Krankschreibung über Telefon und Video befristet wieder erlaubt

Abrechnung und ärztliche Vergütung , Kassenabrechnung , Privatrechnung Autor: Dr. Gerd W. Zimmermann

Während die telefonische AU befristet ist, soll die AU via Videosprechstunde auch nach der Pandemie möglich sein. Während die telefonische AU befristet ist, soll die AU via Videosprechstunde auch nach der Pandemie möglich sein. © Abdul Qaiyoom – stock.adobe.com; iStock/AnnettVauteck

Die Bescheinigung einer Arbeitsunfähigkeit kann jetzt dauerhaft nach einem Videokontakt erfolgen sowie pandemiebedingt vorübergehend per Telefon. Zu beachten sind allerdings die Voraussetzungen für die Telemedizin.

Aufgrund der steigenden Corona-Infektionszahlen hat der G-BA die Krankschreibung von Patienten mit leichten Atemwegs­erkrankungen nach telefonischem Arzt-Patienten-Kontakt (APK) bis zum Jahresende wieder möglich gemacht. Eine solche erstmalige AU-Bescheinigung für bis zu sieben Tage kann einmalig telefonisch für weitere sieben Tage verlängert werden. Ganz ohne zeitliche Begrenzung und ohne Bezug zur Pandemie ist es auch möglich, eine AU in der Video­sprechstunde festzustellen und zu bescheinigen.

Trotz der aktuellen Corona-Sonderregelung bleibt der Standard für die Feststellung einer AU die direkte ärztliche Untersuchung. Lediglich bei Patienten, die aufgrund früherer Behandlungen persönlich in der Praxis bekannt sind, kann die Feststellung einer AU ebenso per Videosprechstunde (als mittelbarer Kontakt) erfolgen.

Die AU-Richtlinie des G-BA regelt, dass in diesem Fall der Patient eine Bescheinigung für maximal sieben Kalendertage erhalten kann, wenn die erstmalige Feststellung der AU per Video hinreichend sicher möglich ist. Danach muss er die Praxis aufsuchen, falls er weiterhin krank sein sollte, oder es erfolgt ein Hausbesuch. Eine AU-Verlängerung per Video­sprechstunde ist möglich, wenn der Patient zuvor in der Praxis war und dort die Erstverordnung erhalten hat.

Es ist in der AU-Richtlinie zwar nicht definiert, wie lange ein Kontakt zurückliegen darf, damit eine AU in der Videosprechstunde bescheinigt werden kann. Bei Einführung der Videokonsultation in den EBM wurde allerdings festgelegt, dass die Leistungen nach den Nrn. 01439 und 01450 damals nur angesetzt werden durften, wenn in einem der beiden vorherigen Quartale ein persönlicher APK in der Praxis stattgefunden hatte und die Verlaufskontrolle durch dieselbe Praxis erfolgt wie die Erstbegutachtung. Das ist zwar bei der Weiterentwicklung der Videosprechstunde aufgehoben worden, kann aber weiterhin als Anhaltspunkt genommen werden.

Fallbeispiel 1: Behandlung und AU per Videosprechstunde

36-jähriger Patient mit chronischer Hypertonie wird in der Videosprechstunde wegen einer Lumbago nach Verhebe­trauma behandelt. Aufgrund der schmerzhaften Verspannung kann er nicht in die Praxis kommen. Empfohlen wird ­Wärmeanwendung, ggf. die Einnahme eines zu Hause vorhandenen antiphlogistisch wirksamen Analgetikums. Der ­Patient erhält eine AU-Bescheinigung für sieben Tage mit der Maßgabe, sich in der Praxis vorzustellen, falls die Beschwerden sich innerhalb der folgenden drei bis vier Tage nicht bessern.

EBM-Nr.LeistungslegendeEuroBemerkungenGOÄ
03003Versichertenpauschale (VP)12,53Wenn ausschließlich Videosprechstunden im Quartal, hier Abschlag von 20 % auf die Punktzahl. Die Fälle müssen dann mit der Nr. 88220 gekennzeichnet werden.A5
03040Zusatzpauschale zur VP für hausärztlichen Versorgungsauftrag, von der KV zugesetzt15,1615
03220Zuschlag zur VP bei Patienten mit mindestens einer lebensverändernden chronischen Erkrankung, einmal im Quartal14,28Obergrenze von 20 % der berechneten GOP je Vertragsarzt und Quartal. Diese Regelung ist wegen der Pandemie bis zum 31.12.20 aufgehoben.
03230Problemorientiertes ärztliches Gespräch, mindestens 10 Minuten14,06A1
AU-Bescheinigung70
Versandpauschale AU§ 10 GOÄ
01450Zuschlag zur VP je APK in einer ­Videosprechstunde oder -fallkonferenz4,39Höchstwert 1899 Punkte60
01451Anschubförderung je APK in einer ­Videosprechstunde9,96Mindestens 15 Videosprechstunden, Höchstwert 4620 PunkteFaktor

Quelle: EBM, GOÄ, Beschluss des G-BA vom 16. Juli 2020

Welche Krankheitsbilder kommen überhaupt infrage?

