Warum verlor eine Frau nach dem Essen plötzlich das Bewusstsein?

Dr. Angelika Bischoff

Die Frau berichtete, dass es in den vergangenen zwei Wochen zu ähnlichen, aber leichteren Symptomen gekommen war. (Agenturfoto) Die Frau berichtete, dass es in den vergangenen zwei Wochen zu ähnlichen, aber leichteren Symptomen gekommen war. (Agenturfoto) © triocean- stock.adobe.com

Herzklopfen, Schweißausbrüche, schließlich eine Synkope: Ähnliche, aber leichtere Symptome hatte eine Seniorin schon vorher erlebt – immer nach dem Essen. Bei der Suche nach der Ursache geraten die Ärzte zunächst auf die falsche Fährte.

Etwa 45 Minuten nach dem Abendessen ging der Spuk los: Erst fing eine 85-Jährige an zu schwitzen, ihr Herz klopfte, dann wurde sie bewusstlos. Als der Notarzt eintraf, hatte die Patientin das volle Bewusstsein noch nicht wiedererlangt, reagierte aber auf Schmerzreize. Blutdruck, Herzfrequenz, EKG, Körpertemperatur und Atemfrequenz waren unauffällig. Doch der Blutglukosespiegel betrug nur 40 mg/dl. Nach intravenöser Infusion von 100 ml Glukose kam die Frau schnell wieder zu sich, berichten Dr. Gertrud Haverkamp und Kollegen vom Medizinischem Zentrum der Universität Amsterdam.

Im Krankenhaus war die Patientin voll orientiert. Vitalparameter sowie klinische und laborchemische Befunde bewegten sich im Normbereich. Die Frau berichtete, dass es in den vergangenen zwei Wochen zu ähnlichen, aber leichteren Symptomen gekommen war. Außerdem habe sie in den letzten Monaten 2–3 kg an Gewicht verloren. Daneben ergab die Anamnese nur eine Hypertonie, die mit Triamteren und Hydrochlorothiazid behandelt wurde. Ein Diabetes bestand nicht.

Plötzlich bewusstlos – was kann es sein?

Ein plötzlicher Bewusstseinsverlust kann durch eine Synkope hervorgerufen sein – orthostatisch, reflexbedingt, durch eine kardiale Arrhythmie oder strukturelle kardiopulmonale Erkrankung. Infrage kommen auch  nichtsynkopale Ursachen wie Krampfanfall, Intoxikation, metabolische Störungen wie Hypoglykämie sowie psychiatrische Ursachen.

Kein Hinweis auf hepatische oder renale Ursachen

Woher kam dann die Hypoglykämie? Da Hinweise auf hepatische oder renale Ursachen fehlten, kamen bei der weitgehend gesunden Frau als wahrscheinlichste Ursachen eine hypoglycaemia factitia oder ein endogener Hyperinsulinismus in Betracht.

Letzterer wird am häufigsten durch ein Insulinom hervorgerufen. Differenzialdiagnostisch ist allerdings auch an eine autoimmune Hypoglykämie durch Antikörper gegen endogenes Insulin oder Insulinrezeptoren zu denken. Einen Hypocortisolismus konnten die Kollegen mithilfe eines Corticotropin-Stimulationstests ausschließen.

Innerhalb von wenigen Stunden nach Krankenhausaufnahme ging der Blutzucker der Patientin trotz normaler Nahrungsaufnahme erneut in den Keller. Sie schwitzte und fühlte sich extrem schwach, blieb aber bei Bewusstsein. Sie erhielt wieder Glukoseinfusionen, erst zur Korrektur und dann kontinuierlich. Trotzdem traten erneut Hypoglyk­ämien auf.Um zu klären, ob dies auf einer endogenen Insulinüberproduktion oder einer exogenen Zufuhr beruhte, bestimmte man während einer nächsten Hypoglykämie-Episode den Insulin- und C-Peptidspiegel. Beide waren bei einer Glukosekonzentration von 16,2 mg/dl massiv erhöht (182 µU/ml bzw. 2,0 ng/ml), was auf eine endogene Insulinquelle hinweist.

