
Weder RDS noch Crohn oder Colitis

Ein 29-Jähriger hatte bereits seit drei Monaten immer wieder kolikartige Bauchschmerzen, als er sich seinem Hausarzt vorstellte. Mal habe er Durchfall, mal Obstipation, und die Stuhlfrequenz liege mittlerweile bei drei bis vier Mal täglich, berichtete er. Die Beschwerden traten unabhängig von den Mahlzeiten auf, seine Ernährungsgewohnheiten hatte er nicht verändert. Er nahm keine regelmäßige Medikation ein, war nicht im Ausland gewesen und hatte eine unauffällige Familienanamnese hinsichtlich Magen-Darm-Erkrankungen. Der junge Mann lebte in einer homosexuellen Beziehung.
Anamnese und körperliche Untersuchung blieben leer, der Patient wies einen guten Ernährungs- und Allgemeinzustand auf. Darmgeräusche und abdomineller Palpationsbefund waren ebenso unauffällig wie die digital-rektale Untersuchung. Auch das Labor brachte keinen zielführenden Hinweis: Das Differenzialblutbild zeigte einen Normalbefund, die serologische Abklärung auf Zöliakie ergab keine wegweisenden Autoantikörper, der kürzlich durchgeführte HIV-Test war negativ. Das Calprotectin im Stuhl war nicht erhöht, die umfangreiche stuhlbakteriologische Untersuchung blieb ebenso ergebnislos wie die parasitologischen Tests.
Da die Bauchbeschwerden den Mann erheblich belasteten, entschied er sich nach ausführlicher Beratung für eine Darmspiegelung. Die immunhistochemische Untersuchung der entnommenen Bioptate brachte einen überraschenden Befund ans Licht: Das Kolonepithel des Patienten war von Spirochäten besiedelt. Nachdem die Diagnose intestinale Spirochätose feststand, behandelten die Kollegen den Mann mit Metronidazol 500 mg viermal täglich über einen Zeitraum von zehn Tagen. Bereits kurz nach Ende der antibiotischen Therapie war der Patient komplett und anhaltend beschwerdefrei.
Gefährlich oder harmlos?
Die Bedeutung von Spirochäten der Gattung Brachyspira wird in der Literatur kontrovers diskutiert: Mal gelten sie als kommensale, mal als opportunistische und mal als pathogene Keime. Offenbar können sie zwar potenziell eine intestinale Spirochätose mit Bauchschmerzen, Durchfall, rektalen Blutungen und anderen Beschwerden auslösen, man findet sie aber auch in Biopsien asymptomatischer Personen. Dies spricht dafür, dass Spirochäten wie B. aalborgi und B. pilosicoli zumindest bei manchen Menschen pathogen wirken.
Spirochäten sind spiralig bzw. korkenzieherartig gekrümmte Bakterien, die in drei Familien unterteilt werden: Spirochaetaceae (z.B. Borrelia und Treponema), Leptospiraceae und Brachyspiraceae. Auslöser der intestinalen Spirochätose sind Vertreter der beiden Gattungen Brachyspira aalborgi und Brachyspira pilosicoli, die den Brachyspiraceae zählen, schreiben Dr. Michael Boch aus Luzern und Kollegen. Sie werden im Darmtrakt von Säugetieren und Vögeln gefunden. Brachyspira kommen auch beim Menschen vor, insbesondere in weniger entwickelten Ländern. Die Keime werden überwiegend fäkal-oral übertragen. Vor dem Hintergrund, dass die Brachyspira-Prävalenz bei homosexuellen Männern im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung um ein Vielfaches erhöht ist, wird auch eine sexuelle Übertragung diskutiert.
Bei symptomatischen Personen mit nachgewiesener intestinaler Spirochätose ist eine Behandlung mit Metronidazol empfehlenswert. Eine einheitliche Dosierungsempfehlung gibt es derzeit nicht. Empfohlen werden zwischen 500 und 2.000 mg/d über 10 bis 14 Tage.
Nun stellt sich die Frage, ob eine derart umfangreiche Diagnostik einschließlich Koloskopie bei einem ansonsten gesunden jungen Mann nicht ein bisschen übertrieben war? Man hätte bei den geschilderten Beschwerden auch an ein Reizdarmsyndrom (RDS) denken und ihn zunächst beobachten können, räumen die Autoren ein. Allerdings finden sich bei etwa 5 % der vermeintlichen RDS-Patienten im weiteren Verlauf durchaus organisch bedingte Erkrankungen. Je nach Symptom- und Risikokonstellation kann daher im Einzelfall eine aufwendigere Diagnostik inklusive Darmspiegelung gerechtfertigt sein. Da bei dem jungen Mann nach Spirochätennachweis und Metronidazolgabe die Beschwerden komplett verschwanden, dürften die Schweizer Kollegen mit ihrer Entscheidung für eine ausführliche Diagnostik und Therapie richtig gelegen haben.
Quelle: Boch M et al. Swiss Med Forum 2022; 22: 546-548; DOI: 10.4414/smf.2022.08983
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