Wenn’s nicht Migräne ist

Dr. Melanie Söchtig

Aus der Beschreibung der Phänotypen in der ICHD-3 wird deutlich, dass der Kopfschmerz vom Spannungstyp gewissermaßen den Gegenentwurf zur Migräne darstellt. Aus der Beschreibung der Phänotypen in der ICHD-3 wird deutlich, dass der Kopfschmerz vom Spannungstyp gewissermaßen den Gegenentwurf zur Migräne darstellt. © Artem Furman ‒ stock.adobe.com

Im Schatten der anderen, „wichtigeren“ Schmerzerkrankungen finden Kopfschmerzen vom Spannungstyp oft nur wenig Beachtung. Doch es handelt sich um ernsthafte Erkrankungen, die bei nicht wenigen der Betroffenen lebensbestimmend sind. 

Kopfschmerzen vom Spannungstyp sind häufig: Schätzungsweise acht von zehn Menschen in Europa haben zumindest einmal im Jahr mit ihnen zu tun. Frauen und Männer sind – anders als bei Migräne – fast gleich häufig betroffen.

Bei der Frage, wie stark die Erkrankung das Leben der Betroffenen beeinträchtigt, ist vor allem die Häufigkeit der Kopfschmerzen entscheidend, schreiben Dr. ­Axel ­Heinze und Kollegen vom Schmerzzentrum ­Kiel in einer Übersichtsarbeit. So trennt das ­ICHD-3* den chronischen vom episodischen Spannungskopfschmerz, je nachdem, ob die Beschwerden an weniger als 15 Tagen pro Monat auftreten oder aber öfter. Die episodische Verlaufsform wiederum wird bei Beschwerden an durchschnittlich weniger als 1 Tag im Monat als selten auftretend klassifiziert, bei Beschwerden an 1–14 Tagen als häufig. 

Neben der Häufigkeit der Schmerzphasen müssen gemäß ­ICHD-3 für die Diagnose episodischer oder chronischer Kopfschmerz vom Spannungstyp die folgenden Kriterien erfüllt sein: 

  • Kopfschmerzdauer zwischen 30 Minuten und 7 Tagen (episodische Verlaufsform) bzw. Stunden bis Tage oder kontinuierlich (chronische Form)
  • mindestens zwei der folgenden Charakteristika liegen vor: beidseitige Lokalisation, Schmerzcharakter drückend oder beengend, nicht pulsierend, leichte bis mittelstarke Schmerz­intensität, keine Verstärkung der Beschwerden durch Routineaktivitäten (Gehen, Treppensteigen etc.)
  • keine Übelkeit und kein Erbrechen (episodisch) bzw. allenfalls leichte Übelkeit (ohne Erbrechen) oder Photophobie oder Phonophobie (chronisch)

Aus der Beschreibung der Phänotypen in der ICHD-3 wird deutlich, dass der Kopfschmerz vom Spannungstyp gewissermaßen den Gegenentwurf zur Migräne darstellt, erläutern die Autoren. Das heißt, dass bei den Kriterien für Spannungskopfschmerz zum Teil die Abwesenheit typischer Migränezeichen gewählt wurde. Das erlaubt in der Regel die trennscharfe Abgrenzung einer Migräneattacke vom episodischen Kopfschmerz.

Für die Akuttherapie beim episodischen Kopfschmerz vom Spannungstyp eignen sich Ibuprofen, Paracetamol und Acetylsalicylsäure (ASS). Die ­Number ­needed to ­treat (NNT) für Schmerzfreiheit nach zwei Stunden liegt für Ibuprofen (400 mg) bei 14, für Paracetamol (1.000 mg) bei 22, was den Nutzen der Substanzen relativiert. Für ASS liegen nicht genügend Daten vor, um die NNT überhaupt bestimmen zu können.

Um einen Übergebrauch der Schmerzmittel zu verhindern, sollten nach ­ICHD-3 Monoanalgetika möglichst nicht an mehr als 14 Tagen im Monat zum Einsatz kommen. Nimmt der Patient daneben oder stattdessen Mischanalgetika, sinkt die erlaubte Einnahmehäufigkeit auf 9 Tage.

Vor diesem Hintergrund stellt die Anwendung von 10%igem Pfefferminzöl, das im Bereich der schmerzenden Kopfpartien wiederholt auf die Haut gebracht wird, eine sinnvolle Alternative dar. In Studien erwies sich diese Behandlung beim episodischen Spannungskopfschmerz gegenüber Placebo als überlegen und dem Paracetamol und ASS als ebenbürtig. Übergebrauchskopfschmerzen traten nicht auf.

Bei der medikamentösen Prophylaxe ist ­Amitriptylin das Mittel der ersten Wahl. Es sollte langsam aufdosiert werden, um den Patienten an möglicherweise auftretende Nebenwirkungen wie Müdigkeit und Mundtrockenheit zu gewöhnen. Die empfohlene Zieldosis ist 50–150 mg, einzunehmen am Abend. 

Erweist sich Amitriptylin aufgrund seiner anticholinergen Nebenwirkungen als problematisch, kann man zu ­Mirtazapin (15–30 mg) greifen. Patienten mit behandlungsbedürftiger Depression können von selektiven Serotonin-Wiederaufnahme­hemmern (SSRI) oder Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SSNRI) profitieren. Bei ausgeprägter muskulärer Problematik in Form einer erhöhten peri­kranialen Schmerzempfindlichkeit lohnt oft ein Behandlungsversuch mit ­Tizanidin (2–12 mg).

Zur Prophylaxe bieten sich darüber hinaus verschiedene nicht-medikamentöse Verfahren an. Als wirksam haben sich unter anderem die folgenden Interventionen erwiesen:

  • manuelle Therapie
  • Akupunktur
  • Triggerpunktbehandlung
  • Bindegewebstechniken
  • physiotherapeutische Kombinationsbehandlungen (u.a. Massage, Wärme, Dehnung, Haltungskorrektur)

Außerdem wird Biofeedback bei Kopfschmerzen vom Spannungstyp empfohlen. Verfügbarkeit und Kostenerstattung standen dem breiten Einsatz dieser Methode in der Praxis bislang im Weg. Inzwischen konnte das Verfahren nicht nur technisch verbessert werden, es stehen mittlerweile auch preisgünstige Biofeedbacksensoren zur Verfügung, die an ein Smartphone angeschlossen und vom Patienten selbst über eine App gesteuert werden können.

* International Classification of Headache Disorders, 3. Auflage

Quelle: Heinze A et al. Schmerzmedizin 2022; 38: 46-53;  DOI: 10.1007/s00940-022-4035-7

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Aus der Beschreibung der Phänotypen in der ICHD-3 wird deutlich, dass der Kopfschmerz vom Spannungstyp gewissermaßen den Gegenentwurf zur Migräne darstellt. Aus der Beschreibung der Phänotypen in der ICHD-3 wird deutlich, dass der Kopfschmerz vom Spannungstyp gewissermaßen den Gegenentwurf zur Migräne darstellt. © Artem Furman ‒ stock.adobe.com