.4414/smf.2024.1546853744
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