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Zugelassene Krebsmedikamente: Teuer und nutzlos?

Mehr als die Hälfte der in jüngster Zeit zugelassenen Krebsmedikamente haben nie bewiesen, dass sie die Lebenszeit der Patienten tatsächlich verlängern können. Oder sind sogar beim Versuch, dies zu belegen, gescheitert. Das gelte zumindest für die Vereinigten Staaten, berichteten Wissenschaftler im Jahr 2015.
Dr. Courtney Davis von der Abteilung für Global Health and Social Medicine am Londoner King’s College und ihre Kollegen wollten wissen, ob die europäische Arzneimittelagentur (EMA) sich ähnlich stark auf Surrogat-Endpunkte wie das progressionsfreie Überleben, die Response-Rate oder das krankheitsfreie Überleben verlässt, oder ob sie von den Herstellern umfassendere Daten als die US-Behörde einfordert.
Evidenz der in Europa zugelassenen Mittel resümiert
Zu diesem Zweck wühlten sie sich durch die öffentlichen Beurteilungsberichte der EMA der Jahre 2009 bis 2013, die die Evidenz zum Zulassungszeitpunkt in den Akten zusammenfassen. In Medline und den offiziellen Studienregistern prüften sie zudem noch einen weiteren Punkt: Wurden für Orphan Drugs (Arzneimittel für seltene Leiden) und andere beschleunigt freigegebenen Medikamente, für die anfangs weniger strenge Kriterien gelten, solche Angaben im Rahmen von Post-Marketing-Studien nachgeliefert?
Statistisch signifikant heißt nicht gleich klinisch relevant
„Die Mehrzahl der Krebsmedikamente, die in Europa neu auf den Markt kommen, haben zum Zulassungszeitpunkt noch nicht bewiesen, dass sie die Quantität oder die Qualität des Lebens der Patienten verbessern können“, lautet ihr Fazit. Insgesamt 48 neue onkologische Arzneien hatte die EMA in den untersuchten fünf Jahren freigegeben – für 68 Indikationen. Bei etwa einem Drittel davon, 24, lagen anfangs Daten vor, die für eine Verlängerung der Lebenszeit sprachen. In sieben Indikationen (10 %) hatten die neuen Onkologika eine Verbesserung der Lebensqualität bewiesen.
Nach durchschnittlich 5,4 Jahren auf dem Markt stellte sich heraus: In 26 Indikationen (38 %) verlängerte sich gegenüber den üblichen Therapien oder Placebo das Überleben signifikant und in 9 (13 %) verbesserte sich die Lebensqualität signifikant. In 49 % wurde keines der beiden Kriterien erfüllt. Bei den zehn mit eingeschränkter Zulassung von der EMA beschleunigt durchgewunkenen Medikamenten, bei denen solche Folgeuntersuchungen eigentlich zu den auferlegten Pflichten gehören, war hinsichtlich dieser Kriterien teilweise auch noch acht Jahre später nichts bekannt.
Der Lebenszeitgewinn betrug nie mehr als 5,8 Monate. Ein plus von 2,7 Monaten erreichten die Substanzen im Schnitt. Nach den Maßstäben der Europäischen Gesellschaft für medizinische Onkologie ergab sich für die Indikationen, bei denen ein signifikanter Überlebensvorteil festgestellt wurde, dass dieser in nur 48 % der Fälle klinisch relevant war. Diese Bewertung bezieht sich allerdings nur auf solide Tumoren, für die 17 neuen hämatologischen Medikamente existieren solche Zielwerte nicht.
Was sind die Gründe? Arzneimittelstudien in der Onkologie nehmen viel zu selten die Lebenszeitverlängerung als primären Endpunkt unter die Lupe, so die Autoren. Deshalb könnten sie schon mangels richtigem Design die entsprechenden Daten nicht liefern. Der Crossover von progredierenden Patienten aus der Kontroll- in die Verumgruppe erschwere die Auswertungen noch zusätzlich.
Das Wichtigste nicht untersucht
Die Erhebung der Lebensqualität wiederum werde den Firmen von der EMA gar nicht abverlangt und dementsprechend auch selten durchgeführt: „Dies ist vor allem deshalb bedenklich, weil viele der von uns untersuchten Medikamente nur für das Endstadium der Krankheit bestimmt sind“, schreiben die Autoren. Denn gerade in der Palliativbehandlung habe der Faktor Lebensqualität das größte Gewicht.
„Unsere Analyse wirft die Frage auf, ob die aktuelle Forschungs- und Regulations-Praxis dazu geführt hat, dass die wichtigsten Informationen für den Patienten selbst bis zur Zulassung gar nicht erhoben werden.“ Die Zulassung von teuren Medikamenten ohne bedeutenden Nutzen kann Patienten schaden und verschwendet gesellschaftliche Ressourcen, appellieren die Wissenschaftler. Zudem würden dadurch faire und bezahlbare Therapien untergraben.
Quelle: Davis C et al. BMJ 2017; 359: j4530
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