
Wie der Kopf sich dreht

Schwindel gehört zu den Top Ten der Gründe für eine Vorstellung in der Hausarztpraxis, sagte Prof. Dr. Ertunc Altiok, Uniklinik RWTH Aachen. Die S3-Leitlinie definiert Schwindel als eine „Unsicherheit im Raum“, die auf verschiedene Organsysteme oder auch die Psyche zurückgehen kann. Die wesentliche Ersteinschätzung erfolgt durch die Anamnese, die Frage nach bestehender Medikation und eine körperliche Untersuchung.
Aufschlussreich sind die genaue Art und Dauer der Symptome. So ist ein Drehschwindel oft vestibulär (mit) verursacht. Eine Gangunsicherheit „bei klarem Kopf“ dagegen deutet z.B. auf eine Polyneuropathie hin, möglich ist aber auch eine bilaterale Vestibulopathie. Letztere kann auch einen Schwankschwindel verursachen, den die Patienten oft als „wie auf einem Boot“ beschreiben. Ein Minuten bis Stunden andauernder Schwankschwindel kann auf eine transitorische ischämische Attacke, eine vestibuläre Migräne oder eine Hypoglykämie zurückgehen. Auch die Anpassung an eine neue (Gleitsicht-)Brille kann diese Art Schwindel hervorrufen. Bei länger anhaltendem Schwankschwindel und zusätzlichen neurologischen oder vegetativen Symptomen ist an einen Infarkt oder eine Blutung im Bereich von Hirnstamm oder Kleinhirn zu denken, so Prof. Altiok.
Kurzfristige Gefühle von Benommenheit und drohender Ohnmacht können u.a. auf Rhythmusstörungen und obstruktive kardiale Erkrankungen hindeuten. Ging der Schwindel mit einem Sturz einher, ist die Ursachenforschung ohne Augenzeugen oft schwierig. Die Patienten weisen häufig eine Amnesie für diese Ereignisse auf und geben etwa an, über etwas gestolpert zu sein, auch wenn dies nicht der Fall war. Bei etwa 30 % der Älteren, die aus ungeklärter Ursache hingefallen sind, ist Prof. Altiok zufolge eine (Prä-)Synkope die Ursache. „Unklare Stürze sollte man daher zunächst immer als Synkopen behandeln“, riet er.
Zu den Medikamenten, die Schwindel auslösen können, gehören Antihypertensiva (bei Überdosierung), sedierend wirkende Antidepressiva und Antipsychotika sowie Antikonvulsiva. Auch Substanzen, die gegen Schlafstörungen, Angst oder Schwindel selbst verordnet werden, erhöhen das Risiko (z.B. Bromazepam, Lorazepam, Cinnarizin, Dimenhydrinat).
Prof. Dr. Andreas Zwergal vom LMU Klinikum in München-Großhadern ging auf die Frage ein, wann hinter akutem Schwindel eine neurologische, potenziell sogar lebensbedrohliche Erkrankung stecken kann. Rund ein Viertel der Fälle, in denen akuter Schwindel erstmalig auftritt, sind potenziell gefährlich, betonte der Referent. Red Flags für einen Schlaganfall sind:
- plötzliches Auftreten des Schwindels ohne Trigger
- fehlende Vorgeschichte von Schwindel
- begleitende Kopfschmerzen
- fokal-neurologische Symptome
- ein ausgeprägtes kardiovaskuläres Risikoprofil
Bei Verdacht auf einen Schlaganfall ist zu prüfen, ob ein Spontan- oder Fixationsnystagmus nachweisbar sind. Letzterer spricht für eine zentrale Genese. Zum Test dient eine Frenzelbrille – „wenn Sie keine in der Praxis haben, besorgen Sie sich auf jeden Fall eine“, empfahl Prof. Zwergal. Eine Skew-Deviation (vertikale Schielstellung der Augen) ist ebenfalls ein Hinweis auf eine zentrale Läsion. Der Kopfimpulstest ist in diesen Fällen jedoch unauffällig, denn ein gestörter vestibulookulärer Reflex tritt eher bei peripherer Genese auf. Die drei Tests werden zusammen als HINTS bezeichnet (Head Impulse, Nystagmus, Test of Skew).
„Mit der richtigen klinischen Untersuchung können Sie die beiden Ursachen bereits gut trennen“, so Prof. Zwergal. Dies sei umso wichtiger, als die Bildgebung nicht immer weiterhilft: Bei kleinen Infarkten gebe es 50 % falsch negative MRT-Befunde in den ersten 48 Stunden.
Komplexe Schwindelsyndrome und chronisch bestehende Beschwerden sollten auch an eine somatoforme Störung denken lassen, erklärte Dr. Gabriele Schmid-Mühlbauer, Klinikum Schloss Lütgenhof in Dassow. In 30–50 % dieser Fälle sind die Symptome biomedizinisch nicht ausreichend erklärbar. Häufig empfinden die Betroffenen einen Schwank- oder Benommenheitsschwindel, der morgens und bei Ablenkung, beispielsweise während sportlicher Aktivität, geringer ausgeprägt ist. Die Patienten beobachten ihren Körper sehr genau und meiden meist Situationen, in denen sie eine Schwindelattacke fürchten, etwa den Besuch von Menschenmengen.
Funktioneller Schwindel tritt vor allem bei jüngeren Patienten auf, erklärte Dr. Schmid-Mühlbauer. In der Therapie stehen Psychoedukation und das Erarbeiten eines bio-psycho-sozialen Krankheitsmodells an erster Stelle. Dieses sollte sowohl somatische als auch psychosoziale Faktoren umfassen. Als Arzt kann man die Patienten dazu ermutigen, das Vermeidungsverhalten aufzugeben und sportliche Aktivität in den Alltag einzubauen. Auch eine Psychotherapie ist hilfreich. Die Herausforderung bestehe jedoch darin, die Patienten davon zu überzeugen, dass ihre Symptome nicht rein somatisch bedingt sind. „Dafür braucht es eine Beziehung – das geht nicht in der ersten Sitzung“, so die Referentin.
Quelle: DGIM 2024
Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).