Krankschreibung über Telefon und Video befristet wieder erlaubt
Aufgrund der steigenden Corona-Infektionszahlen hat der G-BA die Krankschreibung von Patienten mit leichten Atemwegserkrankungen nach telefonischem Arzt-Patienten-Kontakt (APK) bis zum Jahresende wieder möglich gemacht. Eine solche erstmalige AU-Bescheinigung für bis zu sieben Tage kann einmalig telefonisch für weitere sieben Tage verlängert werden. Ganz ohne zeitliche Begrenzung und ohne Bezug zur Pandemie ist es auch möglich, eine AU in der Videosprechstunde festzustellen und zu bescheinigen.
Trotz der aktuellen Corona-Sonderregelung bleibt der Standard für die Feststellung einer AU die direkte ärztliche Untersuchung. Lediglich bei Patienten, die aufgrund früherer Behandlungen persönlich in der Praxis bekannt sind, kann die Feststellung einer AU ebenso per Videosprechstunde (als mittelbarer Kontakt) erfolgen.
Die AU-Richtlinie des G-BA regelt, dass in diesem Fall der Patient eine Bescheinigung für maximal sieben Kalendertage erhalten kann, wenn die erstmalige Feststellung der AU per Video hinreichend sicher möglich ist. Danach muss er die Praxis aufsuchen, falls er weiterhin krank sein sollte, oder es erfolgt ein Hausbesuch. Eine AU-Verlängerung per Videosprechstunde ist möglich, wenn der Patient zuvor in der Praxis war und dort die Erstverordnung erhalten hat.
Es ist in der AU-Richtlinie zwar nicht definiert, wie lange ein Kontakt zurückliegen darf, damit eine AU in der Videosprechstunde bescheinigt werden kann. Bei Einführung der Videokonsultation in den EBM wurde allerdings festgelegt, dass die Leistungen nach den Nrn. 01439 und 01450 damals nur angesetzt werden durften, wenn in einem der beiden vorherigen Quartale ein persönlicher APK in der Praxis stattgefunden hatte und die Verlaufskontrolle durch dieselbe Praxis erfolgt wie die Erstbegutachtung. Das ist zwar bei der Weiterentwicklung der Videosprechstunde aufgehoben worden, kann aber weiterhin als Anhaltspunkt genommen werden.
Fallbeispiel 1: Behandlung und AU per Videosprechstunde
EBM-Nr. | Leistungslegende | Euro | Bemerkungen | GOÄ |
---|---|---|---|---|
03003 | Versichertenpauschale (VP) | 12,53 | Wenn ausschließlich Videosprechstunden im Quartal, hier Abschlag von 20 % auf die Punktzahl. Die Fälle müssen dann mit der Nr. 88220 gekennzeichnet werden. | A5 |
03040 | Zusatzpauschale zur VP für hausärztlichen Versorgungsauftrag, von der KV zugesetzt | 15,16 | 15 | |
03220 | Zuschlag zur VP bei Patienten mit mindestens einer lebensverändernden chronischen Erkrankung, einmal im Quartal | 14,28 | Obergrenze von 20 % der berechneten GOP je Vertragsarzt und Quartal. Diese Regelung ist wegen der Pandemie bis zum 31.12.20 aufgehoben. | |
03230 | Problemorientiertes ärztliches Gespräch, mindestens 10 Minuten | 14,06 | A1 | |
AU-Bescheinigung | 70 | |||
Versandpauschale AU | § 10 GOÄ | |||
01450 | Zuschlag zur VP je APK in einer Videosprechstunde oder -fallkonferenz | 4,39 | Höchstwert 1899 Punkte | 60 |
01451 | Anschubförderung je APK in einer Videosprechstunde | 9,96 | Mindestens 15 Videosprechstunden, Höchstwert 4620 Punkte | Faktor |
Quelle: EBM, GOÄ, Beschluss des G-BA vom 16. Juli 2020 |
Welche Krankheitsbilder kommen überhaupt infrage?