Nun gingen die Kollegen auf Insulinomsuche. Eine pankreatische Raumforderung fand sich in verschiedenen bildgebenden Untersuchungen nicht. Da Insulinome oft sehr klein sind, planten sie ein molekulares Imaging mittels 18F-DOPA-PET, welches auch kleinste Insulinome aufspüren kann. Bevor die Untersuchung durchgeführt wurde, erreichte sie der Laborbefund: Der Insulin-Autoantikörper-Titer lag sehr hoch. Damit war die Diagnose eines Insulin-Autoimmunsyndroms gesichert.

So kommt es beim Insulin-Autoimmunsyndrom zur Hypoglykämie

Antikörper gegen Insulin machen endogenes Insulin, das in Antwort auf eine Mahlzeit ausgeschüttet wird, zunächst ineffektiv. Die resultierende Hyperglykämie stimuliert die weitere Insulinfreisetzung, sodass sich eine Hyperinsulinämie entwickelt. Doch irgendwann erschöpft sich die Bindungskapazität der Autoantikörper. Außerdem dissoziieren gebundene Autoantikörper in unregulierter Art wieder von den Insulinmolekülen, da sie zwar eine hohe Bindungskapazität, aber eine niedrige Affinität für Insulin aufweisen. So kommt es zu spontanen Hypoglykämien, meist post­prandial. Bei 60–80 % der Patienten remittiert das Insulin-Autoimmunsyndrom spontan oder nach einer Therapie,  die unter anderem eine Umstellung der Ernährung auf häufige kleinere Mahlzeiten am Tag umfasst.

Die Patientin erhielt subkutane Injektionen von Octreotid, um die Insulinproduktion zu hemmen. Einem hohen postprandialen Blutzucker begegnete man durch die Umstellung auf zahlreiche kleine Mahlzeiten mit niedrigem Kohlenhydratgehalt. Um den Antikörpertiter zu senken, begann man eine Therapie mit 60 mg Prednison täglich. In den folgenden Wochen wurden die Glukoseinfusionen und die Glukokortikoide ausgeschlichen. Die begonnene Diät behielt die Patientin bei. Ein Jahr nach Diagnose waren keine schweren Hypoglykämien mehr aufgetreten. Die wiederholt gemessenen Antikörpertiter blieben jedoch weiterhin stark positiv.

Verschiedene Symptome passten nicht zum Insulinom

Das Insulin-Autoimmunsyndrom wird oft als Insulinom fehldiagnostiziert, was unnötige invasive diagnostische Prozeduren nach sich ziehen kann. Auch bei dieser Patientin dachte man zunächst an ein Insulinom, obwohl einiges dagegen sprach: der Gewichtsverlust, das postprandiale Auftreten der Symptome, die extrem hohe Insulinkonzentration.

Nicht beachtet worden war bei der Evaluation auch die Insulin/C-Peptid-Ratio von 1,6. Normalerweise liegt sie unter 1. Doch beim Insulin-Autoimmunsyndrom wird die Halbwertszeit von Insulin durch Bindung der Antikörper verlängert. Hätte man auf diese erhöhte Ratio geachtet, wären der Frau einige bildgebende Untersuchungen zur Insulinom-Suche erspart geblieben. Nur in einer einzigen anderen Situation kann die Ratio auch über 1 liegen: bei einer Hypoglykämie durch externe Insulinzufuhr. Das konnte jedoch sicher ausgeschlossen werden.

Quelle: Haverkamp GLG et al. N Engl J Med 2022; 386: 2130-2136;  DOI: 10.1056/NEJMcps2106883

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Die Frau berichtete, dass es in den vergangenen zwei Wochen zu ähnlichen, aber leichteren Symptomen gekommen war. (Agenturfoto) Die Frau berichtete, dass es in den vergangenen zwei Wochen zu ähnlichen, aber leichteren Symptomen gekommen war. (Agenturfoto) © triocean- stock.adobe.com