Wie Methamphetamin-Usern zu helfen ist: Neue Leitlinie schafft Handlungssicherheit im Umgang mit Crystal-Konsumenten

Befragungen zufolge liegt bundesweit die Prävalenz des Methamphetamingebrauchs bei ca. 1 %, polizeiliche Daten deuten sogar auf höhere Fallzahlen hin. Doch evidenzbasierte Therapie-Konzepte fehlen bislang. Ein Team um Dr. Wolf-Dietrich Braunwarth von der Suchtmedizin am Klinikum Nürnberg wertete daher nun die Literatur aus, um wissenschaftlich fundierte Hilfe anbieten zu können.
Aktuell dominiert in Deutschland illegal hergestelltes kristallines Amphetamin, das berühmt-berüchtigte „Crystal Meth“. Am häufigsten wird es nasal genutzt. Manche rauchen es aber auch oder spritzen es i.v., beides fördert verstärkt die Suchtentwicklung und birgt zudem mehr Ansteckungsrisiken im Vergleich zur nasalen Anwendung.
Überdosis führt zu Aggression und Blutdruckkrisen
Abhängige benötigen etwa 0,5–1,5 g Crystal Meth am Tag. Je nach Dosis und Toleranz steigt dann die Stimmung sehr rasch, begleitet von vermehrter Geselligkeit, Distanzminderung, reduziertem Urteilsvermögen, riskanterem Verhalten und sexueller Enthemmung. Die Euphorie kann aber auch schnell in Anspannung, Reizbarkeit, Aggressivität oder diffuse Ängste umschlagen.
Körperlich führt das Stimulans zu Tachykardie, erhöhtem Blutdruck, gesteigerter Muskelspannung, Schweißausbrüchen, Hitzewallungen oder Kälteschauern, anfangs zeigt sich auch eine Mydriasis. Bei Überdosierung dominieren u.a. Blutdruckkrisen, zu psychischen Intoxikationszeichen gehören Agitiertheit, Aggressivität und psychotisches Erleben (siehe Kasten).
Was tun im Notfall?
Wieder nüchtern, kommt das große, schwarze Loch
Das „Postkonsumsyndrom“ nach gelegentlichem Gebrauch ist durch extreme Erschöpfung mit langem Tiefschlaf, gefolgt von depressiver Verstimmung mit Freudlosigkeit, Müdigkeit, Motivationsverlust, allgemeiner Schwäche und Gereiztheit gekennzeichnet. Die Symptome klingen in der Regel nach zwei bis drei Tagen ab. Chronische Konsumenten entwickeln dagegen oft ein echtes Entzugssyndrom, das über Wochen und in seltenen Fällen Monate anhält. Hierbei stehen depressive Symptome mit Suizidalität im Vordergrund, begleitet von Bradykardie, Gewichtszunahme und dem klassischen Craving. Bei chronischer intranasaler Anwendung drohen Blutungen der Schleimhaut, Anosmie, perforierte Scheidewand und Nebenhöhlenentzündungen. Inhalieren schädigt die Lunge, i.v. Nutzung birgt die allseits bekannten Risiken wie Infektionen, Endokarditis oder Abszesse. Da die Droge die Speichelsekretion bremst, greift sie die Zähne an. Fallen junge Menschen beim Zahnarzt durch altersuntypische Schäden auf („Meth Mouth“), kann das der ideale Zeitpunkt für eine Frühintervention sein. Im Rausch gehen die Betroffenen zudem auf stundenlange „Pickeljagd“. Das Ergebnis: offene Wunden, die narbig abheilen („Speedpickel“).Auch bei Eltern eine beliebte Droge
„Klassische“ Meth-User gibt es nicht, vielmehr verteilen sie sich auf ganz unterschiedliche Subgruppen. Die Leitlinie unterscheidet in:- Freizeitbereich: z.B. Gruppenzwang unter Jugendlichen, etwa in der Disco. Ziele: Hemmungen überwinden, Euphorie, Wachheit trotz Alkoholkonsums
- Schule/Ausbildung/Beruf: subjektive Leistungssteigerung
- Eltern als Nutzer: Bspw. junge Schwangere, die in früher Jugend anfingen und es nicht schaffen, trotz Gravidität aufzuhören
- Psychische Komorbiditäten: Bei Betroffenen dient die Droge oft dazu, Depressionen oder Symptome wie Ängste zu lindern
- Sexzentrierte Szenen: gleichgeschlechtlicher Verkehr unter Männern (sie konsumieren die Droge vorzugsweise i.v.). Ausgefallener/promisker/anonymer Sex und Risikoerlebnisse (z.B. ungeschützter Verkehr) lassen sich für sie so offenbar besser ausleben
- Wahllose Nutzer: nehmen neben Meth weitere legale oder illegale Drogen ein
- Strafvollzug: Untersuchungen aus Sachsen deuten darauf hin, dass jeder dritte Strafgefangene wegen einer Methamphetamin-Problematik Kontakt zu einer Suchtberatung aufnimmt
Konsum ist an Zähnen, Nase und Haut zu erkennen
