Neuroenhancement: Vom Traubenzucker zu Amphetaminen

Michael Brendler

Schneller, besser, leistungsfähiger: Bereits Traubenzucker kann ein erster Schritt in die Abhängigkeit von stimulierenden Mitteln sein. Schneller, besser, leistungsfähiger: Bereits Traubenzucker kann ein erster Schritt in die Abhängigkeit von stimulierenden Mitteln sein. © iStock/Yanawut

Vor 5000 Jahren wollten die Chinesen ihren Gedanken mit Ephedrin auf die Sprünge helfen. Im Zweiten Weltkrieg sollte Meth­amphetamin als „Panzer­schokolade“ den Soldaten die Angst nehmen. Heute ist das Neuro­enhancement mitten in unserer Gesellschaft angekommen.

Manchmal fängt der Substanzmissbrauch ganz harmlos an. Auch Traubenzucker und Vitamine können durchaus ein erster Schritt in die Abhängigkeit von Psychostimulanzien sein, warnen Stefanie Neumann von der Klinik und Poliklinik für Psychia­trie und Psychotherapie des Universitätsklinikums München und ihre Kollegen. Zwar besäßen diese Nahrungsergänzungsmittel selbst keinerlei Abhängigkeits­potenzial. Doch könnten sie einen „Euphemismus“ schüren, wie es die Autoren nennen, der zur Verharmlosung deutlich riskanterer Stoffe und Lifestylepräparate führen könne.

20 Millionen Deutsche schlucken regelmäßig Tabletten, Pülverchen und Kapseln zur Gesundheits- und Fitnessunterstützung, geben die Autoren zu bedenken. Und nicht wenige in unserem Land gingen deutlich weiter und nähmen eigenmächtig verschreibungspflichtige oder gar verbotene Mittel zum sogenannten Neuroenhancement ein. Allzu häufig werden bei dem Versuch, eine bessere Konzentrationsfähigkeit, Vigilanz, Motivation oder Gedächtnisleistung zu erreichen, die gesunden Grenzen überschritten, schreiben die Experten.

Crystal Meth steigert die Hirnleistung eher subjektiv

Unterscheiden müsse man beim Hirn- oder Neurodoping zwischen zwei Typen von Substanzen: zwischen den stimulierenden Wirkstoffen einerseits und den nicht stimulierenden andererseits. Beide Gruppen sind noch einmal in frei verkäufliche, in verschreibungspflichtige und in illegale Präparate aufzuteilen.

Die illegal genommenen Amphetamine und das als Rauschdroge missbrauchte Methamphet­amin weisen ein hohes psychisches Abhängigkeitspotenzial auf. Letzteres, in der Drogenszene auch Crystal Meth genannt, führt beim Abhängigen über eine gesteigerte Ausschüttung von Noradrenalin und Dopamin zu einem Gefühl höherer körperlicher und geis­tiger Leistungsfähigkeit, während gleichzeitig Müdigkeit, Appetit und Ruhebedürfnis schwinden. „Diese Steigerung der kognitiven Leis­tungsfähigkeit ist jedoch eher als subjektiv zu bezeichnen“, schreibt das Autorenteam. Denn bei anhaltendem Missbrauch sei genau das Gegenteil zu beobachten: Das Arbeitsgedächtnis leidet, die Reaktionszeit verlängert sich, die Aufmerksamkeit nimmt ab.

Modafinil erhöht Vigilanz und Reaktionsvermögen

Bei den verschreibungspflichtigen Substanzen stehen in Hinblick auf die Suchtgefahr das Methylphenidat und damit die ADHS-Medikamente sowie die Amphetamine an erster Stelle. Auch Gesunde finden zunehmend an deren Effekten Gefallen, zum Beispiel an der Steigerung der Konzentrationsfähigkeit, am besseren Arbeitsgedächtnis und an der zunehmenden Problemlösungskompetenz. Nur ist der Wirkmechanismus – die Freisetzung vesikulär gespeicherter Dopaminvorräte – mit einem hohen Abhängigkeitspoten­zial verbunden.

Beim ebenfalls rezeptpflichtigen Modafinil hat man bisher noch keine Abhängigkeiten beobachten können. Das Mittel wirkt ebenfalls positiv auf Aufmerksamkeit, Vigilanz und Reaktionsvermögen, auch wenn man sich diese Effekte bislang noch nicht vollständig erklären kann. Zugelassen ist das Medikament nur für Narkolepsie-Patienten. Unter den Hirnstimulanzien führt es eher ein Schattendasein.

Um das Gehirn auf andere, nicht stimulierende Art und Weise auf ein neues Leistungsniveau zu heben, bieten sich Antidementiva an. Allerdings sind weder mit Acetylcholinesterase-­Inhibitoren noch mit Partial­antagonisten am glutamatergen N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptor beim Gesunden nennenswerte Effekte zu erzielen.

Manch einer nutzt Anti­depressiva zum sogenannten Mood Enhancement. Denn diese Arzneistoffe wirken auch bei Gesunden mitunter geringfügig stimmungsaufhellend. Immerhin: Die Einnahme dieser Wirkstoffe geht laut aktuellem Wissensstand nicht mit der Gefahr einer Medikamentenabhängigkeit einher.

Das gelte zwar auch für alle frei verkäuflichen Präparate, die sich prinzipiell für das Hirn- und Neuro­doping eignen. Die Experten sind aber trotzdem weit davon entfernt, deren Einsatz zu billigen. Sogar Koffein lasse sich konzentriert in Misch- oder Mono­präparaten missbrauchen. Und bei Energydrinks könne abruptes Absetzen zu Kopfschmerzen und Müdigkeit führen, schreiben sie. Zudem sei der Konsum derartiger Produkte auffallend häufig mit dem Einsatz anderer Stimulanzien verbunden.

Quelle: Neumann S et al. internistische praxis 2019; 60: 501-510

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