Eine Krankschreibung ausschließlich auf Basis eines Online-Fragebogens oder einer Chat-Befragung hat der G-BA explizit ausgeschlossen. Eine weitere Frage lautet: Welche Krankheitsbilder können per Video- oder Telefonkontakt sachgemäß beurteilt werden, sodass eine AU rechtssicher möglich ist? Eine solche Definition gibt es ebenfalls aus den Anfängen der Videosprechstunde. Am 1. April 2017 legte der Bewertungsausschuss fest, dass Videosprechstunden möglich sind zwecks Verlaufskontrolle einer Operationswunde, von Dermatosen (auch nach strahlentherapeutischer Behandlung), von akuten, chronischen und offenen Wunden sowie zur Beurteilung von Bewegungseinschränkungen/-störungen (auch nervaler Genese), der Stimme / des Sprechens / der Sprache sowie zur anästhesiologischen, postoperativen Verlaufskontrolle. Das wurde vom Bewertungsausschuss zum 1. Oktober 2019 noch etwas aufgeweicht, indem weitere Leistungen, die vorher nur beim persönlichen APK berechnungsfähig waren, wie die Versichertenpauschale und Gesprächsleistungen, in die Videosprechstunde Einzug hielten. Eine Video-AU wäre so gesehen bei Fällen wie im Abrechnungsbeispiel 1 (siehe Tabelle) ohne arbeits- und sozialrechtliche Bedenken uneingeschränkt möglich. Wie sieht es aber bei diesem Fallbeispiel aus: Ein 56-jähriger Patient mit Hypertonie und Diabetes mellitus wird auf eigenen Wunsch per Videosprechstunde wegen zuletzt häufiger Panikattacken und Spannungsgefühl in der Brustgegend behandelt. Er führt eine Eigenmessung des Blutdrucks und des Blutzuckerwerts am Beginn der Sitzung durch. Die Werte liegen im Normbereich. Der Patient berichtet, dass er seit mehreren Wochen Probleme am Arbeitsplatz hat. Nach einem psychosomatisch-therapeutischen Gespräch erhält er eine AU-Bescheinigung für sieben Tage mit der Maßgabe, sich am Ende der AU nochmals in der Praxis vorzustellen. Die Abrechnung sieht aus wie bei Fallbeispiel 1, außer dass die VP 03004 (16,26 Euro) lautet und statt der Nr. 03230 die Nr. 35100 EBM (Differenzialdiagnostische Klärung psychosomatischer Krankheitszustände, mindestens 15 Minuten, 21,21 Euro) anzusetzen ist. Allerdings sollte im Beispiel 2 der Patient vor der Videosprechstunde über deren eingeschränkte Möglichkeiten bei der Befunderhebung aufgeklärt werden. Zur arbeits- und sozialrechtlichen Komponente kommt hier ein haftungsrechtliches Element hinzu: Reicht bei der Erkrankung eine Videosprechstunde aus, um zu vermeiden, dass gefährliche Verlaufsformen nicht erkannt werden? Man sollte deshalb unbedingt die vom G-BA vorgesehene Aufklärung vornehmen, am besten in Anwesenheit eines Zeugen, z.B. einer MFA.Versandpauschale ist noch zu bestimmen
Dem Patienten im Beispiel 2 müsste mitgeteilt werden, dass eine psychosomatische Komponente der Beschwerden zwar naheliegt, wegen der vorhandenen Risikofaktoren eine organische, z.B. kardiale, Ursache per Videokonsultation aber nicht ausgeschlossen werden kann. KBV und GKV-Spitzenverband beraten noch über eine EBM-Vergütung für die Zusendung der AU-Bescheinigung. Die zum 1. Juli 2020 eingeführten Portopauschalen nach den Nrn. 40110 und 40111 sind hier nämlich nicht anwendbar, sodass man das Porto selbst bezahlen oder eine Bezugsperson auffordern muss, die AU in der Praxis abzuholen. Bei der früheren Telefon-AU gab es Positionen für Porto und Beratung.Medical-Tribune-Bericht