Zu der allgemeinen körperlichen Anamnese gehört die Suche nach typischen Folgen des Konsums, z.B. an Zähnen, Nase oder Haut. Crystal Meth wird zu 30–50 % unverändert renal ausgeschieden, was den direkten Nachweis im Urin erlaubt. Laborimmunologische Methoden liefern semiquantitative Ergebnisse und dienen vor allem der Verlaufskontrolle. Das primäre Therapieziel lautet vollständige Abstinenz, bis dahin dauert es mindestens ein Jahr unter suchtbezogener Versorgung. Entzugswillige Abhängige sollten den Ausstieg stationär mit einem Aufenthalt von mindestens drei Wochen beginnen. Wichtig zu wissen: Es handelt sich bei der medikamentösen Behandlung um Off-Label-Use! Bei einsetzenden depressiv-ängstlichen Symptomen, Erschöpfung und/oder Hypersomnie ist es möglich, Bupropion oder ein antriebssteigerndes trizyklisches Antidepressivum wie Desipramin einzusetzen. Herrschen Schlafstörungen und Unruhe vor, kann ein sedierendes Antidepressivum die Symptome lindern. Psychosen sind vorzugsweise mit atypischen Neuroleptika zu behandeln, nach spätestens sechs Monaten muss aber die Medikation neu geprüft werden. Benzodiazepine kommen nur infrage, um eine akute Fremd-/Selbstgefährdung zu unterbinden oder ausgeprägte Ängste zu dämpfen, ggf. auch begleitend während der Psychose.Gegen das Verlangen hilft scheinbar Acetylcystein
Dexamphetamin ret. lindert Entzugserscheinungen und gilt in Einzelfällen als Ultima Ratio. Nach spätestens drei Wochen ist es auszuschleichen. Es ist möglich, dass gegen ein ausgeprägtes Craving Acetylcystein (600 mg in Woche 1, 1200 mg in Woche 2–4, dann wash-out über drei Tage) oder Bupropion hilft. Imipramin, niederpotente Neuroleptika (z.B. Melneurin) oder sedierende trizyklische Antidepressiva (z.B. Doxepin) können während der Postakutbehandlung die Durchhaltequote erhöhen. Zu jedem Entzug gehört ab der Akuttherapie eine qualifizierte psychotherapeutische Intervention, darüber hinaus betonen die Autoren den Stellenwert von Selbsthilfegruppen, Angehörigen und Sporttherapie. Neurofeedback und Ohrakupunktur runden das Spektrum ab. Komorbiditäten sind bei Meth-Konsumenten ein häufiges Problem. Eine Studie ergab, dass rund 80 % mindestens unter einer weiteren Substanz standen (z.B. Cannabis, Alkohol). Fast ein Drittel litt an affektiven Störungen, knapp ein Viertel unter Angststörungen und beinahe ebenso viele unter drogeninduzierten psychotischen Symptomen.Antidepressiva wirken bei Abhängigen nicht
Die medikamentöse Therapie dieser Begleiterkrankungen folgt bei Psychosen und Angsterkrankungen den allgemein anerkannten Prinzipien. Ist die Psychose Meth-induziert, empfehlen die Autoren, die Indikation nach spätestens sechs Monaten zu überprüfen. Methamphetamin-Abhängige mit Depressionen sprechen nicht auf gängige Antidepressiva an. Die Leitlinie nennt als Ausweg Quetiapin sowie unterstützend eine Nahrungsergänzung mit Citicolin oder Kreatin. Letzteres eignet sich ebenso bei bipolaren Störungen, gegebenenfalls lohnt hier ein Versuch mit Quetiapin oder Risperidon.Ausstieg unerwünscht?
- orale Einnahme gilt als risikoärmste Konsumform
- bei i.v. Gebrauch Spritzenprogramme nutzen, nur eigenes Besteck verwenden
- die Applikation in den Anus ohne Kanüle wirkt fast genauso gut wie i.v. und schont die Venen
- beim Inhalieren (Mundstück empfehlen) oder Schnupfen ausschließlich eigene Geräte nutzen
- Meth möglichst niedrig/planvoll („Wie lange will ich wachbleiben?“) und nicht mehrere Tage hintereinander konsumieren, evtl. ein Tagebuch führen
- wenn möglich, keine weiteren Substanzen (inkl. Alkohol) einnehmen. Wechselwirkungen unter www.drugscouts.de einsehbar
- bei (chronischen) Erkrankungen mit einem Arzt den Konsum besprechen (Lebensgefahr!)
- auf keinen Fall gleichzeitig Johanniskraut, Antidepressiva oder MAO-Hemmer einnehmen (Serotonin-Syndrom!)
- auf ausgewogene Ernährung achten; die Droge ist kein Diätmittel
- täglich 8–10 Gläser Wasser trinken, um einer Xerostomie vorzubeugen
- saure Nahrungsmittel meiden, wenig abrasive Zahnpasta verwenden und beim Putzen nur leichten Druck aufwenden
- Kondome nicht vergessen! Wirkung der Anti-Baby-Pille ist abgeschwächt
Quelle: Aus der Fachliteratur
S3-Leitlinie Methamphetamin-bezogene Störungen, abrufbar z.B. unter www.aezq.de
Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).