Zunächst Differenzialdiagnosen ausschließen

Dr. Angelika Bischoff

Jeder Patient mit einem ersten Krampf­anfall sollte eine MRT erhalten, um strukturelle Läsionen wie eine Hippo­campussklerose (rot) zu erkennen.
Jeder Patient mit einem ersten Krampf­anfall sollte eine MRT erhalten, um strukturelle Läsionen wie eine Hippo­campussklerose (rot) zu erkennen. © Science Photo Library/Living Art Enterprises, LLC

Tritt erstmals ein Krampfanfall auf, gilt es nicht nur, zwischen einem unprovozierten und einem akut-sym­ptomatischen Anfall zu unterscheiden. Auch Differenzialdiagnosen wie die Synkope oder der psychogene Anfall müssen bedacht werden.

Epileptische Anfälle sind mit einer Lebenszeitprävalenz von 5 % ein häufiges Phänomen. Sie entstehen durch eine pathologisch exzessive und/oder synchrone Hirnaktivität mit gestörter Balance zwischen zerebraler Exzitation und Inhibition. Die Symptome hängen von der Lokalisation der Aktivität ab und reichen von subjektiven Wahrnehmungsstörungen (Aura) über Sprachstörungen und andere komplexe motorische Phänomene bis hin zum klassischen generalisierten tonisch-klonischen Anfall. Der Patient kann dabei bewusstseinsklar, eingetrübt oder bewusstlos sein, schreibt Prof. Dr. Adam ­Strzelcyk von der Goethe-Universität ­Frankfurt.

Der epileptische Anfall ist das Leitsymptom einer Epilepsie, kann aber auch als akut-symptomatischer Anfall bei zerebraler Schädigung oder im Rahmen systemischer Erkrankungen auftreten. Dazu gehören beispielsweise zerebrale Blutungen, Ischämien, Hirntumoren, Schädel-Hirn-Traumen und Meningoenzephalitis, aber auch ausgeprägte Hyponatriämie, Hypoglykämie, Intoxikation sowie der Alkohol- und Medikamentenentzug. Diese provozierten Anfälle stehen immer in zeitlichem Zusammenhang mit der initialen Schädigung. Das Intervall beträgt weniger als eine Woche, die meisten treten innerhalb von 48 Stunden auf.

Besonders hilfreich sind von Angehörigen gedrehte Videos

Bei einem ersten unprovozierten Anfall muss mittels Schädel-MRT und EEG abgeklärt werden, wie wahrscheinlich es ist, dass weitere Episoden auftreten. Ergeben sich keine Hinweise auf ein Rezidiv­risiko, geht man von einem isolierten oder singulären epileptischen Anfall aus. Für diese Anfälle liegen definitionsgemäß keine Ursachen vor, sie können allerdings durch Schlafentzug, Infektionen oder Fieber begünstigt werden. Die Diagnose Epilepsie wird nur gestellt, wenn eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 60 % für weitere Anfälle in den nächsten zehn Jahren besteht.

Neben Anamnese und Fremd­anamnese besonders hilfreich für die Einordnung des Anfallsgeschehens sind von Angehörigen aufgenommene Smartphone-Videos. Danach sollte man Patienten immer fragen. Beim Abfragen der Symptome muss Wert auf deren zeitliche Abfolge gelegt werden. Denn das erste Symptom gibt nicht selten einen Hinweis auf den Ursprungsort des Anfalls. Iktale Stigmata wie Zungenbiss und Provokationsfaktoren wie Schlafentzug oder Alkohol sollten ebenfalls erfasst werden, ebenso wie Risikofaktoren, beispielsweise eine positive Familienanamnese oder perinatale Komplikationen. Wichtig ist auch, nach isolierten Sinneseindrücken oder Myoklonien in der Vergangenheit zu forschen. Darüber berichten Patienten selten spontan, da sie diese Phänomene nicht als Anfälle betrachten.

Um psychogene Anfälle von generalisierten tonisch-klonischen abzugrenzen, bietet sich die Messung der Kreatinkinase an. Diese kann in den Stunden oder Tagen postiktal ansteigen. Der Verdacht auf eine entzündliche Genese wie Meningoenzephalitis oder Autoimmunenzephalitis lässt sich durch Liquordiagnostik (einschließlich antineuronale Antikörper) erhärten. Metabolischen Störungen wie Hypoglykämien oder Hyponatriämien kommt man durch das Routinelabor auf die Spur.

Bei jedem Patienten mit einem ersten epileptischen Anfall sollte frühzeitig eine Schädel-MRT mit Kontrastmittel veranlasst werden, um strukturelle Hirnläsionen zu erkennen. Diese ersetzt allerdings nicht die Schädel-CT, mit der sich Sturzfolgen wie Frakturen nachweisen lassen.

Mit dem EEG kann man die Vigilanz des Patienten abbilden. Eine generalisierte Verlangsamung im EEG spricht für eine Enzephalopathie, eine fokale für eine darunterliegende strukturelle Läsion. Um die Diagnose einer Epilepsie zu stellen, genügt der Nachweis interiktaler epilepsie­typischer Potenziale. Andererseits schließt ein unauffälliges EEG eine Epilepsie aber nicht aus.

Psychogene Anfälle zeigen oft einen fluktuierenden Verlauf

Als wichtigste Differenzialdiagnosen müssen Synkopen und psychogene/dissoziative Anfälle abgegrenzt werden. Etwa 50 % aller falschen Epilepsiediagnosen sind in Wahrheit Synkopen. Auch diese laufen häufig konvulsiv ab. Durch die vegetativen Anzeichen wie Blässe, fluktuierende Symptomatik und die rasche post­iktale Reorientierung lassen sie sich aber meist gut erkennen.

Zur Unterscheidung psychogener Anfälle hilft die Augenposition weiter. Während eines epileptischen Anfalls sind die Augen offen und nach oben verdreht, bei psychogenen Anfällen sind sie geschlossen. Typisch für den generalisierten tonisch-klonischen Anfall ist zudem der Initialschrei. Patienten mit psychogenen Anfällen stöhnen oder weinen eher. Psychogene Anfälle dauern auch oft sehr lang und fluktuieren im Verlauf.

Ob nach einem Krampfanfall eine antikonvulsive Therapie begonnen wird, hängt von der Höhe des Rezidiv­risikos ab. Wenn sich die Grunderkrankung bei akut-symptomatischen Anfällen gut behandeln lässt, braucht man keine Antikonvulsiva. Bei protrahiertem Verlauf sollte man sie nur für einen begrenzten Zeitraum einsetzen. Prof. Strzelcyk empfiehlt dafür Antikonvulsiva ohne Interaktionspotenzial oder enzyminduzierende bzw. -hemmende Eigenschaften, z.B. Levetiracetam oder Lacosamid.

Quelle: Strzelczyk A. Dtsch Med Wochenschr 2022; 147: 355-360;  DOI: 10.1055/a-1753-2864

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Jeder Patient mit einem ersten Krampf­anfall sollte eine MRT erhalten, um strukturelle Läsionen wie eine Hippo­campussklerose (rot) zu erkennen.
Jeder Patient mit einem ersten Krampf­anfall sollte eine MRT erhalten, um strukturelle Läsionen wie eine Hippo­campussklerose (rot) zu erkennen. © Science Photo Library/Living Art Enterprises, LLC