Eine Krankschreibung ausschließlich auf Basis eines Online-Fragebogens oder einer Chat-Befragung hat der G-BA explizit ausgeschlossen. Eine weitere Frage lautet: Welche Krankheitsbilder können per Video- oder Telefonkontakt sachgemäß beurteilt werden, sodass eine AU rechtssicher möglich ist? Eine solche Definition gibt es ebenfalls aus den Anfängen der Video­sprechstunde. Am 1. April 2017 legte der Bewertungsausschuss fest, dass Video­sprechstunden möglich sind zwecks Verlaufskontrolle einer Operationswunde, von Dermatosen (auch nach strahlentherapeutischer Behandlung), von akuten, chronischen und offenen Wunden sowie zur Beurteilung von Bewegungseinschränkungen/-störungen (auch nervaler Genese), der Stimme / des Sprechens / der Sprache sowie zur anästhesiologischen, postoperativen Verlaufskontrolle. Das wurde vom Bewertungsausschuss zum 1. Oktober 2019 noch etwas aufgeweicht, indem weitere Leistungen, die vorher nur beim persönlichen APK berechnungsfähig waren, wie die Versichertenpauschale und Gesprächsleistungen, in die Video­sprechstunde Einzug hielten. Eine Video-AU wäre so gesehen bei Fällen wie im Abrechnungsbeispiel 1 (siehe Tabelle) ohne arbeits- und sozialrechtliche Bedenken uneingeschränkt möglich. Wie sieht es aber bei diesem Fallbeispiel aus: Ein 56-jähriger Patient mit Hypertonie und Diabetes mellitus wird auf eigenen Wunsch per Videosprechstunde wegen zuletzt häufiger Panikattacken und Spannungsgefühl in der Brustgegend behandelt. Er führt eine Eigenmessung des Blutdrucks und des Blutzuckerwerts am Beginn der Sitzung durch. Die Werte liegen im Normbereich. Der Patient berichtet, dass er seit mehreren Wochen Probleme am Arbeitsplatz hat. Nach einem psychosomatisch-therapeutischen Gespräch erhält er eine AU-Bescheinigung für sieben Tage mit der Maßgabe, sich am Ende der AU nochmals in der Praxis vorzustellen. Die Abrechnung sieht aus wie bei Fallbeispiel 1, außer dass die VP 03004 (16,26 Euro) lautet und statt der Nr. 03230 die Nr. 35100 EBM (Differenzialdiagnostische Klärung psychosomatischer Krankheitszustände, mindestens 15 Minuten, 21,21 Euro) anzusetzen ist. Allerdings sollte im Beispiel 2 der Patient vor der Videosprechstunde über deren eingeschränkte Möglichkeiten bei der Befunderhebung aufgeklärt werden. Zur arbeits- und sozialrechtlichen Komponente kommt hier ein haftungsrechtliches Element hinzu: Reicht bei der Erkrankung eine Videosprechstunde aus, um zu vermeiden, dass gefährliche Verlaufsformen nicht erkannt werden? Man sollte deshalb unbedingt die vom G-BA vorgesehene Aufklärung vornehmen, am besten in Anwesenheit eines Zeugen, z.B. einer MFA.

Versandpauschale ist noch zu bestimmen

Dem Patienten im Beispiel 2 müsste mitgeteilt werden, dass eine psychosomatische Komponente der Beschwerden zwar naheliegt, wegen der vorhandenen Risikofaktoren eine organische, z.B. kardiale, Ursache per Videokonsultation aber nicht ausgeschlossen werden kann. KBV und GKV-Spitzenverband beraten noch über eine EBM-Vergütung für die Zusendung der AU-Bescheinigung. Die zum 1. Juli 2020 eingeführten Portopauschalen nach den Nrn. 40110 und 40111 sind hier nämlich nicht anwendbar, sodass man das Porto selbst bezahlen oder eine Bezugsperson auffordern muss, die AU in der Praxis abzuholen. Bei der früheren Telefon-AU gab es Positionen für Porto und Beratung.

Medical-Tribune-Bericht