Langjährige Berufserfahrung rechtfertigt kurze Prüfzeiten nicht
Bis zu 350-mal am Tag hatte ein Facharzt für Pathologie mit Ermächtigung für histologische und zytologische Leistungen die EBM-Ziffer 19310 angesetzt. Obligater Inhalt der Leistung: histologische oder zytologische Untersuchung eines Organs oder von Gewebe, Prüfzeit: vier Minuten. Damit erreichte der Arzt eine Arbeitszeit von bis zu 23 Stunden am Tag.
Die Kassenärztliche Vereinigung fand das weniger beachtlich als viel mehr auffällig. Auf Nachfrage erklärte der Arzt, dass er als erfahrener Pathologe weniger Zeit benötige und der größte zeitliche Aufwand auf die nicht-ärztliche Labortätigkeit entfalle. Außerdem stamme ein wesentlicher Teil der von ihm zu beurteilenden Proben aus dem Bereich der gastroenterologischen Endoskopie sowie der urologischen Stanzbiopsien. Gerade bei letzteren Proben seien oft zehn bis zwölf getrennte Biopsien einer Prostata zu beurteilen, sodass für einen einzigen Fall zwar theoretisch Prüfzeiten von 40 Minuten anfielen, die Beurteilung praktisch aber viel weniger Zeit erfordere.
Diese Argumentation überzeugte die KV aber nicht und sie erstattete Strafanzeige wegen Verdacht auf Abrechnungsbetrug und setzte nach einer geplatzten einvernehmlichen Erledigung des Verfahrens eine Honorarrückforderung von rund 497 000 Euro fest.
Welcher Teil der Leistung ist originär ärztlich?
Nach mehreren Instanzen urteilte das Bundessozialgericht (BSG): Die Voraussetzungen für eine sachlich-rechnerische Richtigstellung seitens der KV lägen vor, weil der Arzt gegen das Gebot der persönlichen Leistungserbringung verstoßen hat, indem er Leistungen abgerechnet hat, die er nicht selbst erbracht hat. Die Untersuchung des zu beurteilenden Materials sei originär ärztlicher Teil der beanstandeten Leistungen. Ein Pathologe muss die Schnittprobe also selbst mikroskopieren und beurteilen, es genügt nicht, wenn er die von anderen Ärzten vorgenommene Befundung lediglich kontrolliert.
Ob der Arzt Befundungen schneller vornehmen kann als andere Ärzte seines Fachs, ist dabei unerheblich. Denn bei den ausgewiesenen Prüfzeiten handele es sich ja bereits um durchschnittliche Zeiten, die auch von erfahrenen und zügig arbeitenden Ärzten für eine ordnungsgemäße Leistungserbringung benötigt werden. Dass sie im Einzelfall unterschritten werden können, stellt die Werte nicht infrage, weil sie eben – als Durchschnittswerte – in Einzelfällen auch überschritten werden können.
Fachanwältin Barbara Schwinn, Darmstadt, weiß, dass Ärzte sich immer wieder auf dieses Argument zurückziehen wollen. „In einzelnen, sehr speziellen Fällen mag dieser Vortrag vor der KV noch Berücksichtigung finden. Vor den Sozialgerichten werden die Ärzte aber spätestens seit der weiteren Konkretisierung durch das BSG mit dieser Argumentation keinen Erfolg mehr haben – weil es eben Durchschnittswerte sind.“
Hinsichtlich der – zulässigen – Teilleistungen von nicht-ärztlichem Personal, sagt das Gericht, sei bei Blick auf die Prüfzeiten zu berücksichtigen, dass den Arzt hier eine Aufsichts- und Überwachungspflicht trifft. Im konkreten Fall kam erschwerend hinzu, dass von 253 sichergestellten Berichten nur 85 vom angeklagten Arzt unterzeichnet waren.
Für den Arzt ging die Sache trotzdem glimpflich aus. Denn vier Jahre nach Erlass der Honorarbescheide standen der nachträglichen Korrektur der Bescheide der Vertrauensschutz entgegen. Und auch die Frist, nach der die Aufhebung eines Bescheides innerhalb eines Jahres erfolgen muss seit Kenntnis der Tatsache, die die Rücknahme rechtfertigt, war mit Erstattung der Strafanzeige seitens der KV angezählt und bereits abgelaufen. Regressforderungen gegen den Arzt ließen sich also gar nicht mehr umsetzen.
Ärztliche Leistung ist ärztliche Leistung – Punkt
Mit diesem Urteil bekräftigt das BSG gleich mehrere für den Arzt relevante Punkte. Erstens: Sind die Leistungsinhalte einer EBM-Ziffer originär ärztliche Leistungen, muss der Arzt sie tatsächlich selbst ausführen. Es reicht nicht, dass er eine von anderen Ärzten vorgenommene Leistung kontrolliert. Zweitens: Die im Zusammenhang mit den Leistungen angegebenen Prüfzeiten sind Durchschnittswerte und decken damit bereits z.B. spezielle persönliche Leistungsfähigkeiten oder Umstände ab. Und drittens: Ist die Verjährungsfrist von vier Jahren seit Erlass des Honorarbescheides abgelaufen (mit dem TSVG reduziert auf zwei Jahre), ist eine sachlich-rechnerische Richtigstellung des Honorarbescheides nicht mehr möglich.
Bei grober Fahrlässigkeit gibt‘s keinen Vertrauensschutz
Anwältin Schwinn weist jedoch ergänzend daraufhin, dass in Ausnahmefällen bei grober Fahrlässigkeit oder arglistiger Täuschung des Vertragsarztes ein Vertrauensausschlusstatbestand vorliegen kann, und damit kein Vertrauensschutz bestehen würde. Allerdings muss die Aufhebung eines Honorarbescheides dann innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen erfolgen, die die Bescheidrücknahme rechtfertigen. Auf einen solchen Vertrauensausschlusstatbestand konnte sich die KV in dem geschilderten Fall nicht mehr berufen. Sie hatte die Frist versäumt.